Dreizehntes Kapitel

[47] Wie Gil Blas sich einkleidete, welches neue Geschenk er von der Dame erhielt und in welchem Aufzug er Burgos verließ


Man setzte mir ein reichliches Frikassee aus Hammelfüßen vor, das ich fast ganz aufaß. Ich trank dementsprechend; dann ging ich schlafen. Ich hatte ein gutes Bett und hoffte, meiner Sinne werde sich bald ein tiefer Schlaf bemächtigen. Und doch konnte ich kein Auge schließen; fortwährend träumte ich von dem Anzug, den ich mir kaufen wollte. Was sollte ich tun? Sollte ich meinen ersten Plan befolgen und mir eine Soutane erstehn, um nach Salamanca zu gehn und eine Stellung als Lehrer anzunehmen? Hatte ich Lust, mich dem geistlichen Stand zu widmen? Trieb meine Neigung mich dazu? Nein, ich fühlte ganz entgegengesetzte Triebe. Ich wollte den Degen führen und es in der Welt zu etwas zu bringen suchen: dabei blieb ich stehn.

Kaum trafen die ersten Strahlen des Tages mein Auge, so stand ich auf. Ich machte so viel Lärm im Gasthof, daß alle Schlafenden erwachten. Ich rief die Knechte, die noch in ihren Betten lagen und die auf meinen Ruf nur antworteten, um mich mit Flüchen zu bedenken. Sie mußten schließlich aber doch aufstehn, und ich ließ ihnen keine Ruhe, bis sie mir einen Trödler herbeigeholt hatten. Dieser kam in Begleitung zweier Burschen, von denen jeder ein großes Bündel aus grüner Leinwand trug. Er grüßte mich sehr höflich und sagte: Herr Kavalier, Ihr habt viel Glück, daß man zu mir kam und zu keinem andern. Ich will nichts gegen meine Zunftgenossen sagen; Gott verhüte, daß ich ihrem Ruf ein Unrecht tue! aber, unter uns, nicht einer hat ein Gewissen: sie sind sämtlich härter als die Juden. Ich bin der einzige Trödler, der Moral hat. Ich begnüge mich mit einem bescheidenen Nutzen; ich begnüge mich mit der Mark auf den Groschen,[48] wollte sagen, dem Groschen auf die Mark. Dem Himmel sei Dank, ich übe meinen Beruf ohne Arg und Falsch aus.

Nach dieser Einleitung, die ich dummerweise wörtlich nahm, befahl der Trödler den Burschen, ihre Bündel aufzuschnüren. Man zeigte mir Anzüge in allen möglichen Farben, davon mehrere aus ganz glattem Tuch. Diese schob ich voll Geringschätzung zurück, weil ich sie zu bescheiden fand; aber einen ließ man mich anprobieren, der für meine Größe gemacht zu sein schien und der mich blendete, obgleich er ein wenig altmodisch war. Er bestand aus einem Wams mit geschlitzten Ärmeln, Kniehose und Mantel; das Ganze aus blauem Samt und goldgestickt. Den wollte ich nehmen, und ich fragte nach dem Preis. Der Trödler, der sah, daß mir der Anzug gefiel, sagte, ich hätte einen feinen Geschmack. Gott sei Lob! rief er; man sieht, daß Ihr Euch darauf versteht. Wisset, daß dies Gewand für einen der größten Herren des Reiches gemacht und nur dreimal getragen ist. Seht Euch den Samt an: schönern gibt es nicht; und was die Stickerei angeht, gesteht, daß sie nicht besser gearbeitet sein könnte. Wie teuer, fragte ich, wollt Ihr ihn verkaufen? Für sechzig Dukaten, antwortete er; ich habe sie schon dafür ausgeschlagen, oder ich bin kein ehrlicher Mann. Die Begründung war überzeugend. Ich bot ihm fünfundvierzig; wert war der Anzug vielleicht die Hälfte. Herr Edelmann, erwiderte der Trödler kühl, ich überfordere nie; ich sage stets mein letztes Wort. Seht, fuhr er fort und zeigte mir die Anzüge, die ich abgewiesen hatte, nehmt diese; die gebe ich billiger her. Dadurch reizte er nur mein Verlangen nach dem andern. Und da ich glaubte, er werde nichts ablassen, zählte ich ihm sechzig Dukaten hin. Als er sah, wie leicht ich sie hergab, ärgerte er sich, glaube ich, all seiner Moral zum Trotz, daß er nicht mehr gefordert hatte. Er ging jedoch ganz zufrieden mit dem Verdienst der Mark auf den Groschen davon, begleitet von seinen Burschen, die ich nicht vergessen hatte.[49]

Jetzt galt es, für die übrige Ausstattung zu sorgen, was mich den ganzen Vormittag kostete. Ich kaufte mir Wäsche, einen Hut, seidene Strümpfe, Schuhe und einen Degen; dann zog ich mich an. Nie hat ein Pfau sein Gefieder wohlgefälliger betrachtet. Noch am selben Tage machte ich Doña Mencia den zweiten Besuch, und wieder empfing sie mich mit huldvoller Miene. Sie dankte mir nochmals für den ihr geleisteten Dienst. Daraufhin große Komplimente hin und her. Schließlich wünschte sie mir jedes erdenkliche Glück, sagte mir Lebewohl und zog sich zurück, ohne mir irgend etwas zu geben außer einem Ring zu dreißig Pistolen, den ich als Andenken an sie behalten sollte.

