Drittes Kapitel

[399] Gil Blas schlägt den Weg nach dem Königreich Valencia ein und kommt endlich in Lirias an; Schilderung seines Schlosses, seiner Aufnahme und der Leute, die er vorfand


Wir schlugen den Weg nach Leon ein und dann den nach Valencia. In kleinen Tagereisen kamen wir am zehnten Abend nach der Stadt Segorbe, von wo aus wir uns am folgenden Morgen nach meinem Gut aufmachten, das von dort nur noch drei Stunden entfernt war. Je näher wir ihm kamen, um so mehr Vergnügen machte es mir, zu sehn, wie mein Sekretär mit großer Aufmerksamkeit alle Schlösser betrachtete, die sich seinem Blick rechts und links in der Landschaft darboten. Als er eins von prachtvollem Bau bemerkte, verfehlte er nicht, es mir zu zeigen und zu sagen: Ich wollte, das wäre unser Zufluchtsort.

Ich weiß nicht, mein Freund, sagte ich, wie du dir unsern Wohnsitz vorstellst; aber wenn du dir einbildest, es sei ein Prunkgebäude, das Gut eines großen Herrn, so warne ich dich vor schwerer Enttäuschung. Wenn du dich nicht von deiner Phantasie betrügen lassen willst, so stelle dir Horazens kleines Haus bei Tibur im Sabinerland vor, das ihm Mäcenas schenkte. Don Alphonso hat mir etwa das gleiche Geschenk gemacht. Das tut mir leid, rief Scipio aus; ich darf mich also nur auf eine Hütte gefaßt machen. Nicht ganz, erwiderte ich; aber entsinne dich, daß ich dir das Haus stets[399] als sehr bescheiden geschildert habe; und eben jetzt kannst du selber beurteilen, ob ich dir ein treues Bild davon entwarf. Wirf den Blick zum Guadalaviar hinüber, und du siehst an seinem Ufer bei jenem Flecken von neun oder zehn Gehöften ein Haus mit vier kleinen Pavillons; das ist mein Schloß. Zum Henker! rief da mein Sekretär mit bewundernder Stimme, das ist ja ein Juwel! Seine Pavillons geben ihm einen vornehmen Anstrich, und dann kann man sagen, es ist sehr schön gelegen, schön gebaut und von noch lieblicherer Landschaft umgeben als Sevilla, dessen Umgebung man das irdische Paradies nennt. Und hätten wir uns unsern Wohnsitz ausgewählt, er könnte nicht mehr nach meinem Geschmack sein; wahrhaftig, ich finde ihn reizend: ein Fluß umspült ihn mit seinen Wellen; ein dichter Wald spendet Schatten, wenn man am Mittag spazierengehen will. Welch anmutige Einsamkeit! Ach, mein teurer Herr, mir scheint, hier werden wir lange bleiben! Ich bin erfreut, sagte ich, daß du mit unserm Asyl, dessen Annehmlichkeiten du noch nicht einmal alle kennst, zufrieden bist.

Während dieser Unterhaltung näherten wir uns dem Hause, dessen Tor sich uns auftat, sobald Scipio meldete, daß der Herr Gil Blas von Santillana komme, um von seinem Schloß Besitz zu ergreifen. Bei diesem Namen, den alle, die ihn vernahmen, so achteten, ließ man die Kutsche in einen großen Hof ein, wo ich ausstieg. Dann ging ich, indem ich mich gewichtig auf Scipio stützte und mich in die Brust warf, in einen Saal, den ich kaum betreten hatte, als sechs bis acht Bediente erschienen. Sie sagten mir, sie brächten mir als ihrem neuen Herrn ihre Huldigung dar: Don Cesar und Don Alphonso de Leyva hätten sie zu meinem Dienst ausersehen, den einen als Koch, den andern als Küchengehilfe, einen dritten als Küchenjungen, einen vierten als Pförtner, den Rest als Lakaien; und sie hätten ihnen verboten, Geld von mir anzunehmen, da die beiden Edelleute alle Kosten meines Haushalts[400] zu bestreiten gedächten. Der Koch, Meister Joachim, war der Vorgesetzte dieser Diener und führte das Wort; er spielte den Liebenswürdigen: er sagte mir, er hätte für Vorrat an allen möglichen vortrefflichen Weinen gesorgt; und was die Tafel angehe, so hoffe er, ein Mann wie er, der sechs Jahre lang bei Seiner Hochwürden dem Erzbischof von Valencia Koch gewesen sei, werde Ragouts zu machen verstehn, die meinen Gaumen kitzeln würden. Ich will, fügte er hinzu, eine Probe meiner Kunst bereiten. Geht umher, gnädiger Herr, seht Euch bis zum Mittagessen Euer Schloß an; seht zu, ob es genügend instand gesetzt ist, um von Euer Gnaden bewohnt zu werden.

