Achtes Kapitel

[150] Das nicht länger ist als das vorige


Es war etwa um die Stunde der Vorstellung; meine Herrin befahl mir, ihr mit Laura ins Theater zu folgen. Wir gingen in ihre Garderobe, wo sie ihr Straßenkleid ablegte und ein prächtiges Gewand für ihre Rolle auf der Bühne anzog. Als das Schauspiel begann, führte Laura mich an eine Stelle, von der aus ich die Schauspieler ausgezeichnet hören und sehen konnte. Sie mißfielen mir aber zum größten Teil.

Laura nannte mir die Namen der Schauspieler und der Schauspielerinnen, sooft sie auftraten, oder vielmehr, sie begnügte[150] sich nicht mit den Namen, sie entwarf auch boshafte Bilder von ihnen. Dieser, sagte sie, hat einen hohlen Kopf; jener ist unverschämt. Das Lärvchen, das Ihr da seht und das eher leichtfertig als anmutig ist, heißt Rosarda: eine schlimme Erwerbung für die Gesellschaft! Man sollte sie in die Truppe stecken, die man auf Befehl des Vizekönigs von Neuspanien aushebt und die man unverzüglich nach Amerika einschiffen wird. Seht Euch den leuchtenden Stern an, der da auftritt, den schönen Sonnenuntergang: das ist Casilda. Wenn sie von jedem Liebhaber, den sie in ihrem Leben gehabt hat, einen Quaderstein gefordert hätte, um eine Pyramide daraus zu bauen, wie es eine ägyptische Prinzessin einst tat, so reichte die ihre bis in den dritten Himmel. Kurz, Laura zerriß alle Welt mit ihrer bösen Zunge; selbst ihre Herrin verschonte sie nicht.

Ich will jedoch meine Schwäche gestehn: obgleich sie in moralischer Beziehung nicht einwandfrei war, entzückte mich meine Zofe. Sie lästerte so lustig, daß ich selbst ihre Bosheit lieben mußte. In den Zwischenakten stand sie auf, um nachzusehn, ob Arsenia ihre Dienste brauchte; aber statt gleich auf ihren Platz zurückzukehren, belustigte sie sich damit, sich hinter der Bühne von den Männern Schmeicheleien sagen zu lassen. Einmal folgte ich ihr, um sie zu beobachten, und ich merkte, daß sie viele Bekanntschaften hatte. Ich zählte drei Komödianten, die sie nacheinander anhielten und sich sehr vertraulich mit ihr zu unterhalten schienen. Das gefiel mir nicht, und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich, was es heißt, wenn man eifersüchtig ist. Ich kehrte so sinnend und traurig auf meinen Platz zurück, daß Laura es merkte, sobald sie wieder zu mir kam. Was hast du, Gil Blas? sagte sie erstaunt; du siehst ganz finster und vergrämt aus! Meine Prinzessin, gab ich zur Antwort, das ist nicht ohne Grund; Euer Wesen ist ein wenig zu lebhaft. Ich habe Euch eben mit den Schauspielern gesehn ... Das ist ein rechter[151] Grund zur Trauer! unterbrach sie mich lachend. Wie, das macht dir Schmerz? Ach! da bist du wahrlich noch nicht am Ende; bei uns wirst du noch ganz andre Dinge sehn. An unsere freien Manieren mußt du dich schon gewöhnen. Keine Eifersucht, mein Kind! Eifersüchtige gelten bei uns für lächerlich.

Nachdem sie mich ermahnt hatte, auf niemand eifersüchtig zu sein und allem in aller Ruhe zuzusehn, erklärte sie mir, ich wäre der glückliche Sterbliche, der den Weg zu ihrem Herzen gefunden hätte. Dann versicherte sie mir, sie würde ewig nur mich lieben. Auf diese Versicherung hin, an der ich nicht zweifeln durfte, ohne für allzu mißtrauisch zu gelten, versprach ich ihr, mich nicht mehr zu ängstigen, und ich hielt Wort. Ich sah sie noch an demselben Abend von neuem mit Männern vertraulich sprechen und lachen. Am Schluß des Schauspiels gingen wir mit unsrer Herrin nach Hause, wo bald darauf Florimunde mit drei alten Edelleuten und einem Schauspieler zum Abendessen eintraf. Außer Laura und mir waren in diesem Hause an Dienstboten noch eine Köchin, ein Kutscher und ein kleiner Lakai vorhanden. Wir rüsteten zu fünft gemeinsam für die Mahlzeit. Die Köchin, die nicht minder geschickt war als Frau Hyazinte, bereitete mit dem Kutscher die Gerichte zu; die Zofe und der kleine Lakai deckten den Tisch, und ich richtete das Büfett her. Ich schmückte es mit Flaschen voll verschiedener Weine und diente als Mundschenk, um meiner Herrin zu zeigen, daß ich allem gewachsen war. Während der Mahlzeit bewunderte ich die Haltung der Komödiantinnen; sie spielten die vornehmen Damen, sie bildeten sich ein, Frauen von Welt zu sein. Der Komödiant machte keinerlei Umstände; gewohnt, den Helden zu spielen, trank er auf das Wohl der Edelleute, und er hatte sozusagen den Ehrenplatz inne. Bei Gott! sagte ich zu mir selber, als Laura mir bewies, daß Marquis und Schauspieler sich tagsüber gleich sind, hätte sie[152] hinzufügen können, daß sie es noch mehr während der Nacht sind, da sie sie gemeinsam beim Trunk verbringen.

