Vierte Szene

[56] Die Schule. Wenzeslaus und Läuffer an einem ungedeckten Tisch, speisend.


WENZESLAUS. Schmeckt's? Nicht wahr, es ist ein Abstand von meinem Tisch und des Majors? Aber wenn der[56] Schulmeister Wenzeslaus seine Wurst ißt, so hilft ihm das gute Gewissen verdauen, und wenn der Herr Mandel Kapaunenbraten mit der Schampignonsauce aß, so stieß ihm sein Gewissen jeden Bissen, den er hinabschluckte, mit der Moral wieder in Hals zurück: Du bist ein – Denn sagt mir einmal, lieber Herr Mandel; nehmt mir nicht übel, daß ich Euch die Wahrheit sage, das würzt das Gespräch wie Pfeffer den Gurkensalat; sagt mir einmal, ist das nicht hundsföttisch, wenn ich davon überzeugt bin, daß ich ein Ignorant bin und meine Untergebenen nichts lehren kann und also müßig bei ihnen gehe und sie müßig gehen lasse und dem lieben Gott ihren Tag stehlen, und doch hundert Dukaten – war's nicht soviel? Gott verzeih mir, ich hab in meinem Leben nicht so viel Geld auf einem Haufen beisammen gesehen! – hundert funfzig Dukaten, sag ich, in Sack stecke, für nichts und wieder nichts!

LÄUFFER. O! und Sie haben noch nicht alles gesagt, Sie kennen Ihren Vorzug nicht ganz, oder fühlen ihn, ohn ihn zu kennen. Haben Sie nie einen Sklaven im betreßten Rock gesehen? O Freiheit, güldene Freiheit!

WENZESLAUS. Ei was Freiheit! Ich bin auch so frei nicht; ich bin an meine Schule gebunden und muß Gott und meinem Gewissen Rechenschaft von geben.

LÄUFFER. Eben das – Aber wie, wenn Sie den Grillen eines wunderlichen Kopfs davon Rechenschaft ablegen müßten, der mit Ihnen umginge hundertmal ärger als Sie mit Ihren Schulknaben?

WENZESLAUS. Ja nun – dann müßt er aber auch an Verstand so weit über mich erhaben sein wie ich über meine Schulknaben, und das trifft man selten, glaub ich wohl; besonders bei unsern Edelleuten; da mögt Ihr wohl recht haben: wenigstens der Flegel da, der mir vorhin in meine Kammer wollte, ohne mich vorher um Erlaubnis zu bitten. Wenn ich zum Herrn Grafen käme und wollt ihm mir nichts, dir nichts die Zimmer visitieren – Aber[57] potz Millius, so eßt doch; Ihr macht ja ein Gesicht, als ob Ihr zu laxieren einnähmt. Nicht wahr, Ihr hättet gern ein Glas Wein dazu? Ich hab Euch zwar vorhin eins versprochen, aber ich habe keinen im Hause. Morgen werd ich wieder bekommen, und da trinken wir Sonntags und Donnerstags, und wenn der Organist Franz zu uns kommt extra. Wasser, Wasser, mein Freund, αριστον μεν το ύδωρ, das hab ich noch von der Schule mitgebracht, und da eine Pfeife dazu geraucht nach dem Essen im Mondenschein und einen Gang ums Feld gemacht; da läßt sich drauf schlafen, vergnügter als der große Mogul – Ihr raucht doch eins mit heut?

LÄUFFER. Ich will's versuchen; ich hab in meinem Leben nicht geraucht.

WENZESLAUS. Ja freilich, ihr Herren weiß und rot, das verderbt euch die Zähne. Nicht wahr? und verderbt euch die Farbe; nicht wahr? Ich habe geraucht, als ich kaum von meiner Mutter Brust entwöhnt war; die Warze mit dem Pfeifenmundstück verwechselt. He he he! Das ist gut wider die böse Luft und wider die bösen Begierden ebenfalls. Das ist so meine Diät: des Morgens kalt Wasser und eine Pfeife, dann Schul gehalten bis eilfe, dann wieder eine Pfeife bis die Suppe fertig ist: die kocht mir mein Gottlieb so gut als eure französische Köche, und da ein Stück Gebratenes und Zugemüse und dann wieder eine Pfeife, dann wieder Schul gehalten, dann Vorschriften geschrieben bis zum Abendessen; da eß ich denn gemeiniglich kalt etwas, eine Wurst mit Salat, ein Stück Käs oder was der liebe Gott gegeben hat, und dann wieder eine Pfeife vor Schlafengehen.

LÄUFFER. Gott behüte, ich bin in eine Tabagie gekommen –

WENZESLAUS. Und da werd ich dick und fett bei und lebe vergnügt und denke noch ans Sterben nicht.

LÄUFFER. Es ist aber doch unverantwortlich, daß die Obrigkeit nicht dafür sorgt, Ihnen das Leben angenehmer zu machen.[58]

WENZESLAUS. Ei was, es ist nun einmal so; und damit muß man zufrieden sein: bin ich doch auch mein eigner Herr und hat kein Mensch mich zu schikanieren, da ich alle Tage weiß, daß ich mehr tu als ich soll. Ich soll meinen Buben lesen und schreiben lehren; ich lehre sie rechnen dazu und Lateinisch dazu und mit Vernunft lesen dazu und gute Sachen schreiben dazu.

