Zweite Szene

[176] In Naumburg.

Zierau sitzt und streicht die Geige. Sein Vater, der Bürgermeister, tritt herein im Roquelaure, den Hut auf.


BÜRGERMEISTER. Schöne Historien! schöne Historien! ich will dich lehren Bäll' anstellen – – He! Komm mit mir, es ist so schlecht Wetter, ich brauch heut abend eine Rekreation.

ZIERAU. Wo wollen Sie denn hin, Papa? Ich bin schon halb ausgezogen.

BÜRGERMEISTER. Die Fiddel weg! Ins Püppelspiel. Ich hab mich heut lahm und blind geschrieben, ich muß eins wieder lachen.

ZIERAU. O pfui doch, Papa! Abend für Abend! Sie prostituieren sich.[176]

BÜRGERMEISTER. Sieh doch, was gibt's da wieder, was hast du wider das Püppelspiel? Ist's nicht so gut als eure da in Leipzig, wie heißen sie? Wenn ich nur von Herzen auslachen kann dabei, ich hab den Kerl den Hannswurst so lieb, ich will ihn wahrhaftig diesen Neujahr beschicken.

ZIERAU. Vergnügen ohne Geschmack ist kein Vergnügen.

BÜRGERMEISTER. Ich kann doch wahrhaftig nicht begreifen, was Er immer mit seinem Geschmack will. Bist du närrisch im Kopf? Bube! warum soll denn das Püppelspiel kein Vergnügen für den Geschmack sein?

ZIERAU. Was die schöne Natur nicht nachahmt, Papa! das kann unmöglich gefallen.

BÜRGERMEISTER. Aber das Püppelspiel gefällt mir, Kerl! was geht mich deine schöne Natur an? Ist dir's nicht gut genug wie's da ist, Hannshasenfuß? willst unsern Herrngott lehren besser machen? Ich weiß nicht, es tut mir immer weh in den Ohren, wenn ich den Fratzen so räsonnieren höre.

ZIERAU. Aber in aller Welt, was für Vergnügen können Sie an einer Vorstellung finden, in der nicht die geringste Illusion ist.

BÜRGERMEISTER. Illusion? was ist das wieder für ein Ding?

ZIERAU. Es ist die Täuschung.

BÜRGERMEISTER. Tausch willst du sagen.

ZIERAU. Ei Papa! Sie sehen das Ding immer als Kaufmann an, darum mag ich mich mit Ihnen darüber nicht einlassen. Es gibt gewisse Regeln für die Täuschung, das ist, für den sinnlichen Betrug, da ich glaube das wirklich zu sehen, was mir doch nur vorgestellt wird.

BÜRGERMEISTER. So? und was sind denn das für Regeln? Das ist wahr, ich denke immer dabei, das wird nur so vorgestellt.

ZIERAU. Ja, aber das müssen Sie nicht mehr denken, wenn das Stück nur mittelmäßig sein soll. Zu dem Ende sind gewisse Regeln festgesetzt worden, außer welchen dieser[177] sinnliche Betrug nicht statt findet, dahin gehören vornehmlich die so sehr bestrittenen drei Einheiten, wenn nämlich die ganze Handlung nicht in Zeit von vier und zwanzig Stunden aufs höchste an einem bestimmten Orte geschieht, so kann ich sie mir nicht wohl denken und da geht denn das ganze Vergnügen des Stücks verloren.

BÜRGERMEISTER. Wart! hm! das will ich doch heut examinieren, ich begreif, ich fang an zu begreifen, drei Einheiten, das ist so viel als dreimal eins. Und zweimal vier und zwanzig Stunden darf das ganze Ding nur währen? wie aber, was? es hat ja sein Tag noch nicht so lang gewährt.

ZIERAU. Ja Vater! das ist nun wieder ein ganz ander Ding, ich muß mir einbilden, daß es nur vier und zwanzig Stunden gewährt hat.

BÜRGERMEISTER. Na gut, gut, so will ich mir's einbilden – willst du nicht mitkommen? ich will doch das Ding heut einmal untersuchen, und verstehn sie mir ihre Sachen nicht, so sollen die Kerls gleich aus der Stadt. Ab.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 176-178.
Lizenz:
Kategorien: