Fünftes Kapitel

[408] Gil Blas kehrt nach Lirias zurück; von der angenehmen Entdeckung, die Scipio ihm mitteilte, und von der Umgestaltung ihres Haushalts


Acht Tage lebte ich wie die Grafen und Marquis in der Gesellschaft von Valencia. Theater, Bälle, Konzerte, Gastmähler, Unterhaltungen mit den Damen: all diese Vergnügungen[408] verschafften mir der Herr und die Frau Statthalter, die ich so für mich einnahm, daß sie mich nur ungern scheiden und nach Lirias zurückkehren sahen. Sie nötigten mir sogar das Versprechen ab, meine Zeit zwischen ihnen und meiner Einsamkeit zu teilen. Es wurde beschlossen, ich sollte den Winter über in Valencia wohnen und während des Sommers in meinen Schloß. Nach diesem Vertragsschluß ließen meine Wohltäter mich ziehn, und ich machte mich also, sehr mit meiner Reise zufrieden, wieder nach Lirias auf.

Scipio, der meine Rückkehr ungeduldig erwartete, war erfreut, mich wiederzusehn, und ich verdoppelte seine Freude noch durch den treuen Bericht über alles, was ich erlebt hatte. Und du, mein Freund, fragte ich, welchen Gebrauch hast du inzwischen von den Tagen meiner Abwesenheit gemacht? Hast du dich gut unterhalten? So gut, sagte er, wie es ein Diener nur kann, dem nichts so teuer ist wie die Anwesenheit seines Herrn. Ich bin auf unserm kleinen Besitztum überall umhergegangen; bald habe ich an der Quelle im Wald gesessen, bald unter einem Baum gelegen und den Nachtigallen und Grasmücken zugehört. Ich habe gejagt, ich habe gefischt; und mehr als all das hat es mich befriedigt, einige ebenso nützliche wie unterhaltsame Bücher zu lesen.

Ich unterbrach meinen Sekretär und fragte eifrig, woher er die Bücher genommen habe. Aus einer schönen Bibliothek, die mir Meister Joachim in unserm Schloß gezeigt hat, erwiderte er. Ah! und wo sollte diese angebliche Bibliothek sich befinden? fragte ich. Haben wir nicht am Tage unsrer Ankunft das ganze Haus besehn? Das glaubt Ihr, versetzte er, aber wißt, daß wir nur durch drei Pavillons gegangen sind und den vierten vergaßen. Dort verwandte Don Cesar, wenn er nach Lirias kam, einen Teil seiner Zeit auf die Lektüre. In dieser Bibliothek stehn sehr gute Bücher, die man Euch als ein sicheres Mittel gegen die Langeweile zurückgelassen hat, wenn unser Wald der Blätter und unsre Gärten[409] der Blumen beraubt sind und Euch nicht mehr davor bewahren können. Die Herren von Leyva haben nichts halb getan: sie haben so gut an die Nahrung des Geistes gedacht wie an die des Leibes.

Diese Nachricht machte mir wirkliche Freude. Ich ließ mich in den Pavillon führen und weidete mich an dem angenehmen Anblick. Ich fand ein Zimmer, das ich sofort nach Don Cesars Beispiel zu dem meinen zu machen beschloß. Das Bett des Edelmanns und alle seine Möbel standen noch da; die Wand war mit einem Teppich bespannt, auf dem der Raub der Sabinerinnen dargestellt war. Aus dem Schlafzimmer trat ich in ein Kabinett, in dem ringsherum niedrige Schränke voller Bücher standen, während die Porträts all unsrer Könige von oben niederblickten. Bei einem Fenster, durch das man auf eine lachende Landschaft hinaussah, stand ein Schreibtisch aus Ebenholz vor einem großen Sofa aus schwarzem Maroquinleder. Aber ich widmete meine Aufmerksamkeit vor allem der Bibliothek. Sie bestand aus Philosophen, Dichtern, Historikern und vielen Ritterromanen. Ich dachte mir, Don Cesar sei ein Freund von Werken der letzten Art, weil ein so großer Vorrat davon vorhanden war. Ich muß zu meiner Schande gestehn, daß auch ich diese Erzeugnisse nicht haßte, obgleich sie aus lauter Unwahrscheinlichkeiten gewebt sind, sei es, daß ich es als Leser damals nicht so genau nahm, sei es, daß das Wunderbare uns Spanier zu nachsichtig findet. Ich will aber zu meiner Rechtfertigung auch sagen, daß ich an den Büchern einer heitern Moral mehr Gefallen fand und daß Lucian, Horaz und Erasmus meine Lieblingsautoren wurden.

Mein Freund, sagte ich zu Scipio, als ich meine Bibliothek durchgesehn hatte, damit können wir uns unterhalten; aber vor allem haben wir eins zu tun; nämlich unsern Haushalt umzugestalten. Die Sorge, sagte er, will ich Euch abnehmen. Ich habe während Eurer Reise Eure Leute studiert, und ich[410] rühme mich, sie zu kennen. Beginnen wir mit Meister Joachim: ich halte ihn für einen ganzen Schelm, und ich zweifle nicht, daß man ihn beim Erzbischof wegen der Rechenfehler in seinen Ausgabeheften fortgejagt hat. Man muß ihn aber aus zwei Gründen behalten: erstens ist er ein guter Koch; dann werde ich ein Auge auf ihn haben: ich werde ihm aufpassen, und er muß schon sehr schlau sein, wenn ich mich von ihm täuschen lasse. Ich sagte ihm gestern, Ihr wolltet drei Viertel Eurer Diener entlassen, und ich habe wohl gemerkt, daß ihm diese Nachricht Schmerz bereitete; er sagte mir sogar, da er sich aus Neigung zu Eurem Dienst hingezogen fühle, so wolle er sich lieber mit der Hälfte seines bisherigen Lohns begnügen als Euch verlassen; ich vermute daher, daß hier im Flecken ein kleines Mädchen wohnt, von dem er sich nicht trennen möchte. Der Küchengehilfe, fuhr er fort, ist ein Trunkenbold und der Pförtner ein Grobian, den wir nicht brauchen, so wenig wie den Jäger. Die Stellung des Jägers werde ich sehr gut ausfüllen; ich will es Euch morgen beweisen, denn wir haben Flinten, Pulver und Blei im Hause. Von den Lakaien ist einer Aragonese; der scheint mir ein guter Junge zu sein. Den wollen wir behalten; all die andern sind solche Taugenichtse, daß ich Euch nicht raten würde, sie zu behalten, brauchten wir auch hundert Diener.

Nachdem wir das reiflich überlegt hatten, beschlossen wir, uns mit dem Koch, dem Küchenjungen und dem Aragonesen zu begnügen und uns der übrigen zu entledigen, was noch selbigen Tags mit Hilfe einiger Goldstücke ausgeführt wurde. Als wir diese Reform durchgeführt hatten, stellten wir eine Hausordnung im Schlosse auf; wir regelten die Verpflichtungen eines jeden Dienstboten und begannen auf eigne Kosten zu leben. Ich hätte mich gern mit einfachen Mahlzeiten begnügt; aber mein Sekretär, der feine Ragouts und gute Bissen liebte, war nicht der Mann danach, Meister Joachims Kunst ruhen zu lassen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 408-411.
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