LÄUFFER. Und was für Lohn haben Sie dafür?

WENZESLAUS. Was für Lohn? – Will Er denn das kleine Stückchen Wurst da nicht aufessen? Er kriegt nichts Bessers; wart Er auf nichts Bessers, oder Er muß das erstemal seines Lebens hungrig zu Bette gehn – Was für Lohn? Das war dumm gefragt, Herr Mandel. Verzeih Er mir; was für Lohn? Gottes Lohn hab ich dafür, ein gutes Gewissen, und wenn ich da vielen Lohn von der Obrigkeit begehren wollte, so hätt ich ja meinen Lohn dahin. Will Er denn den Gurkensalat durchaus verderben lassen? So eß Er doch; so sei Er doch nicht blöde: bei einer schmalen Mahlzeit muß man zum Kuckuck nicht blöde sein. Wart Er, ich will Ihm noch ein Stück Brod abschneiden.

LÄUFFER. Ich bin satt überhörig.

WENZESLAUS. Nun so laß Er's stehen; aber es ist Seine eigne Schuld wenn's nicht wahr ist. Und wenn es wahr ist, so hat Er unrecht, daß Er sich überhörig satt ißt, denn das macht böse Begierden und schläfert den Geist ein. Ihr Herren weiß und rot mögt's glauben oder nicht. Man sagt zwar auch vom Toback, daß er ein narkotisches, schläfrigmachendes, dummachendes Öl habe, und ich hab's bisweilen auch wohl so wahrgefunden und bin versucht worden, Pfeife und allen Henker ins Kamin zu werfen, aber unsere Nebel hier herum beständig und die feuchte Winter- und Herbstluft alleweile und denn die vortreffliche Wirkung, die ich davon verspüre, daß es zugleich die bösen Begierden mit einschläfert – Holla, wo seid Ihr denn, lieber Mann? Eben da ich[59] vom Einschläfern rede, nickt Ihr schon; so geht's, wenn der Kopf leer ist und faul dabei und niemals ist angestrengt worden. Allons! frisch, eine Pfeife mit mir geraucht! Stopft sich und ihm. Laßt uns noch eins mit einander plaudern! Raucht. Ich hab Euch schon vorhin in der Küche sagen wollen: ich sehe, daß Ihr schwach in der Latinität seid, aber da Ihr doch eine gute Hand schreibt, wie Ihr sagt, so könntet Ihr mir doch so abends an die Hand gehen, weil ich meiner Augen muß anfangen zu schonen, und meinen Buben die Vorschriften schreiben. Ich will Euch dabei Corderii Colloquia geben und Gürtleri Lexicon; wenn Ihr fleißig sein wollt. Ihr habt ja den ganzen Tag für Euch, so könnt Ihr Euch in der lateinischen Sprache was umtun, und wer weiß wenn es Gott gefällt mich heute oder morgen von der Welt zu nehmen – Aber Ihr müßt fleißig sein, das sag ich Euch, denn so seid Ihr ja noch kaum zum Kollaborator tüchtig, geschweige denn –


Trinkt.


LÄUFFER legt die Pfeife weg. Welche Demütigung!

WENZESLAUS. Aber ... aber ... aber Reißt ihm den Zahnstocher aus dem Munde. was ist denn das da? Habt Ihr denn noch nicht einmal so viel gelernt, großer Mensch, daß Ihr für Euren eignen Körper Sorge tragen könnt. Das Zähnestochern ist ein Selbstmord; ja ein Selbstmord, eine mutwillige Zerstörung Jerusalems, die man mit seinen Zähnen vornimmt. Da, wenn Euch was im Zahn sitzen bleibt: Nimmt Wasser und schwängt den Mund aus. So müßt Ihr's machen, wenn Ihr gesunde Zähne behalten wollt, Gott und Eurem Nebenmenschen zu Ehren, und nicht einmal im Alter herumlaufen wie ein alter Kettenhund, dem die Zähne in der Jugend ausgebrochen worden und der die Kinnbacken nicht zusammenhalten kann. Das wird einen schönen Schulmeister abgeben, will's Gott, wenn ihm aufs Alter die Worte ungeboren zum Munde herausfallen und er[60] zwischen Nase und Oberlippen da was herausschnarcht, das kein Hund oder Hahn versteht.

LÄUFFER. Der wird mich noch zu Tode meistern – Das unerträglichste ist, daß er recht hat –

WENZESLAUS. Nun wie geht's? Schmeckt Euch der Toback nicht? Ich wette, nur ein paar Tage noch mit dem alten Wenzeslaus zusammen, so werdt Ihr rauchen wie ein Bootsknecht. Ich will Euch nach meiner Hand ziehen, daß Ihr Euch selber nicht mehr wieder kennen sollt.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 56-61.
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