101.

[238] Zur Hochzeit zweier Täubgen,

Von jeher Mann und Weibgen,

Die nicht sich auserkohren,

Die nur sich nicht verloren,

Soll Euer Liebden Gnaden

In aller Ehrfurcht laden,

In ihrem Namen zwar

Der Hochzeitsbitter Paar.

Wer Herz hat froh zu sein

Wo treue Liebe thronet

In vollem Sonnenschein,

Wens stärket, wens belohnet,

Der trete froh herein;

Versuch es, mit zu schwärmen

Und fühlt er eignen Schmerz,

An ihrem Glück zu wärmen

Sein Schweitzerliches Herz.

Exempel nur genommen,

Es wird an ihn auch kommen,

Die Welt ist rund und weit,

Hat jeder seine Zeit.

Es kann durch langes Trauren

Leicht unser Herz versauren,

Und wenn wir uns zerstreun,[238]

Ist doch die Lust nicht rein.

O! der ist proskribiret

Wen fremdes Glück nicht rühret,

Der kann es selbst nie sein,

Kein Thier freut sich allein.

Es müßt denn sein von Thieren –

Doch wo komm' ich hinein

Mit meinem Pourparliren?

Wollt Euch nur demonstriren,

Daß wenn sich zwey geniren

Und jeden invitiren

Vor ihnen zu scharmiren,

Ihr nicht dürft sagen: Nein!

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 238-239.
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