87.
Shakespeares Geist ein Monologe

[208] Der Schauplatz das Theater zu London. Die Coulissen mit einer Reyhe Bogen bemahlt, aus der eine unzähliche Menge Köpfe hervorguckt. Im Grunde die spielenden Personen der Gespensterscene in Hamlet. Garrick spielt. Shakespear tritt herein.


Wie? welche Menge? welche Stille?

Als wärens Geister. Welche Grille

Bezaubert diese tausend Köpfe?

Ich?

Mein Hamlet? Mein Stück!

Welch ein unerwartetes Glück!

Hamlet vor mir!

Gott! – Schafft dein Schicksal

Menschen nach? Realisirt

Was ich in unvergeßlichen Stunden

Durchgezittert, durchempfunden

In meiner Seele aufgeführt?

O welch Herablassen! deinem Affen

Würdigst du Vater! nachzuerschaffen. –


Meine Shakespears! Ihr schenkt mich mir wiederum,

Liebes, liebes Publikum.

Guckt nur! bis ihr seht was ich sah

Als die Offenbarung mir geschah.

Bis Euer Puls so fliegt, euer Leeben erhitzt

So das Augenlied schwingt, bis euer Auge blitzt

Voll unaussprechlicher Verlangen

Die sich Luft machen auf den Wangen.

O ihr alle Shakespears an diesem Abend, alle

Meine Kinder! meine Wiederhalle![209]

Bleibt nur den Abend so – darnach laß ich euch loß,

Darnach werdt ihr wieder gewaltig und groß,

Seht hinaus über mich, könnt wieder mich schreyen

Könnt mir ins Angesicht speyen

Critik, Galle, Zorn,

Könnt, mich zu höhnen

Mich krönen

Mit Dorn,

Könnt ihr armen Ehrgeitzigen

Meinethalben mich kreutzigen:

Hatte mein Gott, dessen Erdenkloß

Ich nur bin doch kein beßer Looß,

Hat euch doch ewig seelig gemacht

Da ich euch nur um zwey Stunden gebracht.


Bleibt die zwey Stunden nur so – liebe Ichs

Liebe Shakespears! – Gott! wie beseeligt mich's

Dis Dein Gefühl, Urquell aller Gaben!

Menschen mich mitgetheilt zu haben.


Diese zwey Stunden nur – genug! –

Nun zu Gott zurück mein Flug!


(Verschwindt.)

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 208-210.
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