Sechstes Kapitel

[411] Von der Liebe Gil Blas' zu der schönen Antonia


Zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Valencia kam Basilio, mein Pächter, morgens beim Lever zu mir und bat um die Erlaubnis, mir seine Tochter Antonia vorstellen zu dürfen, die es, wie er sagte, nach der Ehre verlangte, ihren neuen Herrn begrüßen zu dürfen. Ich antwortete, es werde mich sehr freuen. Er ging und kam sehr bald mit seiner schönen Antonia zurück. Ich glaube, einem Mädchen von sechzehn bis achtzehn Jahren, das mit regelmäßigen Zügen den schönsten Teint und die schönsten Augen der Welt verband, dies Beiwort geben zu können. Sie war nur in Serge gekleidet; aber eine herrliche Gestalt, eine majestätische Haltung und Reize, wie sie nicht immer die Jugend begleiten, überstrahlten die Einfachheit ihrer Kleidung. Ihr Kopf war unbedeckt, ihr Haar nur hinten nach Art der Lazedämonierinnen mit einem Blumenstrauß geknotet.

Als ich sie in mein Zimmer treten sah, überwältigte mich ihre Schönheit ebensosehr wie Angelikas Reize die Paladine am Hof Karls des Großen. Statt Antonia unbefangen zu begrüßen und ihr Schmeichelhaftes zu sagen, statt ihren Vater zu einer so reizenden Tochter zu beglückwünschen, war ich erstaunt, verwirrt, sprachlos. Scipio, der meine Not bemerkte, ergriff für mich das Wort und bestritt die Kosten des Lobes, das ich diesem reizenden Wesen schuldig war. Sie aber, die ich in meinem Schlafrock und in der Nachtmütze nicht zu blenden vermochte, grüßte mich ohne Verlegenheit und machte mir ein Kompliment, das mich vollends bezauberte, obgleich es durchaus nicht ungewöhnlich war. Während mein Sekretär, Basilio und seine Tochter sich Liebenswürdigkeiten sagten, kam ich jedoch wieder zu mir, und als hätte ich mein bisheriges stumpfsinniges Schweigen wieder gutmachen wollen, verfiel ich aus einem Extrem ins andre. Ich[412] ergoß mich in galanten Redensarten und sprach so lebhaft, daß Basilio ängstlich wurde; und da er mich als einen Mann ansah, der alles ins Werk setzen würde, Antonia alsbald zu verführen, so beeilte er sich, mit ihr fortzukommen, und beschloß, sie meinen Augen auf immer zu entziehn.

Als Scipio mit mir allein war, sagte er lächelnd: Herr von Santillana, ein neues Mittel gegen die Langeweile! Ich wußte nicht, daß Euer Pächter eine so hübsche Tochter hat; ich hatte sie noch nicht gesehn, obgleich ich zweimal bei ihm war. Er muß sie sorgfältig versteckt gehalten haben, und ich verzeihe es ihm. Zum Henker, sie ist ein leckerer Bissen. Aber, fügte er hinzu, ich glaube, man braucht es Euch nicht erst zu sagen; sie hat Euch gleich geblendet, ich habe es bemerkt. Ich leugne es nicht, erwiderte ich. Ach, mein Junge, ich glaubte ein himmlisches Wesen zu sehn; sie hat mich entflammt; der Blitz fliegt nicht so schnell wie der Pfeil, den sie mir ins Herz gesandt hat.

Ihr entzückt mich, versetzte mein Sekretär begeistert, da Ihr mir sagt, daß Ihr endlich verliebt seid. Euch fehlte eine Geliebte zum vollkommenen Glück in Eurer Einsamkeit. Dem Himmel sei Dank, jetzt habt Ihr alles! Ich weiß wohl, fuhr er fort, es wird nicht leicht sein, Basilios Wachsamkeit zu überlisten. Aber das ist meine Sache; und ich mache mich anheischig, Euch noch vor dem dritten Tage eine heimliche Unterredung mit Antonia zu verschaffen. Herr Scipio, sagte ich, vielleicht vermöchtet Ihr mir doch nicht Wort zu halten, all Eurem Talent in Liebesunterhandlungen zum Trotz; aber ich will Euch nicht auf die Probe stellen. Ich will die Tugend dieses Mädchens nicht in Versuchung führen. Mir scheint, sie verdient ganz andre Empfindungen. Statt von Eurem Eifer zu verlangen, daß Ihr sie mir entehren helft, will ich sie durch Eure Vermittlung heiraten, wenn ihr Herz nicht schon einem andern gehört. Ich hatte nicht gedacht, sagte er, daß Ihr Euch so schnell zur Heirat entschließen würdet. Nicht[413] alle Dorfherren würden an Eurer Stelle so ehrenhaft handeln; legitime Absichten würden sie erst geltend machen, wenn alle andern fehlgeschlagen wären. Übrigens, fuhr er fort, glaubt nicht, ich verurteilte Eure Liebe; im Gegenteil, ich billige sie sehr. Die Tochter Eures Pächters verdient die Ehre, die Ihr ihr antun wollt, wenn sie Euch ein unberührtes und für Eure Güte empfängliches Herz entgegenbringt. Das werde ich noch heute durch eine Unterhaltung mit ihrem Vater und vielleicht mit ihr selber erfahren.

