Siebentes Kapitel

[147] Wem er nach Don Mathias de Silvas Tode diente


Ein paar Tage nach Don Mathias' Begräbnis wurden alle Bedienten abgelohnt. Ich schlug meinen Wohnsitz bei dem kleinen Barbier auf, mit dem ich in engem Bunde zu leben begann. Ich hoffte, bei ihm werde es lustiger sein als bei Melendez. Da es mir an Geld nicht gebrach, so eilte ich nicht sonderlich, mir eine neue Stellung zu suchen; übrigens war ich darin wählerisch geworden. Ich wollte nur noch hervorragenden Leuten dienen und war entschlossen, die Posten, die sich mir bieten würden, zuvor zu prüfen. Ich hätte den besten nur gerade gut genug für mich gefunden, so sehr schien mir der Kammerdiener eines jungen Edelmannes den andern Dienern überlegen.

Bis mir das Glück ein Haus eröffnen würde, wie ich es zu verdienen meinte, glaubte ich, meine Muße nicht besser verwenden zu können, als wenn ich sie meiner schönen Laura widmete, die ich nicht mehr gesehen hatte, seit wir die lustige Enttäuschung erlebten. Ich wagte mich nicht mehr als Don Cesar de Ribera anzuziehen; ich konnte seine Kleider, wenn ich nicht als Narr gelten wollte, nur anlegen, um mich unkenntlich zu machen. Aber auch die meinen sahen noch nicht allzu unsauber aus, und zudem trug ich gute Stiefel und einen hübschen Hut. Ich putzte mich also mit Hilfe des Barbiers auf eine Art, die zwischen Don Cesar und Gil Blas den Mittelweg innehielt. So begab ich mich in das Haus Arsenias. Ich fand Laura allein; sie war in dem Saal, in dem[147] ich schon einmal mit ihr gesprochen hatte. Ah! Ihr seid es, rief sie, als sie mich sah; ich dachte schon, Ihr wäret verloren gegangen. Ich habe Euch vor etwa einer Woche erlaubt, mich zu besuchen; ich sehe, Ihr treibt keinen Mißbrauch mit der Freiheit, die man Euch gewährt.

Ich entschuldigte mich mit dem Tode meines Herrn, mit den Ablenkungen, die daraus entsprungen waren, und fügte höflich hinzu, selbst in meinen Nöten habe meine reizende Laura all meine Gedanken beschäftigt. Dann, sagte sie, will ich Euch keine Vorwürfe machen, und ich will Euch sogar gestehn, daß auch ich an Euch gedacht habe. Sobald ich von Don Mathias' Unglück hörte, habe ich einen Plan entworfen, der Euch nicht mißfallen wird. Schon lange hat meine Herrin davon gesprochen, daß sie eine Art Verwalter haben möchte, einen Burschen, der zu rechnen versteht, der genau über die Summen Buch führen soll, die man ihm zur Bestreitung des Haushaltes gibt. Ich habe ein Auge auf Euer Gnaden geworfen; mir scheint, Ihr würdet dies Amt nicht übel verwalten. Ich fühle, gab ich zur Antwort, ich werde es ausgezeichnet verwalten. Ich habe des Aristoteles Oeconomica gelesen, und Bücher führen, das ist meine starke Seite ... Leider, mein Kind, fuhr ich fort, verbietet mir eins, in Arsenias Dienst zu treten. Das wäre? fragte Laura. Ich habe geschworen, versetzte ich, keinem Bürgerlichen mehr zu dienen; ich habe es sogar beim Styx geschworen! Wenn Jupiter diesen Schwur nicht zu verletzen wagte, so kannst du dir denken, daß ein Diener ihn achten muß! Was meinst du mit deinen Bürgerlichen? erwiderte voll Hochmut die Zofe; wofür hältst du die Schauspielerinnen? Hältst du sie für Advokatenfrauen? O wisse, mein Freund, die Schauspielerinnen sind adlig, hochadlig durch die Verbindungen mit den großen Herren.

