Sechstes Kapitel

[483] Scipio kehrt aus Neu-Spanien zurück. Gil Blas bringt ihn zu Don Henrico. Von den Studien des jungen Herrn. Von den Ehren, die man ihm erwies, und mit welcher Dame der Graf-Herzog ihn vermählte. Wie Gil Blas wider Willen geadelt wurde


Ich hatte Don Henricos Haus noch nicht halb eingerichtet, als Scipio aus Mexiko zurückkam. Ich fragte ihn, ob er mit seiner Reise zufrieden sei. Ich muß es wohl sein, erwiderte er, denn außer dreitausend Dukaten in bar bringe ich für zweimal soviel Waren mit, an denen es hier mangelt. Ich gratuliere, mein Junge, versetzte ich; das ist der Anfang zu deinem Vermögen; es steht bei dir, es auszubauen, indem du nächstes Jahr wieder nach Indien fährst; oder wenn du lieber, als in der Ferne Güter zu sammeln, eine angenehme Stellung in Madrid willst, so, brauchst du es nur zu sagen: ich habe eine für dich. Oh, bei Gott! sagte Scipio, da gibt es kein Zögern; ich will lieber in der Nähe Eurer Gnaden ein gutes[483] Amt bekleiden, als mich von neuem den Gefahren einer langen Seefahrt aussetzen, welche Vorteile ich auch davon haben mag. Erklärt Euch Eurem Diener.

Um ihn aufzuklären, erzählte ich ihm die Geschichte des kleinen Edelmanns, den der Graf-Herzog in das Haus Guzman aufgenommen hatte. Nach diesem merkwürdigen Bericht und nachdem ich ihm gesagt hatte, der Minister habe mich zu Don Henricos Hofmeister ernannt, fügte er hinzu, ich wolle ihn zum Kammerdiener dieses Adoptivsohns machen. Scipio, der sich nichts Besseres wünschte, nahm mit Freuden an und füllte seinen Posten so gut aus, daß er in kaum drei Tagen das Vertrauen und die Freundschaft seines neuen Herrn besaß.

Ich hatte geglaubt, die ausgewählten Pädagogen würden an dem Sohn der Genueserin ihre Zeit verschwenden, da ich ihn in seinem Alter für ein wenig gelehriges Geschöpf hielt; aber ich täuschte mich. Er begriff und behielt leicht, was man ihn lehrte; seine Lehrer waren sehr mit ihm zufrieden. Ich beeilte mich, es dem Grafen-Herzog zu melden, der vor Freude außer sich war. Santillana, rief er begeistert, du entzückst mich, wenn du mir sagst, Don Henrico habe Gedächtnis und Scharfsinn: ich erkenne mein Blut in ihm; und vollends überzeugt mich davon, daß er mein Sohn ist, die Zärtlichkeit, mit der ich ihn liebe, als hätte ich ihn von der Gräfin von Olivares. Du siehst, mein Freund, die Natur gibt sich zu erkennen. Ich hütete mich, dem Minister zu sagen, was ich darüber dachte. Ich achtete seine Schwäche und ließ ihm den Genuß, sich für Don Henricos Vater zu halten.

Obgleich alle Guzmans diesen neugebackenen jungen Edelmann tödlich haßten, verbargen sie ihren Haß aus Politik; manche suchten sogar auffällig seine Freundschaft: die Gesandten und Granden, die in Madrid waren, besuchten ihn und erwiesen ihm alle Ehren, die sie einem legitimen Kind des Grafen-Herzogs erwiesen hätten. Der Minister, entzückt,[484] seinen Abgott verehrt zu sehn, zögerte nicht, ihn mit Würden zu schmücken. Zunächst erbat er vom König das Kreuz von Alcantara für Don Henrico und eine Komturei von zehntausend Talern. Bald darauf ließ er ihn zum Kammerherrn ernennen; dann beschloß er, ihn zu verheiraten, und da er ihm eine Dame aus dem edelsten Hause Spaniens geben wollte, so warf er die Augen auf Doña Juana de Velasco, eine Tochter des Herzogs von Kastilien; und er war einflußreich genug, diese Heirat dem Herzog und seinen Verwandten zum Trotz durchzusetzen.

Ein paar Tage vor der Hochzeit ließ Seine Exzellenz mich rufen und sagte, indem er mir einige Papiere reichte: Hier, Gil Blas, habe ich dir ein neues Geschenk zu machen; ich glaube, es wird dir nicht unangenehm sein: ich habe dir einen Adelsbrief ausstellen lassen. Gnädiger Herr, erwiderte ich sehr überrascht, Eure Exzellenz weiß, ich bin der Sohn einer Dueña und eines Dieners: mir scheint, es hieße den Adel entweihen, wenn man ihn mir verliehe; von allen Gnadenzeichen, die Seine Majestät mir geben kann, ist dies dasjenige, das ich am wenigsten verdiene und ersehne. Deine Geburt, versetzte der Minister, ist kein ernstliches Hindernis. Du bist unter dem Ministerium des Herzogs von Lerma und unter dem meinen mit Staatsangelegenheiten beschäftigt gewesen; und, fügte er mit einem Lächeln hinzu, hast du nicht dem Monarchen Dienste geleistet, die eine Belohnung verdienen? Mit einem Wort, Santillana, du bist der Ehre, die ich dir antun will, nicht unwürdig; und dann, und dieser Grund ist unwiderleglich, verlangt der Rang, den du bei meinem Sohn einnimmst, daß du adlig bist; ich will dir sogar gestehn, daß ich dir deshalb den Adelsbrief gegeben habe. Ich füge mich, gnädiger Herr, erwiderte ich, da Eure Exzellenz es durchaus will. Und ich ging mit meinem Patent, das ich in die Tasche steckte.

Ich bin also nunmehr Edelmann! sagte ich bei mir, als ich[485] auf der Straße stand; ich bin adlig, ohne es meinen Eltern zu danken! Ich kann mich, wenn ich will, Don Gil Blas nennen lassen; und wenn ein Bekannter mir ins Gesicht lacht, so werde ich ihn auf meinen Brief verweisen. Aber ich will ihn doch lesen, fuhr ich fort, indem ich ihn aus der Tasche zog; laßt sehn, wie man da den Bürgersmann zurechtstutzt. Ich las also mein Patent, das etwa besagte: Der König habe es, um den Eifer, den ich bei mehr als einer Gelegenheit in seinem Dienst und für das Wohl des Staates gezeigt hätte, zu belohnen, für angebracht gehalten, mir den Adel zu verleihen. Ich kann zu meinem Lobe sagen, daß er mir keinen Hochmut einflößte. Da ich stets die Niedrigkeit meiner Geburt vor Augen hatte, so demütigte mich diese Ehre, statt mich eitel zu machen. Ich nahm mir daher auch vor, mein Patent in einem Schubfach zu verschließen und mich seines Besitzes nie zu rühmen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 483-486.
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