Mein Vertrauter war ein Mann, der hielt, was er versprach. Er suchte Basilio heimlich auf, und abends kam er zu mir in mein Kabinett, wo ich ihn ungeduldig und halb ängstlich erwartete. Seine lustige Miene war mir ein gutes Omen. Wenn ich deinem lachenden Antlitz glauben soll, so meldest du mir, daß ich bald am Ziel meiner Wünsche sein werde. Ja, teurer Herr, erwiderte er; alles ist Euch günstig. Ich habe Basilio und seine Tochter gesprochen; ich habe ihnen Eure Absichten erklärt. Der Vater ist entzückt, daß Ihr sein Schwiegersohn werden wollt, und ich kann Euch versichern, daß Ihr nach Antonias Geschmack seid. O Himmel! unterbrach ich ihn im Übermaß der Freude; wie! ich wäre glücklich genug, diesem reizenden Geschöpf zu gefallen? Zweifelt nicht daran, erwiderte er, sie liebt Euch schon. Ich habe freilich ihrem Mund das Geständnis noch nicht entlockt; aber ich verlasse mich auf die Heiterkeit, die sie verriet, als sie von Eurem Plan erfuhr. Aber, fuhr er fort, Ihr habt einen Rivalen. Einen Rivalen! rief ich erbleichend. Laßt Euch das keine Sorge machen, sagte er; dieser Rivale wird Euch das Herz Eurer Geliebten nicht rauben. Es ist Meister Joachim, Euer Koch. Ah, der Galgenstrick! lachte ich auf; deshalb also zeigte er so wenig Lust, meinen Dienst zu verlassen! Ganz recht, erwiderte Scipio; er hat dieser Tage Antonia zum Weibe verlangt, aber sie hat ihn höflich abgewiesen. Unbeschadet deiner bessern Einsicht, sagte ich, mir scheint, es wäre geraten,[414] sich dieses Schelms zu entledigen, ehe er hört, daß ich Basilios Tochter heiraten will; ein Koch ist, wie du weißt, ein gefährlicher Rivale. Ihr habt recht, versetzte mein Vertrauter, aus Vorsicht müssen wir ihn entfernen; ich werde ihm gleich morgen früh seinen Abschied geben, ehe er sich an die Arbeit macht, dann habt Ihr weder von seinen Saucen noch von seiner Liebe weiter etwas zu befürchten. Es tut mir freilich, fuhr er fort, ein wenig leid, einen so guten Koch zu verlieren; aber ich opfere meine Leckerei Eurer Sicherheit. Du darfst, sagte ich, nicht allzusehr um ihn trauern; sein Verlust ist nicht unersetzlich; ich werde aus Valencia einen Koch kommen lassen, der ihn aufwiegt. Und ich schrieb alsbald an Don Alphonso, daß ich einen Koch brauchte. Einen Tag darauf schickte er mir einen, der Scipio tröstete.