In diesem Fall, sagte ich, kann ich die Stelle, die Ihr mir bestimmt, annehmen, mein Kind; da tue ich nichts Standeswidriges.[148] Wahrhaftig, nein, erwiderte sie; wer von einem Elegant zu einer Theaterheldin geht, bleibt immer noch in derselben Welt. Wir leben mit den Leuten von Stande auf gleichem Fuß. Wir haben Wagen wie sie, wir leben ebenso gut, und im Grunde kann man uns im bürgerlichen Leben verwechseln. Ja, fügte sie hinzu, wenn man einen Marquis und einen Schauspieler im Verlauf eines Tages verfolgt, so gibt es beinahe dasselbe Bild. Wenn der Marquis drei Viertel des Tages hindurch dem Range nach über dem Schauspieler steht, so erhebt sich der Schauspieler während des letzten Viertels durch eine Kaiser- oder Königsrolle, die er spielt, weit über den Marquis. Das, scheint mir, ergibt einen Ausgleich an Adel und Größe, der uns neben die Herren vom Hofe stellt. Wahrlich, erwiderte ich, dem ist nicht zu widersprechen; ihr steht euch gleich. Zum Henker! die Komödianten sind keine Lumpen, wie ich glaubte, und Ihr reizt meine Lust, so anständigen Leuten zu dienen. Nun, sagte sie, du brauchst nur in zwei Tagen wiederzukommen. Bis dahin habe ich meine Herrin überredet, daß sie dich nimmt: ich werde zu deinen Gunsten reden. Ich habe ein wenig Einfluß bei ihr, und ich bin überzeugt, ich werde dich unterbringen.

Ich dankte Laura für ihren guten Willen. Ich versicherte sie meiner Erkenntlichkeit so feurig, daß sie nicht mehr daran zweifeln konnte. Wir führten ein langes Gespräch miteinander, und es hätte noch länger gedauert, wenn nicht ein kleiner Lakai gekommen wäre, um meiner Prinzessin zu sagen, daß Arsenia nach ihr riefe. Wir trennten uns, und ich verließ das Haus der Komödiantin in der süßen Hoffnung, bald Hahn im Korbe zu sein. Ich versäumte nicht, mich zwei Tage darauf einzufinden. Ich erwartete dich, sagte Laura, um dir zu eröffnen, daß du unser Hausgenosse bist. Komm, ich will dich meiner Herrin vorstellen. Und sie führte mich in eine Zimmerflucht zu ebener Erde.[149]

Welcher Luxus! welche Pracht! Ich glaubte, bei einer Vizekönigin zu sein, oder besser, ich dachte, hier seien alle Schätze der Welt aufgehäuft. Wirklich stammten sie aus allen Ländern, und man konnte diese Räume den Tempel einer Göttin nennen, in dem jeder Fremdling eine seltene Gabe seines Landes niederlegte. Ich sah die Gottheit auf einem großen Satinpolster sitzen, und ich fand sie reizend und gesättigt vom Rauch der Opfer. Sie war in einem zierlichen Negligé, und ihre schönen Hände beschäftigten sich mit einem neuen Haarputz für die Rolle des Abends. Gnädige Frau, sagte Laura, hier ist der neue Verwalter; ich kann Euch versichern, Ihr hättet keinen bessern finden können. Arsenia sah mich aufmerksam an, und ich hatte das Glück, ihr nicht zu mißfallen. Wie, Laura, rief sie, aber er ist ja ein reizender Junge! Ich sehe schon, ich werde mich gut mit ihm verstehn. Mein Lieber, fuhr sie fort, indem sie das Wort an mich richtete, Ihr gefallt mir, und ich habe Euch nur ein Wort zu sagen: Ihr werdet mit mir zufrieden sein, wenn ich es mit Euch bin. Ich antwortete, ich wollte mein möglichstes tun, um ihr nach Wunsch zu dienen. Da ich sah, daß wir uns einig waren, ging ich, um meine Sachen zu holen und mich in dem Hause einzurichten.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 147-150.
Lizenz: