Doppelheimweh

[288] Zwiefaches Heimweh hält das Herz befangen,

Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn

Und in die Grabesnacht hinuntersehn,

Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen.


Das Erdenheimweh läßt uns trauern, bangen,

Daß Lust und Leid der Erde muß vergehn;

Das Himmelsheimweh fühlts herüberwehn

Wie Morgenluft, daß wir uns fortverlangen.[288]


Dies Doppelheimweh tönt im Lied der Schwäne,

Zusammenfließt in unsre letzte Träne

Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden.


Vielleicht ist unser unerforschtes Ich

Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich,

In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 288-289.
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