67.
Trost

[180] Nur der bleibende Himmel kennt

Was er den schwachen Sterblichen gönnt;

All ihr Glück erstohlen von Quaalen;

Hinter Wolken zitternde Stralen;

Was ihr Herz sich gesteht und verheelt,

Alles hat er ihnen zugezählt;

Unerbittlich – all ihre Triebe,

Alle Gestalten und Grad' ihrer Liebe,

Alle Fehler des Augenblicks,

Oft die Räuber ewigen Glücks,

Allen Unverstand, Delikatessen,

Wo sie nicht noth waren, Plumpheit, Vergessen

Seiner selbst, oder dessen was nie

Gut gemacht wird, der Harmonie,

Die aller Wesen Wohlstand erhält,

Dieses Himmels auf der Welt –

All das läßt er mit kindischem Schrein

Uns in der Wiege schon prophezein.

Reitzt nicht oft schon des Säuglings Stimme

Seinen Zorn zum künftigen Grimme

Und seiner stillen Thränen Geduld

Seine Gnade zur künftigen Huld?

Ach womit muß ich's versehen haben,

Daß meine erste Liebe begraben?

Daß meines Herzens Unbestand

Nachher nirgends Ruhe fand?

Daß deine köstlichsten Schätze auf Erden

Mir nur im Fluge gewiesen werden;

Und in dem schwimmenden Augenblick[181]

Des seeligen Genusses – beb' ich zurück

Fort in den furchtbaren Strudel des Geschickes;

Fort fort ohne Hofnung des vorigen Glückes,

Ohne Wiedererinnerung fort,

Wo mein Leben in Wüsten verdorrt,

Wo niemand Theil nimmt, niemand mich kennet,

Niemand mir Theil zu nehmen gönnet,

Und die Natur selbst kälter scheint,

Weil sich niemand mit ihr befreundt?

O gute Götter! wie glückliche Stunden,

Wie schröcklich leere sind mir verschwunden!

Ihr zählet sie alle. Bewilligt mir

Nur eine Bitte: solltet ihr

Noch der glücklichen übrig haben,

Ach geht sparsam mit euren Gaben!

Hieltet ihr aber doch nicht Hauß,

Mir zur Strafe vielleicht, so halt ich

Wenigstens zu der Sterbestunde

Mir ein Stündgen mit – aus.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 180-182.
Lizenz:
Kategorien: