Neuntes Kapitel

[154] Wie die Schauspieler miteinander lebten und wie sie die Autoren behandelten


Am folgenden Morgen zog ich also aus, um meine Tätigkeit als Verwalter zu beginnen. Es war ein Fasttag, aber auf Befehl meiner Herrin kaufte ich schöne, fette Hühnchen, Kaninchen, Rebhühner und anderes Geflügel. Da die Herren Komödianten mit der Haltung der Kirche ihnen gegenüber nicht zufrieden waren, so befolgten sie ihre Gebote nicht allzu[154] genau. Ich brachte mehr Fleisch mit nach Hause, als nötig gewesen wäre, um zwölf Ehrenmänner wohlbehalten durch die drei Karnevalstage zu bringen. Die Köchin hatte den ganzen Vormittag zu tun. Während sie das Essen bereitete, stand Arsenia auf; sie blieb bis Mittag bei der Toilette. Dann trafen Rosimiro und Ricardo ein, zwei Komödianten. Ihnen folgten zwei Schauspielerinnen, Konstanze und Celinaura, und einen Augenblick später kam Florimunde, begleitet von einem Herrn, der ganz aussah wie einer der leichtfertigsten Señores caballeros. Er trug das Haar elegant aufgeknüpft, einen Hut mit einem Büschel hellbrauner Federn und eine ganz enge Hose; durch die Öffnungen seines Wamses sah man ein feines Hemd mit sehr schöner Spitze. Seine Handschuhe und sein Taschentuch staken in der Glocke seines Degens, und seinen Mantel trug er mit ganz eigener Anmut.

Obgleich er gut aussah und schön gewachsen schien, glaubte ich doch etwas Sonderbares an ihm zu finden. Dieser Edelmann, sagte ich mir, muß ein Original sein. Ich täuschte mich nicht, er war eine charakteristische Erscheinung. Sobald er Arsenias Zimmer betrat, lief er mit offenen Armen auf die Schauspieler und Schauspielerinnen zu und umarmte sie einen nach dem andern, und zwar unter noch übertriebeneren Gesten als die Elegants. Beim Sprechen legte er auf jede Silbe Nachdruck, und er sprach in einem hochtrabenden Tone unter Gebärden und Blicken, die dem Gegenstande angepaßt waren. Ich war neugierig genug, Laura zu fragen, wer dieser Kavalier wohl sei. Ich nehme dir deine Neugier nicht übel, sagte sie: man kann Herrn Carlos Alonso de la Ventoleria unmöglich zum ersten Mal sehen und hören, ohne dein Verlangen zu spüren. Ich will ihn dir naturwahr schildern. Zunächst ist er Schauspieler gewesen; er hat das Theater aus Laune verlassen und hat das nachher aus Vernunft bereut. Hast du sein schwarzes Haar bemerkt? Es ist genau wie seine Brauen und sein Schnurrbart gefärbt. Er ist älter[155] als Saturn; da aber seine Eltern zur Zeit seiner Geburt vergessen haben, seinen Namen in die Kirchenregister eintragen zu lassen, so benutzt er diese Versäumnis und gibt sich für mindestens zwanzig Jahre jünger aus, als er ist. Außerdem ist er mehr als irgendein Spanier von sich eingenommen. Er hat die zwölf ersten Lustren seines Lebens in krasser Unwissenheit verlebt; aber um gelehrt zu werden, hat er sich einen Lehrer genommen, der ihn griechisch und lateinisch buchstabieren lehrte. Außerdem weiß er tausend hübsche Geschichten auswendig, die er so oft als von ihm erfunden erzählt hat, daß er mittlerweile glaubt, sie seien es wirklich. Er flicht sie in jede Unterhaltung ein, und man kann sagen, daß sein Geist auf Kosten seines Gedächtnisses glänzt. Übrigens sagt man, daß er ein großer Schauspieler sei. Ich will es gern glauben; aber ich will dir gestehn, daß er mir nicht gefällt. Ich höre ihn hier zuweilen deklamieren. Abgesehn von andern Fehlern finde ich seine Aussprache zu gekünstelt, und seine Stimme zittert so, daß seine Deklamation ganz altertümlich und lächerlich wirkt.

Das war das Bild, das meine Zofe mir von diesem Exkomödianten entwarf, und in der Tat habe ich nie einen Sterblichen von hochmütigerer Haltung gesehn. Er spielte auch den Schönredner. Er versäumte nicht, zwei oder drei Geschichten auszukramen, die er mit imposanter und wohlstudierter Miene vortrug. Aber die Schauspielerinnen und Schauspieler, die nicht gekommen waren, um zu schweigen, blieben auch nicht stumm. Sie begannen, sich auf eine freilich wenig freundliche Art über ihre abwesenden Kollegen zu unterhalten, was man Schauspielern und Autoren nachsehen muß. Und dieses Thema, das sie schon vor Tisch aufgegriffen hatten, herrschte auch während des Mahles. Da ich zu keinem Ende käme, wenn ich all die böswilligen und selbstgefälligen Reden berichten wollte, so wird der Leser sich darein finden, daß ich sie unterdrücke, um ihm dafür zu erzählen,[156] wie ein Dichter, ein armer Teufel, empfangen wurde, der gegen Ende der Mahlzeit bei Arsenia eintraf.

Unser kleiner Lakai trat ins Zimmer und sagte laut zu meiner Herrin: Gnädige Frau, ein Mensch in schmutziger Wäsche, bespritzt bis zum Rücken hinauf, verlangt Euch zu sprechen; mit Respekt zu vermelden, er sieht ganz aus wie ein Dichter. Laß ihn heraufkommen, sagte Arsenia. Bleibt sitzen, meine Herren, es ist ein Autor. Tatsächlich war es ein Dichter, von dem man eine Tragödie angenommen hatte und der meiner Herrin eine Rolle brachte. Er hieß Pedro de Moya. Als er eintrat, machte er der Gesellschaft fünf oder sechs tiefe Verbeugungen; niemand stand auf oder grüßte auch nur. Arsenia antwortete auf die Höflichkeiten, mit denen er sie überschüttete, durch eine einfache Neigung des Kopfes. Er trat befangen und zitternd vor. Er ließ seinen Hut und seine Handschuhe fallen, hob sie wieder auf, trat zu meiner Herrin und überreichte ihr sein Papier demütiger, als ein Kläger dem Richter eine Bittschrift überreicht. Gnädige Frau, sagte er, wollet gütigst die Rolle genehmigen, die ich mir die Freiheit nehme, Euch anzubieten. Sie nahm sie kalt und geringschätzig entgegen und geruhte nicht einmal, auf das Kompliment zu antworten.

Das schreckte unsern Dichter nicht ab, und er benutzte die Gelegenheit, noch weitere Rollen auszuteilen: eine an Rosimiro und eine dritte an Florimunde; beide behandelten ihn nicht anständiger als Arsenia. Im Gegenteil, der Schauspieler, der wie die meisten dieser Herren sonst höchst liebenswürdig war, beschimpfte ihn durch beißende Spöttereien. Pedro de Moya spürte sie; er wagte aber nicht, sie zu beanstanden, weil sein Stück darunter leiden konnte. Er zog sich ohne ein Wort, aber, wie mir schien, stark verletzt durch die Aufnahme, die er gefunden hatte, zurück. Ich glaube, in seinem Zorn verfehlte er nicht, die Schauspieler für sich im stillen zurechtzuweisen, wie sie es verdienten; und kaum[157] war er hinaus, so begannen die Schauspieler ihrerseits mit großer Liebenswürdigkeit von den Autoren zu reden.

Mir scheint, sagte Florimunde, der Herr Pedro de Moya geht nicht sehr zufrieden von uns. Ach, gnädige Frau, rief Rosimiro, warum macht Ihr Euch Sorge! Sind die Autoren unserer Beachtung wert? Wenn wir uns mit ihnen auf eine Stufe stellen, verwöhnen wir sie. Ich kenne diese kleinen Herren, ich kenne sie; sie würden sich bald vergessen. Wir müssen sie wie die Sklaven behandeln und nicht fürchten, ihre Geduld zu ermüden. Wenn ihr Ärger sie bisweilen von uns wegführt, bringt die Wut zu schreiben sie zurück, und sie sind nur zu glücklich, wenn wir geruhen, ihre Stücke zu spielen. Ihr habt recht, sagte Arsenia; wir verlieren nur die Autoren, deren Glück wir machen. Sobald wir ihnen eine gute Stellung verschafft haben, gewinnt das Wohlleben Macht über sie, und sie arbeiten nicht mehr. Zum Glück tröstet sich die Gesellschaft bald, und das Publikum hat nicht darunter zu leiden.

Man zollte diesen schönen Reden Beifall, und es stellte sich heraus, daß die Autoren den Schauspielern trotz der schlechten Behandlung, die sie ihnen zuteil werden ließen, noch Dank schuldig waren. Diese Mimen stellten sie tief unter sich, und sicher konnten sie sie nicht ärger verachten.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 154-158.
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