1.
Der Versöhnungstod Jesu Christi

Zeit, sey mir heilig, den Sohn im Leiden des Todes zu singen,

Tränen fließt in die Lieder, die ich dem Blutigen weihe.

Triebe, die David den Sänger nach Gottes Herzen beseelten,

Wenn er einsame Nächte mit heiligen Lobliedern feyrte:

Die den erleuchteten Geist der Gottes-Propheten entzückten,

Sahn sie den Mann unsers Heils in dämmernder Zukunft am Kreutze:

Triebe, die durchs klopfende Herz Maria erbebten,

Da sie den sterbenden Sohn mit einer Gebärerin Schmerz sah:

Seyd mir Begleiter wenn ich zum Hügel des Bundes hineile,

Den Unsterblichen todt, den Schöpfer gekreuzigt zu sehen.


Blutiger Oelberg, mit Nebeln und donnernden Wolken bedecket,

Altar, auf dem der Messias den eyffernden Richter versönet:

Bald wird strömendes Blut der sterbenden Unschuld dich färben,

Und die traurende Erde, die Gott einst donnernd verfluchte,

Segnen, versöhnen und sie zum Tempel des Ewigen weyhen.


Dort krümmt Jesus als Sünder sich vor dem Richter im Staube.

Anbetungswürdige Demuth! Er trägt, ein göttlicher Bürge,

Auch im Staube noch groß, die Straffen der Kinder von Adam,

Die sie von Pole zu Pol seit der Schöpfung Morgen verschuldten.

Jeder Seufzer, den Lasten des Fluches dem Busen erpressen,

Jede Zähr' um Erbarmung, vom Aug' des Erbarmers geweinet,

Jeder Tropfen vom Schweiß, der blutig die Wangen herabrollt,

Jede gramvolle Miene des leidenden Schöpfers der Freuden:

Sagts den erlöseten Sündern: Der Mittler ist Gott, und die Liebe!

Meine Gedanken entfliehn, und staunend stammelt die Zunge![1]

Jesus, die Unschuld, fühlt Straffen, die nie ein Endlicher dachte.

Blutiger Angstschweiß rollet vom blassen Gesichte herunter,

Fliegende Pulse klopfen ihm Ahndungen großer Gerichte.

Bang erhebt er die Arme zum donnernden Richter zu beten,

Aber Empfindungsleer sinken die Hände zurück auf sein Antlitz,

Wie, wenn die bebende Erde sich auf einen Elenden wälzet,

Ihm ein Grab wird, und er die letzten Kräfte der Menschheit

Mit Verzweiflung und Furcht des Todes wafnet, um von sich

Die auf ihn sich krachend stürzenden Hügel zu wälzen,

Dann die Kräfte entfliehn: so raft er noch einmal sie mächtig

Alle zusammen und ringt und stirbt in seiner Bemühung:

So belastet mit Todesangst, unter den Schlägen des Richters

Jesu schauert, erhebt sich, und läßt seine Todesangst beten:

»Vater und straffender Richter, wenn gleich die Donner dein Antlitz

Meinem schmachtendem Auge, dein Ohr meinem Flehen verhüllen,

Nenn ich dich doch mit jenem süssen Namen des Vaters,

Den mir, da ich noch bey dir war, feyernd die Himmel nachsangen.

Jetzt ein Wurm und kein Mensch, beschwör ich dich bey dem Namen,

Wende den Kelch deines Zorns und der unerträglichen Quaalen.

Vater, soll ich dein Sohn verzehrendes Feuer austrinken?

Doch, nicht mein, sondern dein, o Vater, dein Wille geschehe!

Ja, Gott, donnere Tode in meine morschen Gebeine,

Laß mein innerstes Mark vor deinen Gerichten vertroknen,

Leg' nieempfundene Straffen auf meine büssende Schultern:

Nur des Blutes der Menschen, Vater, Erbarmer, verschone!

Unterstütze mich Arm des Unendlichen, wenn meine Menschheit,

Meine endliche Kraft in endlosen Quaalen erlieget:

Laß michs, laß michs vollenden, das Werk der großen Erlösung,

Daß ich von Myriaden erretteter Menschen begleitet,

Einst in mein Reich zieh und ewig ihr Hallelujah empfange!«


So fleht Jesus, und sieht um Erhörung schmachtend zum Himmel.

