Viertes Kapitel

[128] Wie Gil Blas mit den Dienern der Elegants Bekanntschaft schloß; welches wunderbare Geheimnis sie ihm offenbarten wie man ohne hohe Kosten in den Ruf eines Mannes von Geist kommen könne; und welchen sonderbaren Eid sie ihn leisten ließen


So unterhielten die Herren sich weiter, bis Don Mathias, dem ich derweilen beim Ankleiden half, zum Ausgehn bereit war. Er befahl mir, ihm zu folgen, und all diese Elegants schlugen zusammen den Weg zu der Schenke ein, in die Don Fernando de Gamboa sie führen wollte. Ich schritt mit drei andern Dienern – denn jedem der Herren folgte der seine – hinter ihnen drein. Mit Staunen sah ich, daß die drei Bedienten ihre Herren kopierten und sich das gleiche Ansehn[128] zu geben suchten. Ich begrüßte sie als ihr neuer Kamerad. Auch sie hießen mich willkommen, und einer von ihnen, der mich ein paar Sekunden angesehen hatte, sagte zu mir: Bruder, ich seh es an Eurem Gang, Ihr habt noch keinem jungen Herrn gedient. Leider! nein, erwiderte ich; und ich bin auch noch nicht lange in Madrid. Das scheint mir so, entgegnete er: Ihr riecht nach der Provinz; Ihr seid schüchtern und verlegen. Aber einerlei, wir werden Euch bald geschmeidig machen, auf Ehre. Ihr schmeichelt mir wohl gar, sagte ich. Nein, erwiderte er, nein; es gibt keinen Dummkopf, den wir nicht zurechtstutzen könnten, zählt darauf.

Mehr brauchte er mir nicht zu sagen, damit ich begriff, daß ich gute Jungen zu Kollegen hatte und daß ich in keine bessern Hände hätte fallen können, um ein hübscher Bursch zu werden. In der Schenke fanden wir die Mahlzeit schon hergerichtet, denn der Vorsicht halber hatte Don Fernando sie schon am Morgen bestellt. Unsre Herren setzten sich zu Tisch, und wir schickten uns an, sie zu bedienen. Nun unterhielten sie sich höchst lustig. Es war mir ein großer Genuß, ihnen zuzuhören. Ihr Wesen, ihre Gedanken, ihre Redeweise, alles machte mir Vergnügen. Diese Leute erschienen mir als eine neue Gattung Menschen. Als sie beim Obst ankamen, trugen wir ihnen eine reichliche Zahl von Flaschen voll der besten Weine Spaniens herbei, und dann verließen wir sie, um in einem kleinen Saal zu speisen, wo man auch für uns den Tisch gedeckt hatte.

Ich merkte bald, daß die Ritter meiner Quadrille noch mehr Begabung besaßen, als ich erst dachte. Sie nahmen nicht nur die Manieren ihrer Herren an: sie sprachen auch ihre Sprache und gaben sie so genau wieder, daß es bis auf eine Nuance von Vornehmheit dasselbe war. Don Fernandos Diener machte, da sein Herr bewirtete, die Honneurs bei der Mahlzeit; und da es an nichts fehlen sollte, so rief er den Wirt und sagte ihm: Herr Wirt, gebt uns zehn Flaschen Eures vortrefflichsten[129] Weins und schreibt sie wie gewöhnlich zu denen, die die Herren trinken. Recht gern, erwiderte der Wirt; aber, Herr Kaspar, Ihr wißt, der Herr Don Fernando ist mir schon viele Mahlzeiten schuldig. Wenn ich durch Eure Vermittlung ein paar Goldstücke erhalten könnte ... Ach! unterbrach der Diener, macht Euch keine Sorge; ich bürge Euch; die Schulden meines Herrn sind ungemünztes Gold. Freilich haben ein paar unhöfliche Gläubiger unsre Einkünfte mit Beschlag belegen lassen; aber bei erster Gelegenheit setzen wir die Aufhebung durch, und dann bezahlen wir Euch, ohne erst die Rechnung zu prüfen. Der Wirt brachte den Wein, und man hätte sehen müssen, wie wir fortwährend Trinksprüche ausbrachten, indem wir einander bei den Zunamen unserer Herren nannten. Don Antonios Kammerdiener nannte den Don Fernandos Gamboa; ebenso nannten sie mich einfach Silva; und unter diesen erborgten Namen betranken wir uns allmählich genau wie die Herren, die sie rechtmäßig trugen.

