Sechste Szene

[42] Die Majorin. Graf Wermuth.


GRAF. Aber gnädige Frau! kriegt man denn Fräulein Gustchen gar nicht mehr zu sehen? Wie befindt sie sich auf die vorgestrige Jagd?

MAJORIN. Zu Ihrem Befehl; sie hat die Nacht Zahnschmerzen gehabt, darum darf sie sich heut nicht sehen lassen. Was macht Ihr Magen, Graf! auf die Austern?

GRAF. O das bin ich gewohnt. Ich habe neulich mit meinem Bruder ganz allein auf unsre Hand sechshundert Stück aufgegessen und zwanzig Bouteillen Champagner dabei ausgetrunken.

MAJORIN. Rheinwein wollten Sie sagen.

GRAF. Champagner – Es war eine Idee und ist uns beiden recht gut bekommen. Denselben Abend war Ball in Königsberg, mein Bruder hat bis an den andern Mittag getanzt und ich Geld verloren.

MAJORIN. Wollen wir ein Piquet machen?

GRAF. Wenn Fräulein Gustchen käme, macht ich ein paar Touren im Garten mit ihr. Ihnen, gnädige Frau, darf ich's nicht zumuten; mit Ihrer Fontenelle am Fuß.

MAJORIN. Ich weiß auch nicht, wo der Major immer steckt. Er ist in seinem Leben so rasend nicht auf die Ökonomie gewesen; den ganzen ausgeschlagenen Tag auf dem Felde, und wenn er nach Hause kommt, sitzt er stumm wie ein Stock. Glauben Sie, daß ich anfange mir Gedanken drüber zu machen.

GRAF. Er scheint melancholisch.

MAJORIN. Weiß es der Himmel – Neulich hatt er wieder einmal den Einfall bei mir zu schlafen, und da ist er mitten in der Nacht aus dem Bett' aufgesprungen und hat sich – He he, ich sollt's Ihnen nicht erzählen, aber Sie kennen ja die lächerliche Seite von meinem Mann schon.

GRAF. Und hat sich ...[42]

MAJORIN. Auf die Knie niedergeworfen und an die Brust geschlagen und geschluchst und geheult, daß mir zu grauen anfing. Ich hab ihn aber nicht fragen mögen, was gehen mich seine Narrheiten an? Mag er Pietist oder Quacker werden. Meinethalben! Er wird dadurch weder häßlicher noch liebenswürdiger in meinen Augen werden, als er ist.


Sieht den Grafen schalkhaft an.


GRAF faßt sie ans Kinn. Boshafte Frau! – Aber wo ist Gustchen? Ich möchte gar zu gern mit ihr spazieren gehn.

MAJORIN. Still da kommt ja der Major ... Sie können mit ihm gehen, Graf.

GRAF. Denk doch – Ich will nun aber mit Ihrer Tochter gehn.

MAJORIN. Sie wird noch nicht angezogen sein: es ist was Unausstehliches, wie faul das Mädchen ist –


Major von Berg kommt im Nachtwämschen, einen Strohhut auf.


MAJORIN. Nun wie steht's, Mann? Wo treiben Sie sich denn wieder herum? Man kriegt Sie ja den ganzen Tag nicht zu sehen. Sehn Sie ihn nur an Herr Graf; sieht er doch wie der Heautontimorumenos in meiner großen Madame Dacier abgemalt – Ich glaube, du hast gepflügt, Herr Major? Wir sind itzt in den Hundstagen.

GRAF. In der Tat, Herr Major, Sie haben noch nie so übel ausgesehen, blaß, hager, Sie müssen etwas haben, das Ihnen auf dem Gemüt liegt, was bedeuten die Tränen in Ihren Augen, sobald man Sie aufmerksam ansieht? Ich kenne Sie doch zehn Jahr schon und habe Sie nie so gesehen, selbst da nicht, als Ihr Bruder starb.

MAJORIN. Geiz, nichts als der leidige Geiz, er meint, wir werden verhungern, wenn er nicht täglich wie ein Maulwurf auf dem Felde wühlt. Bald gräbt er, bald pflügt er, bald eggt er. Du willst doch nicht Bauer werden? Du mußt mir vorher einen andern Mann geben, der die Aufsicht über dich führt.[43]

MAJOR. Ich muß wohl schaffen und scharren, meiner Tochter einen Platz im Hospital auszumachen.

MAJORIN. Was sind das nun wieder für Phantasien! – Ich muß wahrhaftig den Doktor Würz noch aus Königsberg holen lassen.

MAJOR. Du siehst nimmer nichts, vornehme Frau! daß dein Kind von Tag zu Tag abfällt, daß sie Schönheit, Gesundheit und den ganzen Plunder verliert und dahergeht, als ob sie, hol mich der Teufel – Gott verzeih mir meine schwere Sünde – als ob der arme Lazarus sie gemacht hätte – Es frißt mir die Leber ab –

MAJORIN. Hören Sie ihn nur! Wie er mich anfährt! Bin ich schuld daran? Bist du denn wahnwitzig?

MAJOR. Ja freilich bist du schuld daran, oder was ist sonst schuld daran? Ich kann's, zerschlag mich der Donner! nicht begreifen. Ich dacht immer, ihr eine der ersten Partien im Reich auszumachen; denn sie hat auf der ganzen Welt an Schönheit nicht ihres gleichen gehabt, und nun sieht sie aus wie eine Kühmagd – Ja freilich bist du schuld daran mit deiner Strenge und deinen Grausamkeiten und deinem Neid, das hat sie sich zu Gemüt gezogen und das ist ihr nun zum Gesicht herausgeschlagen, aber das ist deine Freude, gnädige Frau, denn du bist lang schalu über sie gewesen. Das kannst du doch nicht leugnen? Solltst dich in dein Herz schämen, wahrhaftig!


Geht ab.


MAJORIN. Aber ... aber was sagen Sie dazu, Herr Graf! Haben Sie in Ihrem Leben eine ärgere Kollektion von Sottisen gesehen?

GRAF. Kommen Sie; wir wollen Piquet spielen, bis Fräulein Gustchen angezogen ist ...[44]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 42-45.
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