Aber schwärzere Wolken verhüllen das Antlitz des Vaters.

Donner brüllen ihm zu: Verflucht seyst du Sündervertreter!

Noch erhebt sich der niedergedonnerte göttliche Bether,[2]

Noch zweymal wagt er es Vater! Vater! zu winseln,

Opfert sich Gott mit starkem Geschrey und Angstvollen Tränen,

Ringt mit dem Tode, fühlt seinen Stachel und lebet und sieget.


Wie wenn brausende Stimmen der Wellen sich nach und nach legen,

Und in den Wirbeln des Weltmeers die Sonne von neuem sich spiegelt;

So entfernte der Vater allmählig die marternden Leiden,

Und den entkräfteten Sohn überströmte jetzt lindernde Ruhe.

Einer der Helden des Ew'gen sprach unaussprechliche Worte,

Eine geheime Stärkung für Jesu trostleere Seele.

Und er stand auf, sah freudig zum Himmel, dankte dem Vater,

Eilte göttlich gestärkt in neue wartende Martern.


Folgt ihm gläubige Seelen auf dem Wege der Leiden!

Seht mit heiligem Zittern die Hände, die Sünder umfiengen,

Die oft jammernden Kranken und Sterbenden Leben ertheilten,

Die die Säuglinge herzten, mit drückenden Fesseln umwunden!

Seht den Göttlichen ruhig der Mörder Urteil erwarten!

Seht ihn blutig, entkleidt, geschlagen verspottet und elend!

Seht das glänzende Antlitz mit Speichel und Tränen bedecket!

Seht die heilige Scheitel mit spitzigen Dornen zerstochen!

Und den Rüken auf welchen Gott unsere Sünden gewelzt hat

Wunde bey Wunde, zerfleischt, ein schmähliches Kreutz auf der Schulter!

Und, welch ein Anblik! Sünder, die mit dem allmächtigen Hauche

Jesus vernichtete, wären sie nur nicht Würmer des Staubes,

Wär' er nicht Sohn der Liebe, und Sohn des Vaters der Liebe,

Creuzigen ihn, die Fülle des Segens, als Fluch als Verbrecher,

Und durchboren die nach uns ausgerekt schmachtenden Arme

Und die Füsse mit Nägeln: Seegen fließt mit dem Blute.

Seegen auf die Mörder, wenn sie einst wehmütig fühlen

Des Verbrechens Abscheulichkeit und Gnade erwinseln.

Hört ihr Sünder alle, alle von Adam her, Sünder[3]

Hört wie der Gottmensch betet da sündhafte Brüder ihn tödten!

Fleht er um Rache und Blut, fleht er den eyffernden Vater

Um Seraphim und Engel, tausend bey tausend zu schlagen?

Nein, er bittet: »Vater, vergib den Mördern des Sohnes!

Unter der Finsterniß Macht verkennen sie mich den Messias.

Viele von diesen Mördern, viele der sündigen Menschen

Deren Sünden mich tödten, wird mein heiliger Donner

Mein lebendiges Wort erschüttern, zerschmelzen und beugen.

Wenn sie dann mit Wehmuth und Schaam, mit Seufzern und Tränen

Am Creutz deines Sohnes hinknieen, winseln und jammern;

Dann höre sie o Vater, vergieb ihnen, Vater! Erbarmer!

Dann werd ich vom Creutze mit sanftem holdseeligem Lächeln

Ihnen die blutigen Hände reichen, ins Leben sie ziehen.«


Sünder fallt nieder und betet ihn an den Abgrund der Liebe!

Sonst wenn er wiederkommt wird dis barmherzig tränende Auge

Richterlich funkeln, die Miene des Mitleids Tode verkündgen.

Dann rekt er die blutige Hand über schnöde Geschöpfe,

Klagt euch an als Verbrecher und schwört bey des Ewigen Namen:

Ihr seyd ewig verflucht, verflucht zum ewigen Tode!


