Erste Szene

[24] Pastor Läuffer. Der Geheimer Rat.


GEHEIMER RAT. Ich bedaure ihn – und Sie noch vielmehr, Herr Pastor, daß Sie solchen Sohn haben.

PASTOR. Verzeihen Euer Gnaden, ich kann mich über meinen Sohn nicht beschweren; er ist ein sittsamer und geschickter Mensch, die ganze Welt und Dero Herr Bruder und Frau Schwägerin selbst werden ihm das eingestehen müssen.

GEHEIMER RAT. Ich sprech ihm das all nicht ab, aber er ist ein Tor und hat alle sein Mißvergnügen sich selber zu danken. Er sollte den Sternen danken, daß meinem Bruder[24] das Geld, das er für den Hofmeister zahlt, einmal anfängt zu lieb zu werden.

PASTOR. Aber bedenken Sie doch: nichts mehr als hundert Dukaten; hundert arme Dukätchen; und dreihundert hatt er ihm doch im ersten Jahr versprochen: aber beim Schluß desselben nur hundert und vierzig ausgezahlt, jetzt beim Beschluß des zweiten, da doch die Arbeit meines Sohnes immer zunimmt, zahlt' er ihm hundert, und nun beim Anfang des dritten wird ihm auch das zu viel. – Das ist wider alle Billigkeit! Verzeihn Sie mir.

GEHEIMER RAT. Laß es doch – Das hätt ich euch Leuten voraussagen wollen, und doch sollt Ihr Sohn Gott danken, wenn ihn nur der Major beim Kopf nähm und aus dem Hause würfe. Was soll er da, sagen Sie mir Herr? Wollen Sie ein Vater für Ihr Kind sein und schließen so Augen, Mund und Ohren für seine ganze Glückseligkeit zu? Tagdieben und sich Geld dafür bezahlen lassen? Die edelsten Stunden des Tages bei einem jungen Herrn versitzen, der nichts lernen mag und mit dem er's doch nicht verderben darf, und die übrigen Stunden, die der Erhaltung seines Lebens, den Speisen und dem Schlaf geheiligt sind, an einer Sklavenkette verseufzen; an den Winken der gnädigen Frau hängen und sich in die Falten des gnädigen Herrn hineinstudieren; essen, wenn er satt ist, und fasten, wenn er hungrig ist, Punsch trinken, wenn er p-ss-n möchte, und Karten spielen, wenn er das Laufen hat. Ohne Freiheit geht das Leben bergab rückwärts, Freiheit ist das Element des Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch der sich der Freiheit begibt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt seine süßesten Freuden des Lebens in der Blüte und ermordet sich selbst.

PASTOR. Aber – Oh! erlauben Sie mir; das muß sich ja jeder Hofmeister gefallen lassen; man kann nicht immer seinen Willen haben, und das läßt sich mein Sohn auch gern gefallen, nur –[25]

GEHEIMER RAT. Desto schlimmer, wenn er sich's gefallen läßt, desto schlimmer; er hat den Vorrechten eines Menschen entsagt, der nach seinen Grundsätzen muß leben können, sonst bleibt er kein Mensch. Mögen die Elenden, die ihre Ideen nicht zu höherer Glückseligkeit zu erheben wissen, als zu essen und zu trinken, mögen die sich im Käfigt zu Tode füttern lassen, aber ein Gelehrter, ein Mensch, der den Adel seiner Seele fühlt, der den Tod nicht so scheuen sollt als eine Handlung, die wider seine Grundsätze läuft ...

PASTOR. Aber was ist zu machen in der Welt? Was wollte mein Sohn anfangen, wenn Dero Herr Bruder ihm die Kondition aufsagten?

GEHEIMER RAT. Laßt den Burschen was lernen, daß er dem Staat nützen kann. Potz hundert Herr Pastor, Sie haben ihn doch nicht zum Bedienten aufgezogen, und was ist er anders als Bedienter, wenn er seine Freiheit einer Privatperson für einige Handvoll Dukaten verkauft? Sklav ist er, über den die Herrschaft unumschränkte Gewalt hat, nur daß er so viel auf der Akademie gelernt haben muß, ihren unbesonnenen Anmutungen von weitem zuvorzukommen und so einen Firnis über seine Dienstbarkeit zu streichen: das heißt denn ein feiner artiger Mensch, ein unvergleichlicher Mensch; ein unvergleichlicher Schurke, der, statt seine Kräfte und seinen Verstand dem allgemeinen Besten aufzuopfern, damit die Rasereien einer dampfigten Dame und eines abgedämpften Offiziers unterstützt, die denn täglich weiter um sich fressen wie ein Krebsschaden und zuletzt unheilbar werden. Und was ist der ganze Gewinst am Ende? Alle Mittag Braten und alle Abend Punsch, und eine große Portion Galle, die ihm Tags über ins Maul gestiegen, abends, wenn er zu Bett liegt, hinabgeschluckt wie Pillen; das macht gesundes Blut, auf meine Ehr! und muß auch ein vortreffliches Herz auf die Länge geben. Ihr beklagt euch so viel übern Adel und über seinen Stolz,[26] die Leute sähn Hofmeister wie Domestiken an, Narren! was sind sie denn anders? Stehn sie nicht in Lohn und Brod bei ihnen wie jene? Aber wer heißt euch ihren Stolz nähren? Wer heißt euch Domestiken werden, wenn ihr was gelernt habt, und einem starrköpfischen Edelmann zinsbar werden, der sein Tage von seinen Hausgenossen nichts anders gewohnt war als sklavische Unterwürfigkeit?