Man mag sich denken, daß ich diese Besichtigung nicht versäumte; Scipio, der noch neugieriger war als ich, zog mich von Zimmer zu Zimmer fort. Wir liefen durch das ganze Haus, von oben bis unten; uns entging, wenigstens glaubten wir es, nicht der kleinste Fleck; und überall hatte ich Gelegenheit, Don Cesars und seines Sohnes Güte zu bewundern. Unter anderm fielen mir zwei Gemächer auf, die so gut möbliert waren, wie sie es ohne Prunk nur sein konnten. In dem einen hing ein flämischer Wandteppich; ein Bett und die Samtsessel stammten, obgleich sie noch sehr sauber waren aus der Zeit, da die Mauren das Königreich Valencia besetzt hatten. Die Einrichtung des andern war in demselben Geschmack: ein alter Wandbehang aus gelbem Genueser Damast, ein Bett und Sessel aus gleichem Stoff mit blauen Seidenfransen. All das würde bei einer Bestandsaufnahme wohl nur gering geschätzt worden sein, machte aber hier einen recht großartigen Eindruck.

Nachdem wir uns alles angesehn hatten, kehrten wir, mein Sekretär und ich, in den Saal zurück, wo eine Tafel mit zwei Gedecken belegt war; wir setzten uns, und im Nu servierte man uns eine so köstliche Olla podrida, daß wir den Erzbischof von Valencia beklagten, weil er seinen einstigen Koch[401] nicht mehr hatte. Wir hatten freilich großen Appetit und fanden sie auch darum nicht schlechter. Bei jedem Bissen, den wir aßen, setzten uns unsre neuen Lakaien große Gläser vor, die sie mit einem köstlichen La Mancha-Wein füllten. Scipio war entzückt; aber da er vor ihnen seiner inneren Befriedigung keinen lauten Ausdruck zu verleihen wagte, so zeigte er sie mir durch sprechende Blicke, und ich gab ihm durch die meinen zu erkennen, daß ich ebenso zufrieden sei wie er. Eine Bratenschüssel, zwei fette Wachteln mit einem wunderbar duftenden Häschen, lockte uns von dem Ragout hinweg und sättigte uns vollends. Als wir wie zwei Ausgehungerte gegessen hatten, standen wir auf, um im Garten an kühler und angenehmer Stelle wollüstig Siesta zu halten.

Wenn mein Sekretär schon bislang mit allem, was er gesehen hatte, sehr zufrieden war, so war er es noch mehr, als er den Garten sah. Er fand ihn dem des Eskorial vergleichbar. Er wurde nicht müde, ihn mit seinen Blicken zu durchschweifen. Freilich hatte ihn Don Cesar, der von Zeit zu Zeit nach Lirias gekommen war, mit besonderem Vergnügen pflegen und verschönern lassen. All die gut bestreuten und von Orangen eingefaßten Gänge, ein riesiges Bassin aus weißem Marmor, in dessen Mitte ein Bronzelöwe in großen Strahlen Wasser spie, die Schönheit der Blumen, die Mannigfaltigkeit der Früchte, all das entzückte Scipio; aber am meisten begeisterte ihn eine lange Allee, die, beständig fallend, bis zur Wohnung des Pachtbauern führte, eingedeckt vom dichten Laubwerk großer Bäume. Und indem wir diesen Weg priesen, der so geeignet war, als Zuflucht gegen die Hitze zu dienen, machten wir halt und setzten uns unter eine Ulme, wo der Schlummer bald zwei Leute übermannte, die gut zu Mittag gespeist hatten.

