Vierte Szene

[123] In Naumburg.

Des Prinzen Zimmer.

Herr von Biederling. Prinz Tandi.


PRINZ. Ich reise, aber nicht vorwärts, zurück! ich habe genug gesehn und gehört, es wird mir zum Ekel.

HERR VON BIEDERLING. Nach Cumba?

PRINZ. Nach Cumba, einmal wieder Atem zu schöpfen. Ich glaubt in einer Welt zu sein, wo ich edlere Leute anträfe als bei mir, große, vielumfassende, vieltätige – ich ersticke –

HERR VON BIEDERLING. Wollen Sie zur Ader lassen?

PRINZ. Spottet Ihr?

HERR VON BIEDERLING. Nein in der Tat – Sie sind so blutreich, ich glaubte im hastigen Reden wär Ihnen was zugestoßen –

PRINZ. In eurem Morast ersticke ich – treib's nicht länger – mein Seel nicht! Das der aufgeklärte Weltteil! Allenthalben wo man hinriecht Lässigkeit, faule ohnmächtige Begier, lallender Tod für Feuer und Leben, Geschwätz für Handlung – Das der berühmte Weltteil! o pfui doch!

HERR VON BIEDERLING. O erlauben Sie – Sie sind noch jung, und denn sind Sie ein Fremder und wissen sich viel in unsere Sitten zu rücken und zu schicken. Das ist nur nichts geredt.[123]

PRINZ faßt ihn an die Hand. Ohne Vorurteil, mein Freund! ganz mit kaltem Blut – ich fürchte mich, weiter zu gehen, wenn mein Mißvergnügen immer so zunimmt wie bisher – Aber wißt Ihr, was die Ursache ist, daß eure Sitten nur Fremden so auffallen? – O ich mag nicht reden, ich müßt entsetzlich weit ausholen, ich will euch zufrieden lassen und nach Hause reisen, in Unschuld meine väterlichen Besitztümer zu genießen, mein Land regieren und Mauren herumziehn, daß jeder, der aus Europa kommt, erst Quarantäne hält, eh er seine Pestbeulen unter meinen Untertanen vervielfältigt.

HERR VON BIEDERLING zieht die Schultern zusammen. Das ist erstaunend hart, allerliebster Herr Prinz! Ich wünschte gern, daß Sie eine gute Meinung von uns nach Hause nähmen. Sie haben sich noch nicht um unsern Land- und Gartenbau bekümmert. Aber was, Sie sind noch jung, Sie müßten sich ein zehn, zwanzig Jahr wenigstens bei uns aufhalten, bis daß Sie lernten, wo wir es allen andern Nationen in der ganzen Welt zuvorgetan.

PRINZ. Im Betrügen, in der Spitzbüberei.

HERR VON BIEDERLING ärgerlich. Ei was? was? ich redte vom Feldbau und Sie –

PRINZ faßt ihn an die Hand. Alles zugestanden – ich baue zuerst mein Herz, denn um mich herum – alles zugestanden, ihr wißt erstaunlich viel, aber ihr tut nichts – ich rede nicht von Ihnen, Sie sind der wackerste Europäer, den ich kenne.

HERR VON BIEDERLING. Das bitt ich mir aus, ich schaffe den ganzen Tag.

PRINZ. Ich wollte sagen, ihr wißt nichts; alles, was ihr zusammengestoppelt, bleibt auf der Oberfläche eures Verstandes, wird zu List, nicht zu Empfindung, ihr kennt das Wort nicht einmal; was ihr Empfindung nennt, ist verkleisterte Wollust, was ihr Tugend nennt, ist Schminke, womit ihr Brutalität bestreicht. Ihr seid[124] wunderschöne Masken mit Lastern und Niederträchtigkeiten ausgestopft wie ein Fuchsbalg mit Heu, Herz und Eingeweide sucht man vergeblich, die sind schon im zwölften Jahre zu allen Teufeln gegangen.

HERR VON BIEDERLING ganz hastig. Leben Sie wohl – Kommt zurück. Wenn Sie Lust haben, mit mir einen Spaziergang haußen vorm Tor auf mein Gut – – aber wenn Sie was zu tun haben, so schenieren Sie sich meinentwillen nicht – –

PRINZ. Ich will heut abend reisen.

HERR VON BIEDERLING. Ei so behüt und bewahr – – was haben wir Ihnen denn zu Leid getan?

PRINZ. Wollen Sie mir Ihre Tochter mitgeben? Ich geh nach Cumba zurück.

HERR VON BIEDERLING. Mitgeben? meine Tochter? was wollen Sie damit sagen?

PRINZ. Ich will Ihre Tochter zu meiner Frau machen.

HERR VON BIEDERLING. Ta ta ta, ein, zwei, drei und damit fertig. Nein, das geht so geschwind bei uns nicht, Herr!

PRINZ. Biet ihr das Königreich Cumba zur Morgengabe, die Königin meine Mutter ist tot, hier ist der Brief, und mein Vater, der meine Unschuld von Alkaln, meinem Freunde, erfahren, räumt mir Reich und Thron ein, sobald ich wieder komme.

HERR VON BIEDERLING. Ich will es alles herzlich gern glauben, aber – –

PRINZ. Will den Eid beim Allmächtigen schwören.

HERR VON BIEDERLING. Ja Eid – – was Eid – – –

PRINZ. Europäer!

HERR VON BIEDERLING. Und wenn dem allen so wär auch – – meine Tochter einen so weiten Weg machen zu lassen?

PRINZ. Ist's der Vater, was aus dir spricht?

HERR VON BIEDERLING. Ei Herr! es ist – nennen Sie's, wie Sie wollen.

PRINZ. So will ich, des Vaters zu schonen, fünf Jahr in Europa bleiben. Ihre Tochter darf mich begleiten, wohin[125] sie Lust hat, weit herum werd ich nicht mehr reisen, nur einige Standpunkte noch nehmen, aus denen ich durchs Fernglas der Vernunft die Nationen beschaue.

HERR VON BIEDERLING. Freilich! was, in Naumburg ist nichts zu machen. Es müßte denn sein, daß Sie hier auf dem Land herum die Landwirtschaft ein wenig erkundigten; wollen Sie mich morgen nach Rosenheim begleiten, das ist das Pachtgut, das der Herr Graf mir geschenkt hat, so gut als geschenkt wenigstens – –

PRINZ. Der Graf soll Ihnen nichts schenken, ich kauf es Ihnen zum Eigentum.

HERR VON BIEDERLING. Kaufen – lieber Herr Prinz –

PRINZ. So sei das vor der Hand meine Morgengabe.

HERR VON BIEDERLING. Ich werd ihn aber beleidigen, wenn ich ihm was anbiete.

PRINZ. Sie sollen ihn beleidigen, er hat Sie beleidigt, das Gastrecht verletzt, das uns heiliger sein sollte als Gottesdienst.

HERR VON BIEDERLING. Wie so? wie so? das scheint Ihnen nur so, er hat mit meiner Tochter nichts Böses im Sinn gehabt.

PRINZ. Ihr seid nicht Väter, Europäer! wenn ihr euch unmündig macht. Wer eines Mannes Kind verlüderlicht, der hat ihn an seinem Leben angetastet.

HERR VON BIEDERLING. Der Teufel soll ihn holen, wenn ich ihm zu Dach steige.

PRINZ. Nehmen Sie den Vorschlag mit Ihrer Tochter in Überlegung und sagen Sie mir wieder, ob Sie sich stark genug fühlen, nach fünf Jahren Ihr Kind auf ewig aus den Armen zu lassen. Wenn nicht, so wickle ich mich in meinen Schmerz ein und reis ohne Klage heim.[126]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 123-127.
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