Sechste Szene

[171] Der Tanzsaal.

Große Gesellschaft. Da der Tanz pausiert, führt Zierau Frau von Biederling an den Punschtisch.


FRAU VON BIEDERLING. Sie ist verschwunden mit ihm.

ZIERAU. Befehlen Euer Gnaden nicht Biscuit dazu? – Er[171] hat sie vermutlich erkannt – ich versichere Sie, er hat sie erkannt, sobald sie in die Stube trat.

FRAU VON BIEDERLING. So hätt er nicht so verliebt in sie getan. Glauben Sie mir, es war mir ärgerlich. Die Gesellschaft steht doch in der Meinung, es sei meine Tochter, sie hat vollkommen ihren Gang, ihre Taille – und er hat sich recht albern aufgeführt.

ZIERAU. Er hat sie wahrhaftig erkannt. Mit Ihrer Tochter hätt er sich die Freiheiten nimmer erlaubt.

FRAU VON BIEDERLING. Ich hätte nicht gewünscht, daß sein Bruder dazu gekommen wäre. Herr Baccalaureus, wenn das so fort geht –

ZIERAU. Es tut mir nur leid, daß ich meine Absicht nicht habe erreichen können, Ihrer Fräulein Tochter eine kleine unschuldige Zerstreuung zu geben. Sie wird jetzt zu Hause über ihrem Schmerz brüten, und um einen so krausen kauderwelschen Ritter Don Quischotte lohnt es doch wahrhaftig der Mühe nicht.


Es wird Lärmen. Die ganze Gesellschaft springt auf.


EINE DAME. In der Kammer hier bei.

EIN CHAPEAU. Die Tür ist verschlossen.

DONNA DIANA schreit hinter der Szene. Zu Hülfe! er erwürgt mich.

EINE DAME. Man muß den Schlösser kommen lassen.

EIN DICKER KERL. Ich will sie ufrennen.

ZIERAU. Was ist's, was gibt's?

EINE MASKE. Ein erschröcklich Getös hier in der Kammer.

EINE ANDERE MASKE. Hört, welch ein Gekreisch!

ZIERAU. Tausend ist denn da kein Mittel? – Axt her, Bediente.


Der dicke Mann rennt die Tür ein. Ein stockdunkles Zimmer erscheint.


Licht her! Licht her! sie liegen beide auf der Erde.


Es werden Lichter gebracht. Donna Diana rafft sich auf.


GRAF zieht sich ein Messer aus der Wunde. Ich bin ermordet. Man verbindt ihn.[172]

DONNA mit zerstreutem Haar, das sie in Ordnung zu bringen sucht. Der Hund hat mich erwürgen wollen. – Was steht ihr? was gafft ihr, was seid ihr erstaunt? Daß ich einen Hund übern Haufen steche, der mich an die Gurgel packt, und das, weil er mich notzüchtigen will und merkt, daß ich nicht die Rechte bin.

ZIERAU. Ums Himmels willen.

DONNA. Was, du Kuppler – wo ist mein Federmesser blieben. Faßt ihn an Schopf und wirft ihn zum Grafen auf den Boden. Laß dir deinen Lohn vom Grafen geben. Er ist ein Hurenwirt, daß ihr's wißt, daß ihr's an allen Ecken der Stadt anschlagen laßt, daß ihr's in alle europäische Zeitungen setzt. Ich will gleich gehn und das Drachennest hier zerstören, wart nur, es wird hier doch irgendwo ein Häscher in der Nähe sein. Ab.

ZIERAU. Das ist eine Furie.

GRAF. Sie hat mir ins Herz gestoßen – Helft mir zu Bette. Wendt den Kopf voll Schmerz auf die Seite. O! – Starrt. ihr Götter, was seh ich? löscht die Lichter aus! der Anblick ist zu schröcklich. Einer aus der Gesellschaft hebt das Licht empor. Gustav erscheint in einem Winkel hat sich erhenkt. Mein Bedienter oh! Fällt in Ohnmacht.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 171-173.
Lizenz:
Kategorien: