Fünfte Szene

[127] Graf Camäleon. Frau von Biederling.


GRAF. Sie sehen, gnädige Frau! wie die Sachen stehen. Meine ganze Ruhe, meine ganze Glückseligkeit in Ihren Händen. – – O Schicksal, warum mußte meines Gegners Kugel mich fehlen!

FRAU VON BIEDERLING. Ja, ich leugne nicht, Herr Graf! daß ich nicht noch unendlich viel Schwürigkeiten dabei voraussehe, nicht bloß auf meiner Seite, ich versichere Sie, denn was ich bei der Sache tun kann –

GRAF. O meine gnädige Küßt ihr die Hand. gnädige Frau! nicht halb so viel, als Sie sich einbilden, verzeihen Sie mir meine Dreistigkeit. Alles, alles beruht bloß auf Ihre Einwilligung. Ihre Fräulein Tochter ist Ihr Conterfait, alles was ich von Ihnen erhalten kann, ist mir auch von ihr gewiß. Ein Kuß auf Ihre schönen Wangen, auf denen die Sonne in ihrem Mittage erscheint Küßt sie. gilt mir eben das, was ein Kuß auf die Morgenröte von Wilhelminens –

FRAU VON BIEDERLING. Sie sind sehr galant, Sie werden nicht erwarten, daß ich Ihnen das beantworte. In Naumburg ist der Umgang auf keinen so hohen Ton gestimmt.

GRAF. Aber gnädige Frau! was geben Sie mir denn für Antwort? soll ich leben oder sterben, verzweifeln oder hoffen?

FRAU VON BIEDERLING. Die Antwort müßten Sie von meiner Tochter, meinem Mann –

GRAF. Sie sind Ihre Tochter, Sie sind Ihr Mann. Ich hab Vermögen, gnädige Frau! aber es ist mir zur Last, wenn ich's nicht mit einer Person teilen kann, in deren Gesellschaft ich erst anfangen werde zu leben. Bisher bin ich nur eine Maschine gewesen, Sie haben die Welt in Wilhelminen mit einer Gottheit beschenkt, die allein im Stande ist mich zu beseelen. Kniet. O sehen Sie mich[127] zu Ihren Füßen, sehen Sie mich flehen, schmachten, weinen, verzweifeln.

FRAU VON BIEDERLING. Sie sind gar zu schmeichelhaft – – aber bedenken Sie doch, was Sie verlangen! eine Heirat in der Stille, ohne Zeugen, ohne Proklamation, verzeihen Sie, ich weiß, was Sie mir einwenden werden, das ist kleinstädtisch gesprochen, nicht nach der großen Welt – – aber wer einmal so unglücklich gewesen ist, sich die Finger zu verbrennen, mein Mann und ich haben uns genug vorzuwerfen, daß wir so leichtsinnig mit unsern Kindern – mein ältester Sohn ist das Opfer davon geworden – verzeihen Sie bei der Erinnerung – ich kann's nicht unterdrücken Weint. er ist nicht mehr.

GRAF küßt ihr das Knie. Sie werden doch kein Mißtrauen in mich setzen Nochmals. meine englische gnädige Frau! Wenn Sie das tun, so bin ich das unglücklichste Geschöpf unter der Sonnen, so ist kein Rat für mich übrig als die erste beste Kugel durch den Kopf. Ich müßte ja der schwärzeste Bösewicht, der nichtswürdigste verworfenste elendeste Betrüger –

FRAU VON BIEDERLING. O Herr Graf! ich beschwöre Sie, legen Sie mir's nicht dahin aus, ich habe nichts weniger als Mißtrauen in die Rechtschaffenheit Ihrer Absichten. Aber da Sie selbst flüchtig sind, da Sie verborgen bleiben müssen und hernach aus dem Lande zu gehen – ach es ist mir mit meinem Sohne eben so gegangen, wir konnten ihn keinen sicherern Händen anvertrauen.

GRAF. Madam! Sie erleben ein Unglück, wenn Sie mich nicht erhören. Ich bin zu allem fähig, ein elendes Leben kann nur für Schurken einen Reiz haben.

FRAU VON BIEDERLING. O Himmel, was werd ich noch mit Ihnen anfangen? Ich will's meinem Mann sagen, ich will's meiner Tochter vortragen.

GRAF. Ich hab alle Ursache zu glauben, daß sie mich liebt.

FRAU VON BIEDERLING. Sie könnten sich auch irren.

GRAF. Irren – – Sie töten mich.[128]

FRAU VON BIEDERLING. Ich kann Ihnen nichts voraus versprechen, ich muß erst mit beiden geredt haben.

GRAF. Mein ganzes Vermögen ist ihre.

FRAU VON BIEDERLING. Das verlang ich nicht – können Sie auch nicht weggeben. Sie haben einen Vater, Sie haben Geschwister.

GRAF. Ich habe keinen Vater als Ihren Gemahl, keine Geschwister als Sie. Alles mach ich zu Gelde, und wenn ich nach Holland komme in die Bank damit, so vermach ich es, wem ich will.

FRAU VON BIEDERLING. Das wär eine Ungerechtigkeit, in die ich niemals willigen würde, die ich nur Ihrer Leidenschaft zu gut halten kann.

GRAF. O wenn Sie mein Herz sehen könnten Küßt ihr Hand und Mund. o meine englische Mutter! haben Sie Mitleiden mit mir! Wenn Sie mein Herz sehen könnten! Wilhelminen – oder ich werde rasend.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 127-129.
Lizenz:
Kategorien: