25.
Die erste Frühlingspromenade

[112] Der Baum, der mir den Schatten zittert,

Der Quell, der mir sein Mitleid rauscht,

Der Vogel, der im Baume zwittert,

Und, ob ich ihn auch höre, lauscht;

Die ganze freundliche Natur

Nimmt mich umsonst in ihre Kur.


Die Weisheit, strengen Angesichts

Und guten Herzens, aber kalt,

Lacht meines glühenden Gedichtes

Von Liebe – und doch glaubt sie's bald;

Will mich entzaubern, trösten mich,

Bezaubert und verirret sich.[112]


Die Schöne, die auf jungen Rosen

Des liebesbangen Maien liegt,

Von der, dem Kummer liebzukosen,

Mir Blick und Wunsch entgegen fliegt,

Die schraubt mein mir entrücktes Herz

Nur höher auf zu wilderm Schmerz.


Ach Phyllis! um gleich jenen Knaben

In Sturmhaub' und Perück' und Stern,

So froh die Fluren zu durchtraben,

Müßt' ich von diesen weisen Herrn

Die Kälte und die Blindheit haben;

Müßt' ich, in meinem Selbst vergraben,

Dich, Gottheit, nie gesehen haben;

So hold, so nah mir – und so fern – –

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 112-113.
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