Fern von Jesu Creutz steht ein verachteter Hauffe

Weniger Edlen, welche voll Schmerzen Seufzer nur lispeln.

Ein ehrwürdiger Schimmer zwar vom Verzagen verdunkelt,

Aber doch heilig, fließt um die Stirn der besten der Mütter.

Welche Feder ist fähig, ihre Empfindung zu schildern!

Keine Minute verliert ihn ihr Blik, und schneidende Schwerter

Fahren bey jedem Gedanken durch ihr offenes Herz hin.

Jede blutende Wunde des Sohnes blutet ihr doppelt!

Alles ist ihrem Geiste jetzt ein entsetzliches Chaos.

Matter spielen die Strahlen um jene goldgelbe Scheitel

Des unschuldigen Jüngers, des Herolds der Liebe, Johannes.

Wemüthig zittern Tränen auf seiner sorgenden Wange.

»Da der Busen, so lispelt er, welcher mir Gottesgedanken[4]

Als mein Haupt daran ruhte, durch jeden Pulsschlag ins Herz gab,

Merklich erstarrt er, röchelt und schwillt und die Farbe des Todes

Todesblässe bedekt ihn – Seegnet mich heilige Ströme

Aus seinen offenen Wunden! seegne mich brechendes Auge!

Rede Herr, dein Mund öffnet sich, ich höre dich folgsam!«


Erst zum Vater ein Blick, dann spricht er zur sterblichen Mutter:

»Dort ist Geliebte, dein Sohn, ein Mensch zwar, aber ein Liebling

Deines sterbenden Sohnes, der jetzt zum Himmel zurückeilt.

Du, Johannes, mein Bruder, dem noch mein zärtliches Herz wallt,

Die mich mit Schmerzen gebar, übergeb ich dir sterbend zur Mutter.«


Aber in welcher Gesellschaft hängt mein Jesus am Kreutze?

Jesus in der Mitte zweyer ruchlosen Mörder!

Und, erstaune Hügel des Todes, Oelberg erbebe!

Ein verurtheilter Sclave, der vor sich heulende Nächte

Einer Ewigkeit sieht, die mit namlosen Quaalen ihm drohet,

Wagts der Unendlichkeit Vater, den Schöpfer der Hölle zu lästern?

Jesus sieht ihm erhaben in seine knechtische Augen,

Wie verächtlich der Mensch auf den Wurm der sich sträubet, herabsieht.

Aber ein brennendes Feuer lodert im Busen des andern

Mitgekreuzigten Sünders und schmelzt ihn in ernstliche Reue.

Er fühlt, er fühlt sie die Gottheit des von der Welt so Verschmähten.

Alle geübte Verbrechen fühlt er in ihrer Grösse,

Und der Gedanke, daß er vor dem Antlitz des sterbenden Gottes

Seine verdienten Straffen empfange, beuget ihn doppelt.

Noch voll heimlicher banger Bemühung dem Forscher der Nieren

Diese schamrothe Wange, dis furchtsame Aug zu verstecken:

Hört er die Schmähungen welche sein Mitverurteilter ausspeyt,

Und im heiligem Eiffer spricht er für den schweigenden Jesum;

»Billig leiden wir Straffen. Verdiente Nächte des Todes

Rauschen über die Häupter, die Gott und Gesetze verkannten,

Die die Stimme des Bluts der Unschuld nicht heilsam erschreckte.[5]

Aber, der göttliche Mann, wenn hat er sich sträflich vergangen,

Hat ihn Judäa nicht selbst für einen Propheten gehalten?«


Hingerissen von Wehmuth wagt dann der blöde Verführte,

Seine tränenden Augen zum Trohne der Gnaden zu richten,

Und sein innres Gefühl dem Gottmenschen selber zu beichten.

Mit Schaamglühender Wange, zur Erde gehefteten Augen,

Und leiser bebender Stimme redte der Schächer zu Jesu:

»Herr gedenke barmherzig an mich wenn du in dein Reich kommst!«

Mit jenem mächtigen Blicke, der oft Verzagende stärkte

Sah Jesus dem Schächer am Kreutz ins erbleichende Antlitz:

»Warlich, heute noch wirst du im Paradiese mit mir seyn!«


Noch rollen Donner am finstern Olymp, noch triefen die Quaalen

Von der geschwungenen Geissel welche den leidenden Sohn schlug.

