Begräbnis einer alten Bettlerin

[156] Vier Männer dort, in schwarzem Kleid,

Die tragen auf der Bahre,

Lastträger, ohne Lust und Leid,

Des Todes kalte Ware.[156]


Sie eilen mit dem toten Leib

Hinaus zum Ort der Ruhe.

Schlaf wohl, du armes Bettelweib,

In deiner morschen Truhe!


Dir folgt kein Mensch zum Glockenklang

Mit weinenden Gebärden;

Die Not nur blieb dir treu, solang

Von dir noch was auf Erden.


Dir gab der Menschen schnöder Geiz

Ein Leichentuch zerfetzet,

Hat ein verstümmelt Christuskreuz

Dir auf den Sarg gesetzet;


Doch kränkt dich nicht der bittre Spott

In deinem tiefen Frieden,

Daß man selbst einen schlechtern Gott

Dir auf den Weg beschieden.


Einst blühtest du im Jugendglanz,

Vom ganzen Dorf gepriesen

Die schönste Maid am Erntetanz,

Dort unten auf der Wiesen.


Folgt keiner dir der Bursche nach,

Die dort mit dir gesprungen?

Wohl längst die muntre Fiedel brach,

Die dort so hell geklungen!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 156-157.
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