PASTOR. Aber Herr Geheimer Rat – Gütiger Gott! es ist in der Welt nicht anders: man muß eine Warte haben, von der man sich nach einem öffentlichen Amt umsehen kann, wenn man von Universitäten kommt; wir müssen den göttlichen Ruf erst abwarten, und ein Patron ist sehr oft das Mittel zu unserer Beförderung: wenigstens ist es mir so gegangen.

GEHEIMER RAT. Schweigen Sie, Herr Pastor, ich bitt Sie, schweigen Sie. Das gereicht Ihnen nicht zur Ehr. Man weiß ja doch, daß Ihre selige Frau Ihr göttlicher Ruf war, sonst säßen Sie noch itzt beim Herrn von Tiesen und düngten ihm seinen Acker. Jemine! daß ihr Herrn uns doch immer einen so ehrwürdigen schwarzen Dunst vor Augen machen wollt. Noch nie hat ein Edelmann einen Hofmeister angenommen, wo er ihm nicht hinter eine Allee von acht neun Sklavenjahren ein schön Gemälde von Beförderung gestellt hat, und wenn ihr acht Jahr gegangen waret, so macht' er's wie Laban und rückte das Bild um noch einmal so weit vorwärts. Possen! lernt etwas und seid brave Leut. Der Staat wird euch nicht lang am Markt stehen lassen. Brave Leut sind allenthalben zu brauchen, aber Schurken, die den Namen vom Gelehrten nur auf den Zettel tragen und im Kopf ist leer Papier ...

PASTOR. Das ist sehr allgemein gesprochen, Herr Rat! – Es müssen doch, bei Gott! auch Hauslehrer in der Welt sein; nicht jedermann kann gleich Geheimer Rat werden, und wenn er gleich ein Hugo Grotius wär. Es gehören heutiges Tags andere Sachen dazu als Gelehrsamkeit.[27]

GEHEIMER RAT. Sie werden warm, Herr Pastor! – Lieber, werter Herr Pastor, lassen Sie uns den Faden unsers Streits nicht verlieren. Ich behaupt: es müssen keine Hauslehrer in der Welt sein! das Geschmeiß taucht den Teufel zu nichts.

PASTOR. Ich bin nicht hergekommen mir Grobheiten sagen zu lassen: ich bin auch Hauslehrer gewesen. Ich habe die Ehre – –

GEHEIMER RAT. Warten Sie; bleiben Sie, lieber Herr Pastor! Behüte mich der Himmel! Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, und wenn's wider meinen Willen geschehen ist, so bitt ich Sie tausendmal um Verzeihung. Es ist einmal meine üble Gewohnheit, daß ich gleich in Feuer gerate, wenn mir ein Gespräch interessant wird: alles übrige verschwindt mir denn aus dem Gesicht und ich sehe nur den Gegenstand, von dem ich spreche.

PASTOR. Sie schütten – verzeihen Sie mir, ich bin auch ein Cholerikus und rede gern von der Lunge ab – Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Hauslehrer taugen zu nichts – wie können Sie mir das beweisen? Wer soll euch jungen Herrn denn Verstand und gute Sitten beibringen! Was wär aus Ihnen geworden, mein werter Herr Geheimer Rat, wenn Sie keinen Hauslehrer gehabt hätten?

GEHEIMER RAT. Ich bin von meinem Vater zur öffentlichen Schul gehalten worden und segne seine Asche dafür, und so, hoff ich, wird mein Sohn Fritz auch dereinst tun.

PASTOR. Ja – da ist aber noch viel drüber zu sagen Herr! Ich meinerseits bin Ihrer Meinung nicht; ja wenn die öffentlichen Schulen das wären, was sie sein sollten – Aber die nüchternen Subjecta, so oft den Klassen vorstehen; die pedantischen Methoden, die sie brauchen, die unter der Jugend eingerissenen verderbten Sitten –

