Sechste Szene

[22] Geheimer Rat. Fritz von Berg. Gustchen.


GEHEIMER RAT. Was habt ihr, närrische Kinder? Was zittert ihr? – Gleich, gesteht mir alles. Was habt ihr hier gemacht? Ihr seid beide auf den Knien gelegen. – Junker Fritz, ich bitte mir eine Antwort aus; unverzüglich: – Was habt ihr vorgehabt?

FRITZ. Ich, gnädigster Papa?

GEHEIMER RAT. Ich? und das mit einem so verwundrungsvollen Ton? Siehst du: ich merk alles. Du möchtest mir itzt gern eine Lüge sagen, aber entweder bist du zu dumm dazu oder zu feig und willst dich mit deinem Ich? heraushelfen ... Und Sie Mühmchen? – Ich weiß, Gustchen verhehlt mir nichts.

GUSTCHEN fällt ihm um die Füße. Ach, mein Vater – –

GEHEIMER RAT hebt sie auf und küßt sie. Wünschst du mich zu deinem Vater? Zu früh, mein Kind, zu früh Gustchen, mein Kind. Du hast noch nicht kommuniziert. – Denn warum soll ich euch verhehlen, daß ich euch zugehört habe. – Das war ein sehr einfältig Stückchen von euch beiden; besonders von dir, großer vernünftiger Junker Fritz, der bald einen Bart haben wird wie ich und eine Perücke aufsetzen und einen Degen anstecken. Pfui, ich glaubt einen vernünftigern Sohn zu haben. Das macht dich gleich ein Jahr jünger und macht, daß du länger auf der Schule bleiben mußt. Und Sie, Gustchen, auch Ihnen muß ich sagen, daß es sich für Ihr Alter gar nicht mehr schickt, so kindisch zu tun. Was sind das für Romane, die Sie da spielen? Was für Eide, die Sie sich da schwören, und die ihr doch alle beide so gewiß brechen werdet als ich itzt mit euch rede. Meint ihr, ihr seid in den Jahren, Eide zu tun, oder meint ihr, ein Eid sei ein Kinderspiel, wie es das Versteckspiel oder die blinde Kuh ist? Lernt erst einsehen, was ein Eid ist: lernt erst zittern dafür, und alsdenn wagt's, ihn zu schwören. Wißt, daß[22] ein Meineidiger die schändlichste und unglücklichste Kreatur ist, die von der Sonne angeschienen wird. Ein solcher darf weder den Himmel ansehen, den er verleugnet hat, noch andere Menschen, die sich unaufhörlich vor ihm scheuen und seiner Gesellschaft mit mehr Sorgfalt ausweichen als einer Schlange oder einem tückischen Hunde.

FRITZ. Aber ich denke meinen Eid zu halten.

GEHEIMER RAT. In der Tat Romeo? Ha! du kannst dich auch erstechen, wenn's dazu kommt. Du hast geschworen, daß mir die Haare zu Berg standen. Also gedenkst du deinen Eid zu halten?

FRITZ. Ja Papa, bei Gott! ich denk ihn zu halten.

GEHEIMER RAT. Schwur mit Schwur bekräftigt! – Ich werd es deinem Rektor beibringen. Er soll Euch auf vierzehn Tage nach Sekunda herunter transportieren, Junker: inskünftige lernt behutsamer schwören. Und worauf? Steht das in deiner Gewalt, was du da versicherst? Du willst Gustchen heiraten! Denk doch! weißt du auch schon, was für ein Ding das ist, Heiraten? Geh doch, heirate sie: nimm sie mit auf die Akademie. Nicht? Ich habe nichts dawider, daß ihr euch gern seht, daß ihr euch lieb habt, daß ihr's euch sagt, wie lieb ihr euch habt; aber Narrheiten müßt ihr nicht machen; keine Affen von uns Alten sein, eh ihr so reif seid als wir; keine Romane spielen wollen, die nur in der ausschweifenden Einbildungskraft eines hungrigen Poeten ausgeheckt sind und von denen ihr in der heutigen Welt keinen Schatten der Wirklichkeit antrefft. Geht! ich werde keinem Menschen was davon sagen, damit ihr nicht nötig habt, rot zu werden, wenn ihr mich seht. – Aber von nun an sollt ihr einander nie mehr ohne Zeugen sehen. Versteht ihr mich? Und euch nie andere Briefe schreiben als offene, und das auch alle Monate oder höchstens alle drei Wochen einmal, und sobald ein heimliches Briefchen an Junker Fritz oder Fräulein Gustchen entdeckt[23] wird – so steckt man den Junker unter die Soldaten und das Fräulein ins Kloster, bis sie vernünftiger werden. Versteht ihr mich? – Jetzt – nehmt Abschied, hier in meiner Gegenwart. – Die Kutsche ist angespannt, der Major treibt fort; die Schwägerin hat schon Kaffee getrunken. – Nehmt Abschied: ihr braucht euch vor mir nicht zu scheuen. Geschwind, umarmt euch. Fritz und Gustchen umarmen sich zitternd. Und nun mein Tochter Gustchen, weil du doch das Wort so gern hörst, Hebt sie auf und küßt sie. leb tausendmal wohl, und begegne deiner Mutter mit Ehrfurcht; sie mag dir sagen was sie will. – Jetzt geh, mach! – Gustchen geht einige Schritte, sieht sich um; Fritz fliegt ihr weinend an den Hals. Die beiden Narren brechen mir das Herz! Wenn doch der Major vernünftiger werden wollte, oder seine Frau weniger herrschsüchtig! –

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 22-24.
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