Zwei Stunden darauf erwachten wir jäh beim Knall mehrerer Büchsenschüsse, die so dicht neben uns erschallten, daß wir zusammenschraken. Wir sprangen auf; und um nach der Ursache des Lärms zu fragen, eilten wir zum Hause des Pächters[402] hinab. Wir fanden dort sieben bis acht Dörfler, lauter Einwohner des Fleckens, die sich versammelt hatten und ihre rostigen Feuerwaffen abschossen, um unsre Ankunft zu feiern. Die meisten kannten mich, denn sie hatten mich als Verwalter mehr als einmal im Schloß gesehn. Kaum erblickten sie mich, so riefen sie im Chor: Es lebe unser neuer Herr! Er sei in Lirias willkommen! Und sie luden ihre Büchsen von neuem und ehrten mich mit einer allgemeinen Salve. Ich begrüßte sie so huldvoll wie nur möglich, aber doch voll Ernst, denn ich glaubte, mich nicht mit ihnen gemein machen zu sollen. Ich versicherte sie meines Wohlwollens; ich warf ihnen sogar einige zwanzig Pistolen hin, und ich glaube, das gefiel ihnen nicht am wenigsten. Dann erlaubte ich ihnen, noch mehr Pulver in den Wind zu jagen, und zog mich mit meinem Sekretär in den Wald zurück, wo wir bis zum Einbruch der Nacht spazierengingen, ohne des Anblicks der Bäume müde zu werden: so viel Reize hatte der neu erworbene Besitz zunächst für uns!

Der Koch und die beiden Gehilfen waren derweilen nicht müßig; sie arbeiteten an einer Mahlzeit, die der ersten noch überlegen sein sollte, und zu unserm größten Staunen sahen wir, als wir den Saal betraten, vier Rebhühner mit einem Kaninchenfrikassee und Kapaunragout auftragen. Dann tischte man uns als Zwischengerichte Schweinsohren, Huhn in Gelee und Schokolade mit Sahne auf. Wir tranken reichlich Lucenerwein dazu und noch mehrere andre köstliche Weinsorten, und als wir fühlten, daß wir nicht mehr trinken konnten, ohne unser Wohlbefinden zu gefährden, dachten wir daran, zu Bett zu gehn. Da griffen meine Lakaien zu den Leuchtern und führten mich in das schönste Gemach, wo sie sich anschickten, mich zu entkleiden; aber als sie mir meinen Schlafrock und meine Nachtmütze gegeben hatten, schickte ich sie fort, indem ich mit Herrenmiene sagte: Zieht euch zurück, meine Herren, zu dem übrigen brauche ich euch nicht mehr.[403]

Ich ließ sie alle hinausgehn und behielt nur Scipio zurück, um mich noch ein wenig mit ihm zu unterhalten. Wir beglückwünschten uns zu der angenehmen Lage, in der wir uns befanden. Die Freude meines Sekretärs läßt sich nicht schildern. Nun, mein Freund, sagte ich, was sagst du dazu, wie man mich auf Befehl der Herren von Leyva behandelt? Meiner Treu, erwiderte er, ich denke, besser könnte man es nicht machen; ich wünsche nur, daß es von Dauer sei. Ich wünsche es nicht, versetzte ich; ich darf nicht dulden, daß meine Wohltäter solchen Aufwand für mich treiben; das hieße ihre Großmut mißbrauchen. Dann kann ich mich nicht in Diener finden, die in andrer Leute Lohn stehn: mir ist, als wäre ich nicht in meinem Hause. Und ich bin nicht hergekommen, um unter so viel Lärm zu leben. Welcher Wahnsinn! Brauchen wir eine so große Zahl von Dienern? Nein, wir brauchen außer Bertram nur einen Koch, einen Küchenjungen und einen Lakaien, das wird uns genügen. Obgleich es meinem Sekretär ganz recht gewesen wäre, immer auf Kosten des Gouverneurs von Valencia zu leben, bekämpfte er mein Zartgefühl darin nicht. Er schloß sich meinem Empfinden an und stimmte der Reform, die ich einführen wollte, bei. Als das beschlossen war, verließ er mein Gemach und zog sich in das seine zurück.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 399-404.
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