Obgleich ich weniger glänzte als meine Tischgenossen, zeigten sie mir doch, daß sie mit mir zufrieden waren. Silva, sagte einer der Trunkensten, wir wollen etwas aus dir machen, mein Freund; ich merke, im Grunde hast du Geist, aber du weißt ihn nicht zur Geltung zu bringen. Aus Furcht, schlecht zu sprechen, wagst du nicht, aufs Geratewohl zu reden; und doch erheben sich heutzutage tausend Menschen zu Schöngeistern nur dadurch, daß sie es darauf ankommen lassen. Wenn du glänzen willst, brauchst du dich nur deiner Lebhaftigkeit zu überlassen und alles zu sagen, was dir auf die Lippen steigt: dein Leichtsinn wird für edle Kühnheit gelten. Wenn du auch hundert Ungehörigkeiten sagst und dir dabei nur ein einziger Witz entschlüpft, so wird man die Dummheiten vergessen und von deinem Verstand eine hohe Meinung gewinnen. Das üben unsre Herren mit sehr viel Glück; und so muß es jeder machen, der nach dem Ruf eines hervorragenden Geistes strebt.[130]

Ich wünschte nur zu sehr, für einen Schöngeist zu gelten, und obendrein schien das mir mitgeteilte Geheimmittel, dies zu erreichen, so leicht anwendbar, daß ich glaubte, es nicht verachten zu dürfen. Ich erprobte es sofort, und infolge des Weins, den ich getrunken hatte, gelang der Versuch. Ich sprach tausend Dinge durcheinander und war so glücklich, daß unter vielen Torheiten ein paar Geistesblitze Beifall erweckten. Das machte mich zuversichtlich, und ich wurde nur noch lebhafter, um einen guten Einfall zustande zu bringen. Der Zufall wollte, daß meine Bemühungen nicht vergeblich waren.

Nun, sagte da der unter meinen Kollegen, der schon auf der Straße das Wort an mich gerichtet hatte, beginnst du nicht schon, dich abzuschleifen? Du bist noch keine zwei Stunden bei uns und bist schon ein andrer, als du warst. Du siehst, was es heißt, wenn man Leuten von Stande dient! Das erhebt den Geist; bürgerliche Dienste haben diese Wirkung nicht. Zweifellos, gab ich zur Antwort; und deshalb will ich meine Dienste in Zukunft auch nur noch dem Adel widmen. Gut gesprochen! rief Don Fernandos Diener im Rausch. Auf, meine Herren! laßt uns einen Eid darauf leisten, daß wir nie Bürgerlumpen dienen wollen; beim Styx laßt uns schwören! Und wir zollten Beifall: das Glas in der Hand, taten wir den närrischen Schwur. Wir blieben bei Tisch, bis es unsern Herren gefiel, nach Hause zu gehn. Es war um Mitternacht, was meinen Kollegen übertrieben solide schien. Allerdings verließen die Herren die Schenke nur, um im Viertel des Hofes zu einer berühmten Kokotte zu gehn, deren Haus den Genußmenschen Tag und Nacht geöffnet war. Es war eine Frau von fünfunddreißig bis vierzig Jahren, die noch sehr schön, unterhaltend und in der Kunst zu gefallen so erfahren war, daß sie, wie man sagte, die Reste ihrer Schönheit teurer verkaufte, als sie die Erstlinge hatte verkaufen können. Stets waren noch zwei bis drei andre Kokotten ersten Ranges bei[131] ihr, die nicht zum mindesten zu dem großen Andrang der Herren, die man dort sah, beitrugen. Nachmittags spielte man; dann speiste man zu Abend und verbrachte die Nacht mit Trinken und Lachen. Unsre Herren blieben bis zum Tagesanbruch da, und ebenso wir, und zwar ohne daß wir uns langweilten; denn während sie bei den Herrinnen waren, belustigten wir uns mit den Zofen. Bei Sonnenaufgang trennten wir uns und begaben uns zur Ruhe.

Als mein Herr wie gewöhnlich um Mittag aufgestanden war, zog er sich an und ging aus. Ich folgte ihm, und wir gingen zu Don Antonio Centelles, wo wir einen gewissen Don Alvaro de Acuna trafen. Das war ein alter Edelmann und ein Lehrer der Ausschweifung. Alle jungen Leute, die liebenswürdige Männer werden wollten, gaben sich in seine Hände. Er erzog sie zum Genuß, lehrte sie in der Gesellschaft glänzen und ihr Erbe vergeuden. Das seine zu verzehren, befürchtete er nicht mehr, denn das war längst geschehn. Nachdem die drei Kavaliere sich umarmt hatten, sagte Centelles zu meinem Herrn: Bei Gott, Don Mathias, du konntest nicht gelegener kommen! Don Alvaro will mich gerade zu einem Bürgerlichen führen, der den Marquis von Zeneta und Don Juan de Moncada zum Diner eingeladen hat: ich möchte, daß du dabei wärest. Und wie, fragte Don Mathias, nennt man diesen Bürgerlichen? Er heißt Gregorio de Noriega, sagte Don Alvaro. Sein Vater ist ein reicher Juwelier und handelt zur Zeit in fremden Ländern mit Edelsteinen. Beim Aufbruch hat er ihm den Nießbrauch eines großen Einkommens überlassen. Gregorio ist ein Dummkopf, der ganz dazu veranlagt ist, was er besitzt, zu verzehren, der den Elegant spielt und seiner Natur zum Trotz als geistreich gelten möchte. Er hat mich um meine Führung gebeten. Ich leite ihn an; und ich kann euch versichern, meine Herren, das Kapital ist schon kräftig angebrochen. Daran zweifle ich nicht, rief Centelles aus; ich sehe den Bürger schon im Armenhaus.[132] Auf! Don Mathias, fuhr er fort, schließen wir Bekanntschaft mit dem Mann und helfen wir, ihn zu ruinieren. Ich bin bereit, erwiderte mein Herr; ich sehe gern zu, wenn man das Vermögen dieser kleinen bürgerlichen großen Herren ausschüttet, die da meinen, man verwechsle sie mit uns.

Centelles und mein Herr begaben sich mit Don Alvaro zu Gregorio de Noriega; Mogicon und ich gingen mit. Als wir eintraten, sahen wir mehrere Leute damit beschäftigt, das Mahl zuzubereiten; und den Ragouts, die sie machten, entstieg ein Duft, der den Geruchssinn zugunsten des Geschmacks für sich einnahm. Der Marquis von Zeneta und Don Juan de Moncada waren gerade eingetroffen. Der Hausherr erschien mir als ein großer Tölpel. Vergeblich bemühte er sich, die Haltung der Elegants anzunehmen; er war eine schlechte Kopie vortrefflicher Originale. Man stelle sich einen solchen Menschen unter fünf Spöttern vor, die sich alle nur über ihn lustig machen und ihn zu großen Ausgaben verleiten wollen. Meine Herren, sagte Don Alvaro nach den ersten Komplimenten, ich stelle euch den Herrn Gregorio de Noriega als einen der vollendetsten Kavaliere vor. Er hat tausend gute Eigenschaften. Wißt ihr, daß er äußerst kultivierten Geistes ist? Ihr habt nur zu wählen: er ist gleich stark in allen Fächern, von der feinsten, knappsten Logik an bis hinab zur Orthographie. Ah! Ihr schmeichelt mir gar zu sehr, unterbrach der Bürgerliche ihn mit sehr albernem Lachen. Ich könnte Euch, Herr Alvaro, das Kompliment zurückgeben: man nennt Euch einen Brunnen der Gelehrsamkeit. Ich hatte nicht die Absicht, gab Don Alvaro zurück, mir ein so geistreiches Lob zu angeln; aber wahrlich, meine Herren, fuhr er fort, der Herr Gregorio kann nicht verfehlen, sich einen Namen in der Welt zu machen. Was mich meinerseits, sagte Don Antonio, an ihm entzückt und was ich noch höher stelle als die Orthographie, das ist die verständige Wahl der Personen, mit denen er verkehrt. Statt sich auf Bürgerliche[133] zu beschränken, will er nur junge Edelleute sehn, und er fragt wenig danach, was es ihn kostet. Darin zeigt sich eine Geisteshöhe, die mich bezaubert; und ich nenne das: sein Geld mit Geschmack und Verständnis ausgeben.

Diese ironischen Reden waren nur der Vortrab zu tausend ähnlichen. Die Elegants versetzten dem armen Gregorio einer nach dem andern Stiche, deren Schärfe der Dummkopf nicht fühlte; im Gegenteil, er nahm alles, was man ihm sagte, wörtlich und schien mit seinen Gästen sehr zufrieden; er glaubte sogar, wenn sie ihn lächerlich machten, so täten sie ihm noch eine Ehre an. Kurz, er diente ihnen, solange sie bei Tische saßen, als Spielzeug, und sie blieben den Rest des Tages und die ganze Nacht bei Tische sitzen. Wir tranken, genau wie unsre Herren, soviel wir wollten; und wir waren genau wie sie in guter Verfassung, als wir den Bürger verließen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 128-134.
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