Und jetzt winkte Jehovah, die Erde stand still, und die Sonne

Hüllte ihr Antlitz in Nebel. Finsterniß dekte die Flächen,

Nächte die Thäler und blasse Dämmrung die Spitzen der Berge,

Daß nicht die Leiden des Mittlers ein Auge des Spötters erblickte.

Kannst du entsetzlicher quälen finstre grundlose Hölle,

Wo in tausend unendliche Wirbel der Quaal und Verzweiflung,

Das Geheul des Sturmwinds Gottesvergessene schleudert,

Als in dem Meere von Nächten immer bänger und bänger

Der Erlöser gequält wird, sich windet und blutet und jammert?

Seufzer, gebrochene Worte, Stimmen der Angst und Verzweiflung

Schallen lange drey Stunden vom Kreutz in die rauschende Nacht hin.

Brüllende Donner mischen bisweilen sich unter die Klagen,

Unter zerschmetternden Blitzen krachet die furchtbare Sonne.

Einsam heulen Orcane: nun schweigt das Getümmel der Städte,

Und das Rauschen der Flüsse die sich nach Golgatha drängten.


Wie, wenn der blühende Knabe voll Unschuld, auf seinem Lager

An der Seite des besten Vaters von Träumen geschreckt wird,[6]

Und auf dem stürmenden Meere von brausenden Wellen geschleudert,

Seinen Retter und Vater, der ihm die Hand reicht, verlieret:

Oder, wenn er im Traume, vom Gipfel des höchsten Gebirges

Mit dem rollenden Sande schnell weggerissen, herabstürzt,

Und vergeblich den Vater, der ihm nicht helfen kann, anschreyt,

Dann plötzlich erwacht, und zitternd den Vater erblicket,

Dann mit zärtlichen Tränen ihn kindlich umhalset und küsset,

Und halb Wemuth halb Freude: Wo warst du, Vater? ihn anredt:

So erwachte jetzt Jesus aus den betäubenden Quaalen,

Rang seine Klagen zum Vater, die Täler hallten sie wieder:

»Gott, mein Gott, warum hattest du mich in der Hölle verlassen!«


Aber der Strahl seiner Gottheit, der ihn zu verlassen schien, kam jetzt

In die verschmachtende Menschheit zurük und mit ihm Entzüken.

Wie in den äussersten Ländern Europens unter dem Nordpol,

Wo ein ewiges Eiß die steinerne Erde bedecket,

Wo die matten Stralen der weitentlegenen Sonne,

Wenn sie im Eise sich spiegeln, schon Freuden des Sommers erwecken:

Wenn da die schwerbelasteten Flügel halbjähriger Nächte

Langsam, der mächtigern Sonne die ferne herannaht, entfliehen,

An ihre Stelle Dämmrung tritt, die Mutter des kommenden Tages:

Wie dann die Einwoner wenn sie das Antlitz der Sonne erblicken,

Mit lauten Jubeln sie seegnen, da freudiges Lächeln

Wie eine Sonne sich auf den vergnügten Gesichtern verbreitet:

So verscheuchten die wiederkehrenden Strahlen der Gottheit,

In der Seele des Mittlers die schwarzen Todesgedanken,

Und die Bilder der Hölle, die Schrecken die ihn umringten.

Nun sah er mit lachendem Auge die Erde versönet;

Und das göttliche Werk der andern Schöpfung vollendet.

Fern entzükten sein Ohr die Hallelujah der Himmel

Und der lispelnde Dank der heiligen Seelen der Väter.[7]

Jetzt rief er der Schöpfung die Botschaft des Friedens entgegen:

Es ist vollbracht! und die Täler, das Echo schallte sie wieder.


Aber wer naht sich dem Creutz in furchtbares Dunkel gehüllet,

Welche magre Gestalt mit mördrisch funkelnden Augen?

Sie tritt beym Siegesthor Jesu zurück und staunt und erbebet

Hört der Hölle Geheul, wie ein Ueberwundener heulet,

Sieht den Teuffel im Meere des Todes verzagen und wüten,

Wendt sich zu fliehn, kehret wieder, flieht wieder, steht tiefsinnig stille,

Sieht im Antlitz des Mitlers Züge der Freuden des Sieges:

Brennet vor höllischer Wuth, winkt den verzagenden Teuffeln,

Hebt den knöchernen Arm, läßt ihn sinken, doch wagt sie es wider,

Und will den tödlichen Streich zum Haupte des Gottmenschen führen,

Doch keine Macht des Todes raubt Jesu Christo das Leben,

Er übergiebt es freywillig zum Opfer dem himmlischen Vater.


»Vater, zittert darauf des Mittlers sterbende Stimme:

Ich befehl meinen Geist in deine barmherzige Hände!«

Langsam verleschet das Feuer in seinen freundlichen Augen,

Blässer werden die Lippen, blässer die lieblichen Wangen,

Matter sinket das Haupt auf die blutigen Schultern herunter:

Eiß wird sein Blut, nicht mehr klopfet das göttliche Herz und der Pulsschlag,

Und – meine Seele weigert sich, den Gedanken zu denken:

Gott, der Unsterbliche stirbt: er neiget sein Haupt und verscheidet.


Und die Erde steht still, der Jubelthon himmlischer Sänger

Schweiget, die Sonne wird Nacht. In untersten Tieffen der Hölle

Brüllt der Donner furchtbar: der Gottmensch stirbt! und sie heulet.

Selbst der Tod erbebt vor seinem begangenen Morde.

Orcane zersprengen die Vesten der Erde, sie wartet

Wenn ihr der Richter befielet die Mörder des Sohns zu verschlingen.

Traurig, doch voll heil'ger Verehrung der Winke des Ew'gen,[8]

Stehen die Cherubim fertig mit flammenden hauenden Schwerdtern,

Die rebellischen Menschen tausend bey tausend zu tödten:

Doch der Tod des göttlichen Mittlers versönet den Vater!

Seht der Vorhang des Tempels zerreißt und öffnet euch Sündern

Ganz das Heilige, welches die Priester mit Zittern betrachten:

Mit ihm zerreisset die Handschrift unserer Sünden, die Ketten

Des Gesetzes und Todes, es bricht der Stab Mosis des Treibers!


Welches ein frohes Getümmel entsteht in den Hügeln des Oelbergs!

Wie! verschlossene Gräber eröfnen sich, Todte erwachen,

Heilig glänzen die Scheiteln, himmlisch wie Seraphen glänzen;

Lächelnd winken sie ihren jetzo noch irdischen Brüdern

Ihre Seeligkeit zu, und die Versönung des Vaters

Und das Entzücken der Himmel über der Menschen Erlösung.

»Heil euch, heilige Lehrer! kommt in die Hütten der Sünder,

Lehret uns göttliche Dinge, warum verweilet ihr draussen?«

Aber sie lächeln, und sehen zum Himmel und glänzend entfliehn sie,

Zeigen sich andern, verschwinden und lassen Stralen zurücke.


Noch hängt Jesus am Creutz in Mitternächtigen Dunkel,

Hängt verlassen von seinen Freunden und Brüdern und Jüngern.

Doch es stehen erstaunt noch einige fühlbare Herzen,

Jammern und weinen um ihn, sie schlagen zerknirscht und wehmüthig

An ihre schwellende Brust. Hier ruft der Hauptmann, ein Heide:

Wahrlich dieser ist Gottes Sohn! und andere stammlen

Weinend und klagend ihm nach: Warhaftig er war ein Sohn Gottes!


Weinet nicht, edele Seelen! sehet, es hat überwunden

Vom Stamme Juda der Löwe, und die Versönung vollendet.

Zwar der göttliche Leib sinkt unter die modernden Todten,

Sinkt in den Schooß der Erde, die ihren Schöpfer verhüllet.[9]

So starb die glühende Rose, als sie ein heulender Nordwind

In den Staub herabwarf, und ihre geruchreichen Blätter

Mit den Blättern stachlichter Disteln und niedriger Kletten

Traurig vermischte und ihnen Saft und Farbe verwehte.

Zwar seht ihr den göttlichen Mann nicht mehr wohlthätig herumziehn,

Sondern, er ist ein Entschlafner, ein Bürger des Reiches der Schatten.

Aber Jehovah wird seine Seele nicht in der Hölle

Seinen Leib der Verwesung, dem Wurm zur Beute nicht lassen.

Ein hellglänzender Leib mit himmlischer Klarheit verkläret

Wird aus dem dumpfen Grabe umgeschaffen hervorgehn.

Und nach vierzig Tagen wird der verklärte Messias

Auf dem blutigen Berge, wo er zur schrecklichsten Tieffe

Schmählicher bitterer Leiden, zum Grabe des Todes herabsank,

Zu der höchsten unabsehbaren Maiestät Gottes

Vom versöhnten Vater herrlich erhöhet erscheinen.

Eine blitzende Wolke wird mit ihm vor euren Augen

Wegrauschen; tiefes Erstaunen wird dann eure Tränen um Jesum

Halb noch im Auge vertroknen, und eure Seufzer ersticken.


Aber, welch ein göttliches Licht verbreitet sich um mich?

Meinem staunenden Blicke dämmert mit mächtigem Schauer

Eine heilige Zukunft; laßt uns mit Ehrfurcht hinabsehn!

Welche festliche Stille herrscht auf dem wartenden Erdkreiß!

Stiller lag nicht das Chaos, eh es vom Schöpfer gebildt war.

Schauervolle Dämmrung lagert sich auf den Flächen,

Schwarze, schwangere Wolken wölben den fliehenden Himmel.

Ein entsetzliches Murmeln braust vom rebellischen Weltmeer

In das Ohr des schüchternen Wandrers der still steht und bebet,

Und sich platt auf die Erde, die ihm zu zittern scheint, hinwirft.

Sollte der festliche Tag des Weltgerichts etwa herannahn?

Sollte das Ende der Welt uns mit dem Anzuge drohen?

Ja mich dünkt, ich höre die fernen rollenden Donner,

Und den durchdringenden silberthönenden Schall der Posaune.[10]

O wie zerschneidt sie das innerste Mark der Kinder von Adam

Die den göttlichen Sohn am Stamm des Creutzes verkannten!

Mit wildströmendem Auge sehn sie den offenen Himmel.

Jesus fähret herab mit majestätischer Hoheit,

Cherubim um ihn. Neben ihm jauchzende Seelen der Väter.

Vor ihm zersprengte Gräber und auferstehende Todten.

Hinter ihm folgen die Todes-Engel in furchtbarem Zuge,

Die mit blitzenden Schwerdtern den heulenden Gottlosen dräuen.

Unter seinen Füssen krümmen sich Gottesverächter.

Elemente zerschmelzen und gränzlose Welten verbrennen.

Ein durchdringender Thon der Jubel reisset mein Ohr hin,

Es sind gläubige Fromme, die hier um den Weltsöner weinten,

Die, wie geläutertes Gold aus grossen Trübsalen kamen,

Die im Blute des Lammes ihre Kleider gewaschen.

Jetzo fliehen sie auf den Flügeln der tragenden Engel

In die Arme des Richters der sie mit Lächeln empfänget.

Namenloses Entzücken durchströmt ihre offene Herzen,

Denn er wischt ihre Tränen von ihren Wangen zu Perlen.

Jeder Seufzer der noch auf der beklommenen Brust saß,

Als der Richter des Fleisches auf einer Wolke sich zeigte,

Wird jetzt zum Hallelujah: sie sitzen auf goldenen Trohnen,

Halten mit Jesu Gericht und eilen mit Jesu zum Himmel,

Wo sich ewige Freuden in einander verlieren,

Wo bald diese bald jene unendliche seelige Aussicht

Unsere Augen hinreißt, und unser Hallelujah reitzet.

Weinet nicht edele Seelen! der für euch am Creutz starb, lebt ewig,

Herrscht ewig zur Wonne aller begnadigten Sünder!

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 1-11.
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