Siebente Szene

[86] In Königsberg. Geheimer Rat führt Jungfer Rehaar an der Hand. Augustchen. Major.


GEHEIMER RAT. Hier, Gustchen, bring ich dir eine Gespielin. Ihr seid in einem Alter, einem Verhältnisse – Gebt euch die Hand und seid Freundinnen.

GUSTCHEN. Das bin ich lange gewesen, liebe Mamsell! Ich weiß nicht, was es war, das in meinem Busen auf- und[86] abstieg, wenn ich Sie aus dem Fenster sah; aber Sie waren in so viel Zerstreuungen verwickelt, so mit Kutschenbesuchen und Serenaden belästigt, daß ich mit meinem Besuch zu unrechter Zeit zu kommen fürchtete.

JUNGFER REHAAR. Ich wäre Ihnen zuvorgekommen, gnädiges Fräulein, wenn ich das Herz gehabt. Allein in ein so vornehmes Haus mich einzudrängen, hielt ich für unbesonnen und mußte dem Zug meines Herzens, das mich schon oft bis vor Ihre Tür geführt hat, allemal mit Gewalt widerstehen.

GEHEIMER RAT. Stell dir vor, Major: der Seiffenblase hat auf die Warnung, die ich der Frau Dutzend tat und die sie ihm wieder erzählt hat, und zwar, wie ich's verlangt, unter meinem Namen, geantwortet: er werde sich schon an mir zu rächen wissen. Er hat alles das so gut von sich abzulehnen gewußt und ist gleich Tags drauf mit dem Minister Deichsel hingefahren kommen, daß die arme Frau das Herz nicht gehabt, sich seine Besuche zu verbitten. Gestern nacht hat er zwei Wagen in diese Straße bestellt und einen am Brandenburger Tor, das wegen des Feuerwerks offen blieb; das erfährt die Madam gestern vormittag schon. Den Nachmittag will er für Henkers Gewalt die Mamsell überreden, mit ihm zum Minister auf die Assemblee zu fahren, aber Madam Dutzend traute dem Frieden nicht und hat's ihm rund abgeschlagen. Zweimal ist er vor die Tür gefahren, aber hat wieder umkehren müssen; da seine Karte also verzettelt war, wollt er's heut probieren. Madam Dutzend hat ihm nicht allein das Haus verboten, sondern zugleich angedeutet: sie sehe sich genötigt, sich vom Gouverneur Wache vor ihrem Hause auszubitten. Da hat er Flammen gespien, hat mit dem Minister gedroht – Um die Madam völlig zu beruhigen, hab ich ihr angetragen, die Mamsell in unser Haus zu nehmen. Wir wollen sie auf ein halb Jahr nach Insterburg mitnehmen,[87] bis Seiffenblase sie vergessen hat, oder so lang als es ihr selber nur da gefallen kann –

MAJOR. Ich hab schon anspannen lassen. Wenn wir nach Heidelbrunn fahren, Mamsell, so laß ich Sie nicht los. Sie müssen mit, oder meine Tochter bleibt mit Ihnen in Insterburg.

GEHEIMER RAT. Das wär wohl am besten. Ohnehin taugt das Land für Gustchen nicht, und Mamsell Rehaar laß ich nicht von mir.

MAJOR. Gut, daß deine Frau dich nicht hört – oder hast du Absichten auf deinen Sohn?

GEHEIMER RAT. Mach das gute Kind nicht rot. Sie werden ihn in Leipzig oft genug müssen gesehen haben, den bösen Buben. Gustchen, du wirst zur Gesellschaft mit rot? Er verdient's nicht.

GUSTCHEN. Da mein Vater mir vergeben hat, sollte Ihr Sohn ein minder gütiges Herz bei Ihnen finden?

GEHEIMER RAT. Er ist auch noch in keinen Teich gesprungen.

MAJOR. Wenn wir nur das blinde Weib mit dem Kinde ausfündig gemacht hätten, von dem mir der Schulmeister schreibt; eh kann ich nicht ruhig werden – Kommt! ich muß noch heut auf mein Gut.

GEHEIMER RAT. Daraus wird nichts. Du mußt die Nacht in Insterburg schlafen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 86-88.
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