B.

[150] Ein wohlgenährter Kandidat

Der nie noch einen Fehltritt that,

Und den verbotnen Liebestrieb

In lauter Predigten verschrieb,

Kehrt einst bei einem Pfarrer ein,

Den Sontag sein Gehilf zu sein.

Der hatt' ein Kind, zwar still und bleich

Von Kummer krank, doch Engeln gleich

Sie hilt im halberloschnen Blick

Noch Flammen ohne Maaß zurück,

All itzt in Andacht eingehüllt,[150]

Schön wie ein marmorn Heiligenbild.

War nicht umsonst so still und schwach,

Verlaßne Liebe trug sie nach.

In ihrer kleinen Kammer hoch

Sie stets an der Erinnrung sog,

An ihrem Brotschrank an der Wand

Er immer, immer vor ihr stand,

Und wenn ein Schlaf sie übernahm

Im Traum er immer wieder kam.

Für ihn sie noch ihr Härlein stutzt,

Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt,

All ihre Schürzen anprobiert

Und ihre schönen Lätzchen schnürt,

Und vor dem Spiegel nur allein

Verlangt er soll ein Schmeichler sein.

Kam aber etwas Fremds ins Haus

So zog sie gleich den Schnürleib aus,

That sich so schlecht und häuslich an,

Es übersah sie jedermann.

Zum Unglück unserm Pfaffen allein

Der Lilie Nachtglanz leuchtet ein,

Obschon sie matt am Stengel hing.

Früh eh er in die Kirche gieng

Er sehr eräschert zu ihr trat

Und sie – um ein Glas Wasser bat –

Dann laut er auf der Kanzel schreit

Man hört ihn auf dem Kirchhof weit

Und macht solch einen derben Schluß

Daß alt und jung noch weinen muß,

Und der Gemeinde Sympathie

Ergriff zu allerletzt auch sie –

S' ging jeder wie gegeißelt fort –

Der Kandidat ward Pfarr am Ort.[151]

Obs nun die Dankbarkeit ihm that,

Ein's Tag's er in ihr Zimmer trat,

Sehr holde Jungfrau, sagt er ihr,

Ihr schickt euch übel nicht zu mir,

Ihr seid voll Tugend und Verstand,

Ihr habt mein Herz, da nehmt die Hand –

Sie sehr erschrocken auf den Tod

Ward endlich wieder einmal roth,

»Ach lieber Herr – – mein Vater – ich –

Ihr findet bessere als mich

Ich bin zu jung – ich bin zu alt –«

Der Vater kroch hinzu und schalt,

Und kündigt Stund und Tag und Mann

Ihr mit gefaltnen Händen an.

Wer mahlet diesen Calchas mir

Und dieses Opfers Blumenzier,

Wie's vorm Altar am Hochzeittag

In seiner Mutter Brautkleid lag,

Wie's unters Vaters Seegenshand

Mehr litt als es sich selbst gestand;

Wie's dumpf, nur ahndend seine Pflicht

Entzog den Quaalen sein Gesicht,

Und tausend Nattern in der Brust

Zum Dienste ging verhasster Lust.


Ach Männer, Männer seid nicht stolz

Als wär't nur ihr das grüne Holz,

Der Weiber Güt' und Duldsamkeit

Ist grenzenlos wie Ewigkeit.

Sie fand an ihrem Manne nun

All seinem Reden, seinem Thun,

An seiner plumpen Narrheit gar

Noch was das liebenswürdig war.

Sie dreht und rieb so lang dran ab,

Bis sie ihm doch ein Ansehn gab,[152]

Und wenn's ihr unerträglich kam

Nahm sie's als Zucht – für ihren Gram.


Ihr einzig Gut auf dieser Welt

Der Engel noch für Sünde hält.

Dem Mann gelind, sich selber scharf

Sie – Gott – nicht einmal weinen darf.

Sie kommt und bringt ihr Auge klar

Als sein geraubtes Gut ihm dar,

Und wenn er schilt und brummt und knirrt

Ihr leichter um das Herze wird,

Doch wenn er freundlich herzt und küßt

Für Unruh sie des Todes ist.


Denn immer, immer, immer doch

Schwebt ihr das Bild an Wanden noch,

Von einem Menschen, welcher kam

Und ihr als Kind das Herze nahm.

Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,

Doch seiner Worte Kraft noch nicht.

Und jener Stunden Seligkeit

Ach jener Träume Würklichkeit

Die, angeboren jedermann,

Kein Mensch sich würklich machen kann.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 150-153.
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