Ich war betroffen; ich hatte auf ein beträchtliches Geschenk gerechnet. So kehrte ich, mit der Freigebigkeit der Dame wenig zufrieden, in Gedanken versunken in den Gasthof zurück; jedoch, als ich eintrat, langte auch jemand an, der mir auf dem Fuße gefolgt war. Plötzlich ließ dieser den Mantel, der ihm bis über die Nase reichte, sinken, und ich sah, daß er einen dicken Sack unter dem Arm trug. Beim Anblick des Sacks, der mir ganz danach aussah, als sei er voller Goldstücke, machte ich große Augen; und das taten auch mehrere Leute, die anwesend waren. Ich glaubte, die Stimme eines Seraphs zu hören, als dieser Mensch zu mir sagte, indem er den Sack auf einem Tisch absetzte: Herr Gil Blas, das schickt Euch die Frau Marquise. Ich machte dem Träger tiefe Verbeugungen und überhäufte ihn mit Höflichkeiten. Sowie er zum Gasthof hinaus war, warf ich mich, wie sich ein Falke auf seine Beute stürzt, auf den Sack und trug ihn in mein Zimmer. Ich fand tausend Dukaten darin. Gerade hatte ich sie gezählt, als der Wirt, der die Worte des Trägers gehört hatte, eintrat, um zu sehn, was in dem Sack sei. Teufel! rief er, welche Menge Geld! Ihr müßt, fuhr er mit boshaftem Lächeln fort, die Frauen zu behandeln verstehn. Ihr seid noch keine vierundzwanzig Stunden in Burgos und erhebt schon Tribut von Marquisen.[50]

Diese Worte mißfielen mir nicht; ich war in Versuchung, Majuelo in seinem Irrtum zu belassen. Aber meine Unschuld siegte über meine Eitelkeit. Ich klärte ihn über Doña Mencias Geschichte auf, und da er Interesse an mir zu nehmen schien, bat ich ihn, mir mit seinem Rat behilflich zu sein. Er dachte ein paar Sekunden nach und sagte dann mit ernsthafter Miene: Herr Gil Blas, ich habe Neigung zu Euch gefaßt; und da Ihr mir Vertrauen entgegenbringt und offen zu mir redet, so will ich Euch, ohne zu schmeicheln, sagen, wozu ich Euch für geschaffen halte. Ihr scheint mir für den Hof geboren. Ich rate Euch, zieht hin und schließt Euch einem großen Herrn an; aber sucht Euch in seine Geschäfte zu mischen oder auf seine Vergnügungen einzugehn; sonst ist es verlorene Zeit. Ich kenne die Großen: den Eifer und die Anhänglichkeit eines ehrlichen Mannes zählen sie für nichts; sie kümmern sich nur um die, die sie nötig haben. Euch bleibt noch eins, fuhr er fort: Ihr seid jung, wohlgebaut, und hättet Ihr auch keinen Geist, so wäre das schon mehr als nötig, um einer reichen Witwe oder einer hübschen, unglücklich verheirateten Frau den Kopf zu verdrehn. Wenn die Liebe wohlhabende Männer ruiniert, so ernährt sie gar oft die, die selber nichts haben. Ich bin also dafür, daß Ihr nach Madrid geht; aber Ihr dürft nicht ohne Gefolge dort erscheinen. Man urteilt da wie anderswo nach dem Schein, und Ihr werdet eingeschätzt, wie Ihr Euch selber gebt. Ich werde Euch einen Diener verschaffen, einen treuen, verständigen Burschen, kurz, ein Geschöpf meiner Hand. Kauft zwei Maultiere, eins für Euch, das andre für ihn, und brecht so bald wie möglich auf.

Dieser Rat war zu sehr nach meinem Geschmack, als daß ich ihn nicht hätte befolgen sollen. Gleich am folgenden Tage kaufte ich zwei schöne Maultiere, und ich nahm den Diener in Lohn, von dem der Wirt mir gesprochen hatte. Es war ein Bursche von dreißig Jahren, der einfältig und ergeben dreinsah. Er sagte mir, er sei aus dem Königreich Galicien und[51] heiße Ambrosio von Lamela. Eins fiel mir auf: daß er nämlich, ungleich andern Bedienten, die meist sehr interessiert sind, gar nicht auf hohen Lohn erpicht war; er sagte mir, er sei mit dem zufrieden, was ich ihm freundlichst geben wolle. Ich kaufte noch Stiefel und ein Felleisen, um meine Wäsche und meine Dukaten darein zu tun. Dann bezahlte ich meinen Wirt, und am folgenden Morgen brach ich vor Sonnenaufgang von Burgos auf, um nach Madrid zu gehn.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 47-52.
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