Obgleich mir mein eifriger Sekretär gesagt hatte, er hätte bemerkt, daß Antonia sich aus dem Grunde ihrer Seele freute, weil sie ihren Herrn erobert hätte, so wagte ich es doch noch nicht, mich auf seinen Bericht zu verlassen. Ich fürchtete, er hätte sich durch falschen Schein trügen lassen. Um sicherzugehn, beschloß ich, selber mit der schönen Antonia zu reden. Ich begab mich also zu Basilio, dem ich bestätigte, was mein Gesandter ihm gesagt hatte. Der gute Ackersmann versicherte mir offen und einfach, er gebe mir seine Tochter mit größter Befriedigung; aber, fügte er hinzu, glaubt nur nicht, es sei wegen Eures Titels als Dorfherr. Wärt Ihr auch noch Verwalter bei Don Cesar und Don Alphonso, ich zöge Euch allen Liebhabern vor, die sich einfinden könnten; ich habe stets eine Neigung zu Euch gespürt, und es tut mir nur leid, daß Antonia Euch keine große Mitgift einbringen kann: Ich verlange keine, versetzte ich; sie selbst ist das einzige, wonach ich strebe. Euer ergebenster Diener, rief er, das ist nicht mein Fall; ich bin kein Lump, daß ich meine Tochter so verheirate. Basilio de Buenotrigo ist, Gott sei Dank, imstande, ihr eine Mitgift zu geben; wenn Ihr ihr das Mittagsbrot[415] gebt, soll sie Euch das Abendbrot geben. Mit einem Wort, die Einkünfte des Schlosses betragen nur fünfhundert Dukaten; ich will sie um der Heirat willen auf tausend erhöhen.

Ich füge mich in alles, wie Ihr es wollt, mein lieber Basilio, erwiderte ich; wir werden um das Geld keinen Streit miteinander haben. Wir sind uns beide einig; es handelt sich also nur noch um die Einwilligung Eurer Tochter. Ihr habt die meine, sagte er, genügt das nicht? Nicht ganz, versetzte ich; wenn ich Eure brauche, so brauche ich auch ihre. Ihre hängt von meiner ab, rief er; ich wollte nur, sie wagte vor mir den Mund aufzutun! Antonia, verwies ich ihn, ist, da sie sich dem väterlichen Willen fügt, ohne Zweifel bereit, Euch blind zu gehorchen; aber ich weiß nicht, ob sie es in diesem Fall ohne Widerstreben tut. Ich wäre ewig untröstlich, wenn ich ihr Unglück bewirkte; kurz, es genügt nicht, wenn ich ihre Hand von Euch erhalte: sie muß die Schenkung mit unterschreiben. O verdammt! sagte Basilio, ich verstehe all die Philosophie nicht; redet selber mit Antonia, und ich muß mich sehr täuschen, wenn sie sich Besseres wünscht, als Eure Frau zu werden. Er rief seine Tochter und ließ mich einen Augenblick mit ihr allein.

Um diese kostbare Zeit auszunutzen, kam ich gleich zur Sache. Schöne Antonia, sagte ich, entscheidet über mein Schicksal. Wenn ich auch Eures Vaters Einwilligung habe, glaubt nicht, daß ich sie mißbrauchen will, um Euren Gefühlen Gewalt anzutun. So reizvoll Euer Besitz sein mag, ich verzichte darauf, wenn Ihr mir sagt, daß ich ihn nur Eurem Gehorsam danken soll. Das werde ich Euch nicht sagen, erwiderte Antonia, indem sie ein wenig errötete; Eure Werbung ist mir zu angenehm, als daß sie mir Schmerz bereiten könnte; und ich billige die Wahl meines Vaters, statt über sie zu murren. Ich weiß nicht, fuhr sie fort, ob ich recht oder unrecht tue, so zu Euch zu reden; aber wenn Ihr mir mißfielet, so wäre ich offen[416] genug, es Euch zu sagen; weshalb sollte ich Euch das Gegenteil nicht ebenso offen sagen?

Bei diesen Worten, die ich nicht ohne Entzücken hören konnte, beugte ich vor Antonia das Knie; und im Übermaß meiner Seligkeit ergriff ich eine ihrer schönen Hände und küßte sie zärtlich und leidenschaftlich. Meine teure Antonia, sagte ich, Eure Offenheit entzückt mich; fahrt fort und tut Euch keinen Zwang an; Ihr redet zu Eurem Gatten: Eure Seele enthülle sich ganz vor seinen Augen. Ich kann mir also schmeicheln, daß Ihr es nicht ohne Freude seht, wenn ich Euer Schicksal an meines binde. Basilio, der eben eintrat, hinderte mich, fortzufahren. Ungeduldig, zu erfahren, was seine Tochter geantwortet hatte, bereit, sie zu schelten, wenn sie mir die geringste Abneigung verraten hätte, trat er zu uns. Nun! sagte er, seid Ihr mit Antonia zufrieden? So sehr, erwiderte ich, daß ich mich sofort mit den Vorbereitungen zu meiner Hochzeit beschäftigen will. Und so verließ ich Vater und Tochter, um mich darüber mit meinem Sekretär zu beraten.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 411-417.
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