Sechste Szene

[84] In Leipzig. Pätus an einem Tisch und schreibt. Berg tritt herein einen Brief in der Hand.


PÄTUS sieht auf und schreibt fort.

FRITZ. Pätus! – Hast zu tun?

PÄTUS. Gleich – Fritz spaziert auf und ab. Jetzt – Legt das Schreibzeug weg.

FRITZ. Pätus! ich hab einen Brief bekommen – und hab nicht das Herz, ihn aufzumachen.

PÄTUS. Von wo kommt er? Ist's deines Vaters Hand?

FRITZ. Nein, von Seiffenblase – aber die Hand zittert mir, so bald ich erbrechen will. Brich doch auf, Bruder, und lies mir vor.


Wirft sich auf einen Lehnstuhl.


PÄTUS liest. »Die Erinnerung so mancher angenehmen Stunden, deren ich mich noch mit Ihnen genossen zu haben erinnere, verpflichtet mich, Ihnen zu schreiben und Sie an diese angenehme Stunden zu erinnern« – Was der Junge für eine rasende Orthographie hat.

FRITZ. Lies doch nur –

PÄTUS. »Und weil ich mich verpflichtet hielt, Ihnen Nachrichten von meiner Ankunft und den Neuigkeiten, die allhier vorgefallen, als melde Ihnen von Dero wertesten Familie, welche leider sehr viele Unglücksfälle in diesem Jahre erlebt hat, und wegen der Freundschaft, welche ich in Dero Eltern ihrem Hause genossen, sehe mich verpflichtet, weil ich weiß, daß Sie mit Ihrem Herrn Vater in Mißverständnis und er Ihnen lange wohl nicht wird geschrieben haben, so werden Sie auch wohl den Unglücksfall nicht wissen mit dem Hofmeister, welcher aus Ihres gnädigen Onkels Hause ist gejagt worden, weil er Ihre Kusine genotzüchtigt, worüber sie sich so zu Gemüt gezogen, daß sie in einen Teich gesprungen, durch welchen Trauerfall Ihre ganze Familie in den höchsten[84] Schröcken« – Berg! was ist dir – Begießt ihn mit Lavendel. Wie nun Berg? Rede, wird dir weh – Hätt ich dir doch den verdammten Brief nicht – Ganz gewiß ist's eine Erdichtung – Berg! Berg!

FRITZ. Laß mich – Es wird schon übergehn.

PÄTUS. Soll ich jemand holen, der dir die Ader schlägt.

FRITZ. O pfui doch – tu doch so französisch nicht – Lies mir's noch einmal vor.

PÄTUS. Ja, ich werde dir – Ich will den hundsföttischen maliziösen Brief den Agenblick –


Zerreißt ihn.


FRITZ. Genotzüchtigt – ersäuft. Schlägt sich an die Stirn. Meine Schuld! Steht auf. meine Schuld einzig und allein –

PÄTUS. Du bist wohl nicht klug – Willst dir die Schuld geben, daß sie sich vom Hofmeister verführen läßt –

FRITZ. Pätus, ich schwur ihr, zurückzukommen, ich schwur ihr – Die drei Jahr sind verflossen, ich bin nicht gekommen, ich bin aus Halle fortgangen, mein Vater hat keine Nachrichten von mir gehabt. Mein Vater hat mich aufgeben, sie hat es erfahren, Gram – du kennst ihren Hang zur Melancholei –, die Strenge ihrer Mutter obenein, Einsamkeit auf dem Lande, betrogne Liebe – Siehst du das nicht ein, Pätus; siehst du das nicht ein? Ich bin ein Bösewicht: ich bin schuld an ihrem Tode.


Wirft sich wieder in den Stuhl und verhüllt sein Gesicht.


PÄTUS. Einbildungen! – Es ist nicht wahr, es ist so nicht gegangen. Stampft mit dem Fuß. Tausend Sapperment, daß du so dumm bist und alles glaubst, der Spitzbube, der Hundsfut, der Bärenhäuter, der Seiffenblase will dir einen Streich spielen – Laß mich ihn einmal zu sehen kriegen. – Es ist nicht wahr, daß sie tot ist, und wenn sie tot ist, so hat sie sich nicht selbst umgebracht ...

FRITZ. Er kann doch das nicht aus der Luft saugen – Selbst umgebracht – Springt auf. O das ist entsetzlich!

PÄTUS stampft abermal mit dem Fuß. Nein, sie hat sich[85] selbst nicht umgebracht. Seiffenblase lügt; wir müssen mehr Bestätigung haben. Du weißt, daß du ihm einmal im Rausch erzählt hast, daß du in deine Kusine verliebt wärst; siehst du, das hat die maliziöse Kanaille aufgefangen – aber weißt du was; weißt du, was du tust? Hust ihm was; pfeif ihm was; pfui ihm was, schreib ihm, Ew. Edlen danke dienstfreundlichst für Dero Neuigkeiten, und bitte, Sie wollen mich im – Das ist der beste Rat, schreib ihm zurück: Ihr seid ein Hundsfut. Das ist das Vernünftigste, was du bei der Sache tun kannst.

FRITZ. Ich will nach Hause reisen.

PÄTUS. So reis ich mit dir – Berg, ich laß dich keinen Augenblick allein.

FRITZ. Aber wovon? Reisen ist bald ausgesprochen – Wenn ich keine abschlägige Antwort befürchtete, so wollt ich es bei Leichtfuß et Compagnie versuchen, aber ich bin ihnen schon hundertfunfzig Dukaten schuldig –

PÄTUS. Wir wollen beide zusammen hingehn – Wart, wir müssen die Lotterie vorbei. Heut ist die Post aus Hamburg angekommen, ich will doch unterwegs nachfragen; zum Spaß nur –


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 84-86.
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