Arsenia und Florimunde waren von Natur lustig. Tausend kühne Reden entschlüpften ihnen; bald gewährten sie eine kleine Gunst, und bald zierten sie sich, woran die alten Sünder großen Geschmack fanden. Während meine Herrin den einen durch unschuldiges Geschwätz unterhielt, spielte ihre Freundin, die zwischen den beiden andern saß, keineswegs die keusche Susanne. Als ich mir dieses Bild ansah, das für die alten Jünglinge nur zu viele Reize hatte, brachte man das Obst. Da stellte ich die Likörflaschen und die Gläser auf den Tisch und verschwand, um mit Laura, die mich erwartete, zu Nacht zu speisen. Nun, Gil Blas, sagte sie, was hältst du von diesen Herren, die du eben gesehen hast? Es sind zweifellos, antwortete ich, Anbeter von Arsenia und Florimunde. Nein, sagte sie, es sind alte Lüstlinge, die zu den Kokotten gehn, ohne sich von ihnen fesseln zu lassen. Sie verlangen nur ein wenig Gefälligkeit von ihnen und sind freigebig genug, die Kleinigkeiten, die man ihnen gewährt, vortrefflich zu bezahlen. Dem Himmel sei Dank, Florimunde und meine Herrin haben augenblicklich keine Liebhaber; ich meine, keine, die sich auf die Ehemänner herausspielen und alles Vergnügen in einem Hause genießen wollen, weil sie alle Kosten in ihm bestreiten. Ich bin froh darüber. Lieber einen Wagen Pfennig für Pfennig verdienen, als ihn um diesen Preis auf einmal haben.

Wenn Laura einmal sprach, und sie tat es fast immer, so kosteten sie die Worte nichts. Sie erzählte mir tausend Abenteuer, die den Schauspielerinnen der Truppe des Prinzen zugestoßen waren, und ich schloß aus all ihren Reden, daß ich mir keine bessere Stellung wünschen konnte, um alle Laster kennenzulernen. Zum Unglück war ich in einem Alter, in dem sie kaum abstoßend wirken, und ich muß hinzufügen, sie verstand die Ausschweifungen so schön zu malen, daß ich[153] nur ihre Wonnen sah. Sie konnte mir freilich noch nicht den zehnten Teil der Abenteuer erzählen, denn sie hatte nur drei Stunden Zeit. Die Edelleute und der Komödiant zogen sich mit Florimunde zurück, die sie nach Hause brachten.

Als sie fort waren, sagte meine Herrin zu mir: Hier, Gil Blas, habt Ihr zehn Pistolen, um morgen früh die Einkäufe zu bezahlen. Fünf oder sechs unsrer Herren und Damen kommen zum Mittagessen zu mir: sorgt, daß wir gute Sachen zu essen haben. Gnädige Frau, entgegnete ich, mit dieser Summe verspreche ich Euch so viel zu besorgen, daß Ihr die ganze Truppe bewirten könntet. Mein Freund, versetzte Arsenia, verbessert bitte Eure Redeweise: merkt Euch, daß man nicht die Truppe sagt; man sagt: die Gesellschaft. Es gibt Banditentruppen, Bettlertruppen, Autorentruppen; aber wisset, daß man sagen muß: eine Schauspielergesellschaft; vor allem in Madrid verdienen die Schauspieler, daß man ihre Körperschaft eine Gesellschaft nennt. Ich bat meine Herrin um Verzeihung, daß ich mich eines so wenig achtungsvollen Ausdruckes bedient hätte; ich flehte sie demütigst an, meine Unwissenheit zu entschuldigen, und beteuerte ihr, wenn ich in der Folge noch einmal von den Herren Schauspielern in Madrid als einer Gesamtheit zu reden hätte, so würde ich stets nur Gesellschaft sagen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 150-154.
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