Siebente Szene

[45] In Halle. Fritz von Berg im Gefängnis. Bollwerk, von Seiffenblase und sein Hofmeister stehn um ihn.


BOLLWERK. Wenn ich doch den Jungen hier hätte, das Fell zög ich ihm über die Ohren. Es ist mit alledem doch infam gehandelt, einen ehrlichen Jungen wie Berg ins Karzer zu bringen; da sich keiner sein hat annehmen wollen. Denn das ist ja wahr, kein einziger Landsmann hat den Fuß vor die Tür seinethalben gesetzt. Wenn Berg nicht gut für ihn gesagt hätte, wär er im Gefängnis verfault. Und in vierzehn Tagen soll das Geld hier sein, und wo er den Berg in Verlegenheit läßt, soll man ihn für einen ausgemachten Schurken halten. O du verdammter Pä Pä Pä Pä Pätus! Wart du verhenkerter Pätus, wart einmal! –

HOFMEISTER. Ich kann Ihnen nicht genug beschreiben, lieber Herr von Berg, wie leid es mir besonders um Ihres Herrn Vaters und der Familie willen tut, Sie in einem solchen Zustande zu sehen und noch dazu ohne Ihre Schuld, aus bloßer jugendlicher Unbesonnenheit. Es hat schon einer von den sieben Weisen Griechenlandes gesagt, für Bürgschaften sollst du dich in Acht nehmen, und in der Tat es ist nichts unverschämter, als daß ein junger Durchbringer, der sich durch seine lüderliche Wirtschaft ins Elend gestürzt hat, auch andere mit hineinziehen will, denn vermutlich hat er das gleich anfangs im Sinne gehabt, als er auf der Akademie Ihre Freundschaft suchte.

HERR VON SEIFFENBLASE. Ja ja, lieber Bruder Berg! nimm mir nicht übel, da hast du einen großen Bock gemacht. Du bist selbst schuld daran; dem Kerl hättst du's doch gleich ansehen können, daß er dich betrügen würde. Er ist bei mir auch gewesen und hat mich angesprochen: er[45] wär aufs Äußerste getrieben, seine Kreditores wollten ihn wegstecken lassen, wo ihn nicht Sonn noch Mond beschiene. Laß sie dich, dacht ich, es schadt dir nichts. Das ist dafür, daß du uns sonst kaum über die Achsel ansahst, aber wenn ihr in Not seid, da sind die Adelichen zu Kaventen gut genug. Er erzählte mir langes und breites; er hätte seine Pistolen schon geladen, im Fall die Kreditores ihn angriffen – Und nun läßt der lüderliche Hund dich an seiner Stelle prostituieren. Das ist wahr, wenn mir das geschehen wäre, ich könnte so ruhig nicht dabei sein: zwischen vier Mauren der Herr von Berg, und das um eines lüderlichen Studenten willen.

FRITZ. Er war mein Schulkamerad – – Laßt ihn zufrieden. Wenn ich mich nicht über ihn beklage, was geht's euch an? Ich kenn ihn länger als ihr; ich weiß, daß er mich nicht mit seinem guten Willen hier sitzen läßt.

HOFMEISTER. Aber Herr von Berg, wir müssen in der Welt mit Vernunft handeln. Sein Schade ist es gewiß nicht, daß Sie hier für ihn sitzen, und seinethalben können Sie noch ein Säkulum so sitzen bleiben –

FRITZ. Ich hab ihn von Jugend auf gekannt: wir haben uns noch niemals was abgeschlagen. Er hat mich wie seinen Bruder geliebt, ich ihn wie meinen. Als er nach Halle reiste, weint' er zum erstenmal in seinem Leben, weil er nicht mit mir reisen konnte. Ein ganzes Jahr früher hätt er schon auf die Akademie gehn können, aber um mit mir zusammen zu reisen, stellt' er sich gegen die Präceptores dummer als er war, und doch wollt es das Schicksal und unsre Väter so, daß wir nicht zusammen reisten, und das war sein Unglück. Er hat nie gewußt mit Geld umzugehen und gab jedem was er verlangte. Hätt ihm ein Bettler das letzte Hemd vom Leibe gezogen und dabei gesagt: mit Ihrer Erlaubnis, lieber Herr Pätus! er hätt's ihm gelassen. Seine Kreditores gingen mit ihm um wie Straßenräuber, und sein Vater[46] verdiente nie, einen verlornen Sohn zu haben, der bei all seinem Elend ein so gutes Herz nach Hause brachte.

HOFMEISTER. O verzeihn Sie mir, Sie sind jung und sehen alles noch aus dem vorteilhaftesten Gesichtspunkt an: man muß erst eine Weile unter den Menschen gelebt haben um Charaktere beurteilen zu können. Der Herr Pätus, oder wie er da heißt, hat sich Ihnen bisher immer nur unter der Maske gezeigt; jetzt kommt sein wahres Gesicht erst ans Tageslicht: er muß einer der feinsten und abgefeimtesten Betrüger gewesen sein, denn die treuherzigen Spitzbuben ...

PÄTUS in Reisekleidern, fällt Berg um den Hals. Bruder Berg – –

FRITZ. Bruder Pätus – –

PÄTUS. Nein – laß – zu deinen Füßen muß ich liegen – Dich hier – um meinetwillen. Rauft sich das Haar mit beiden Händen und stampft mit den Füßen. O Schicksal! Schicksal! Schicksal!

FRITZ. Nun wie ist's? Hast du Geld mitgebracht? Ist dein Vater versöhnt? Was bedeutet dein Zurückkommen?

PÄTUS. Nichts, nichts – Er hat mich nicht vor sich gelassen – Hundert Meilen umsonst gereist! – Ihr Diener, ihr Herren. Bollwerk wein nicht, du erniedrigst mich zu tief, wenn du gut für mich denkst – O Himmel, Himmel!

FRITZ. So bist du der ärgste Narr, der auf dem Erdboden wandelt. Warum kommst du zurück? Bist du wahnwitzig? Haben alle deine Sinne dich verlassen? Willst du, daß die Kreditores dich gewahr werden – Fort! Bollwerk, führ ihn fort; sieh daß du ihn sicher aus der Stadt bringst – Ich höre den Pedell – Pätus, ewig mein Feind, wo du nicht im Augenblick –

PÄTUS wirft sich ihm zu Füßen.

FRITZ. Ich möchte rasend werden. –

BOLLWERK. So sei doch nun kein Narr, da Berg so großmütig ist und für dich sitzen bleiben will; sein Vater[47] wird ihn schon auslösen: aber wenn du einmal sitzest, so ist keine Hoffnung mehr für dich; du mußt im Gefängnis verfaulen.

PÄTUS. Gebt mir einen Degen her ...

FRITZ. Fort! –

BOLLWERK. Fort! –

PÄTUS. Ihr tut mir eine Barmherzigkeit, wenn ihr mir einen Degen –

SEIFFENBLASE. Da haben Sie meinen ...

BOLLWERK greift ihn in den Arm. Herr – Schurke! Lassen Sie – Stecken Sie nicht ein! Sie sollen nicht umsonst gezogen haben. Erst will ich meinen Freund in Sicherheit und dann erwarten Sie mich hier – Draußen, wohl zu verstehen; also vor der Hand zur Tür hinaus! Wirft ihn zur Tür hinaus.

HOFMEISTER. Mein Herr Bollwerk –

BOLLWERK. Kein Wort, Sie – Gehen Sie Ihrem Jungen nach und lehren Sie ihn, kein schlechter Kerl sein – Sie können mich haben wo und wie Sie wollen.


Der Hofmeister geht ab.


PÄTUS. Bollwerk! ich will dein Sekundant sein.

BOLLWERK. Narr auch! Du tust als – Willst du mir den Handschuh vielleicht halten, wenn ich vorher eins übern Daumen pisse? – Was braucht's da Sekundanten. Komm nur fort und sekundiere dich zur Stadt hinaus, Hasenfuß.

PÄTUS. Aber ihrer sind zwei.

BOLLWERK. Ich wünschte, daß ihrer zehn wären und keine Seiffenblasen drunter – So komm doch und mach dich nicht selbst unglücklich, närrischer Kerl.

PÄTUS. Berg! – Bollwerk reißt ihn mit sich fort.[48]

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 45-49.
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