GEHEIMER RAT. Wes ist die Schuld? Wer ist schuld dran, als ihr[28] Schurken von Hauslehrern? Würde der Edelmann nicht von euch in der Grille gestärkt, einen kleinen Hof anzulegen, wo er als Monarch oben auf dem Thron sitzt und ihm Hofmeister und Mamsell und ein ganzer Wisch von Tagdieben huldigen, so würd er seine Jungen in die öffentliche Schule tun müssen; er würde das Geld, von dem er jetzt seinen Sohn zum hochadlichen Dummkopf aufzieht, zum Fonds der Schule schlagen: davon könnten denn gescheite Leute salariert werden und alles würde seinen guten Gang gehn; das Studentchen müßte was lernen, um bei einer solchen Anstalt brauchbar zu werden, und das junge Herrchen, anstatt seine Faulenzerei vor den Augen des Papas und der Tanten, die alle keine Argusse sind, künstlich und manierlich zu verstecken, würde seinen Kopf anstrengen müssen, um es den bürgerlichen Jungen zuvorzutun, wenn es sich doch von ihnen unterscheiden will. – Was die Sitten anbetrifft, das findt sich wahrhaftig – wenn er gleich nicht wie seine hochadliche Vettern die Nase von Kindesbeinen an höher tragen lernt als andere und in einem nachlässigen Ton von oben herab Unsinn sagen und Leuten ins Gesicht sehen, wenn sie den Hut vor ihm abziehen, um ihnen dadurch anzudeuten, daß sie auf kein Gegenkompliment warten sollen. Die feinen Sitten hol der Teufel! Man kann dem Jungen Tanzmeister auf der Stube halten und ihn in artige Gesellschaften führen, aber er muß durchaus nicht aus der Sphäre seiner Schulkamraden herausgehoben und in der Meinung gestärkt werden, er sei eine bessere Kreatur als andere.

PASTOR. Ich habe nicht Zeit, Zieht die Uhr heraus. mich in den Disput weiter mit Ihnen einzulassen, gnädiger Herr; aber so viel weiß ich, daß der Adel überall nicht Ihrer Meinung sein wird.

GEHEIMER RAT. So sollten die Bürger meiner Meinung sein – Die Not würde den Adel schon auf andere Gedanken bringen, und wir könnten uns bessere Zeiten versprechen.[29] Sapperment, was kann aus unserm Adel werden, wenn ein einziger Mensch das Faktotum bei dem Kinde sein soll, ich setz auch den unmöglichen Fall, daß er ein Polyhistor wäre, wo will der eine Mann Feuer und Mut und Tätigkeit hernehmen, wenn er alle seine Kräfte auf einen Schafskopf konzentrieren soll, besonders wenn Vater und Mutter sich kreuz und die Quer immer mit in die Erziehung mengen und dem Faß, in welches er füllt, den Boden immer wieder ausschlagen?

PASTOR. Ich bin um zehn Uhr zu einem Kranken bestellt. Sie werden mir verzeihen. – Im Abgehen wendt er sich um. Aber wär's nicht möglich, gnädiger Herr, daß Sie Ihren zweiten Sohn nur auf ein halb Jährchen zum Herrn Major in die Kost täten? Mein Sohn will gern mit achtzig Dukaten zufrieden sein, aber mit sechzigen, die ihm der Herr Bruder geben wollen, da kann er nicht von subsistieren.

GEHEIMER RAT. Laß ihn quittieren – Ich tu es nicht, Herr Pastor! Davon bin ich nicht abzubringen. Ich will Ihrem Herrn Sohn die dreißig Dukaten lieber schenken; aber meinen Sohn geb ich zu keinem Hofmeister. Der Pastor hält ihm einen Brief hin. Was soll ich damit? Es ist alles umsonst, sag ich Ihnen.

PASTOR. Lesen Sie – lesen Sie nur. –

GEHEIMER RAT. Je nun, Ihm ist nicht – Liest. »– – wenden Sie doch alles an, den Herrn Geheimen Rat dahin zu vermögen – Sie können sich nicht vorstellen, wie elend es mir hier geht; nichts wird mir gehalten, was mir ist versprochen worden. Ich speise nur mit der Herrschaft, wenn keine Fremde da sind – – das ärgste ist, daß ich gar nicht von hier komme und in einem ganzen Jahr meinen Fuß nicht aus Heidelbrunn habe setzen – man hatte mir ein Pferd versprochen, alle viertel Jahr einmal nach Königsberg zu reisen, als ich es foderte, fragte mich die gnädige Frau, ob ich nicht lieber zum Karneval nach Venedig wollte –« Wirft den Brief an die Erde.[30] Je nun, laß ihn quittieren; warum ist er ein Narr und bleibt da?

PASTOR. Ja das ist eben die Sache. Hebt den Brief auf. Belieben Sie doch nur auszulesen.

GEHEIMER RAT. Was ist da zu lesen? – Liest. »Dem ohngeachtet kann ich dies Haus nicht verlassen, und sollt es mich Leben und Gesundheit kosten. So viel darf ich Ihnen sagen, daß die Aussichten in eine selige Zukunft mir alle die Mühseligkeiten meines gegenwärtigen Standes« – Ja, das sind vielleicht Aussichten in die selige Ewigkeit, sonst weiß ich keine Aussichten, die mein Bruder ihm eröffnen könnte. Er betrügt sich, glauben Sie mir's; schreiben Sie ihm zurück, daß er ein Tor ist. Dreißig Dukaten will ich ihm dies Jahr aus meinem Beutel Zulage geben, aber ihn auch zugleich gebeten haben, mich mit allen fernern Anwerbungen um meinen Karl zu verschonen: denn ihm zu Gefallen werd ich mein Kind nicht verwahrlosen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 24-31.
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