Siebentes Kapitel

[417] Hochzeit Gil Blas' mit der schönen Antonia


Obwohl ich die Erlaubnis der Herren von Leyva nicht brauchte, so glaubten wir, Scipio und ich, dennoch, daß ich es nicht unterlassen dürfe, ihnen meine Absicht, Basilios Tochter zu heiraten, mitzuteilen, und sie aus Höflichkeit um ihre Einwilligung zu bitten. Ich fuhr sofort nach Valencia, wo man ebenso erstaunt war, mich zu sehn, wie den Zweck meiner Reise zu erfahren. Don Cesar und Don Alphonso, die Antonia kannten, beglückwünschten mich, daß ich sie zur Frau erwählt hatte. Vor allem Don Cesar machten mir so lebhafte Komplimente, daß ich ihn, wäre er nicht über gewisse Vergnügungen hinaus gewesen, hätte in Verdacht haben können, er sei manchmal weniger nach Lirias gereist, um sein[417] Schloß, als um die kleine Pächterstochter zu sehn. Wäre ich von Natur mißtrauisch und eifersüchtig gewesen, ich hätte unangenehme Schlüsse ziehen können; aber ich tat es nicht, so sehr war ich von der Sittsamkeit meiner Zukünftigen überzeugt. Seraphine sagte mir, nach dem sie mir zuvor versichert hatte, sie werde stets an allem teilnehmen, was mich angehe, sie habe sehr günstig über Antonia sprechen hören; aber, fügte sie boshaft hinzu, als wollte sie mir die Gleichgültigkeit vorwerfen, mit der ich Sephoras Liebe gelohnt hatte, hätte man mir ihre Schönheit nicht schon gerühmt, so würde ich mich auf Euren Geschmack verlassen, den ich als wählerisch kenne.

Don Cesar und sein Sohn begnügten sich nicht damit, meine Heirat zu billigen: sie erklärten mir, sie wollten die Kosten der Hochzeit tragen. Kehrt, sagten sie, nach Lirias zurück und wartet ruhig, bis Ihr von uns hört. Trefft keine Vorbereitungen, das übernehmen wir. Ich fügte mich ihrem Willen. Ich teilte Basilio und seiner Tochter die Absichten unsrer Gönner mit, und wir warteten so geduldig wie möglich auf Nachricht von ihnen. Acht Tage lang hörten wir nichts; dafür sahen wir am neunten einen Wagen mit vier Maultieren kommen, in dem Schneider schöne Seidenstoffe für das Hochzeitskleid der Braut mitbrachten und dem mehrere Diener in Livree auf prachtvollen Pferden das Geleit gaben. Der eine von ihnen übergab mir einen Brief von Don Alphonso. Der Edelmann schrieb mir, er werde am folgenden Tage mit Vater und Gattin in Lirias sein, und am zweiten Tage werde die Trauung durch den Großvikar von Valencia vollzogen werden. Wirklich zogen Don Cesar, sein Sohn und Seraphine mit diesem Geistlichen in mein Schloß ein; sie kamen in einem mit sechs Pferden bespannten Wagen, dem ein zweiter, vierspänniger mit Seraphinens Frauen voranfuhr und dem die Wachen des Statthalters folgten.

Kaum war die Frau Statthalterin im Schloß eingetroffen, so[418] bezeigte sie große Ungeduld, Antonia zu sehn, die ihrerseits kaum von Seraphinens Ankunft gehört hatte, als sie herbeieilte, um sie zu begrüßen und ihr die Hand zu küssen; sie tat es so anmutig, daß die ganze Gesellschaft sie bewunderte. Nun edle Frau, sagte Don Cesar zu seiner Schwiegertochter, was haltet Ihr von Antonia? Hätte Santillana eine bessere Wahl treffen können? Nein, erwiderte Seraphine; sie sind einander wert; ich zweifle nicht, daß ihr Bund sehr glücklich sein wird. Kurz, jeder lobte meine Braut; und wenn man sie schon in ihrem Sergekleide lobte, so war man noch mehr entzückt, als sie in reicherer Gewandung erschien. Es war, als hätte sie niemals eine andere getragen, so edel sah sie aus, und so unbefangen bewegte sie sich.

Als endlich der Augenblick gekommen war, nahm Don Alphonso mich bei der Hand, um mich an den Altar zu führen, und Seraphine tat der Braut die gleiche Ehre an. So zogen wir in die Kapelle des Fleckens, wo der Großvikar wartete, um uns zu trauen. Die Feierlichkeit ging unter dem Jubel der Einwohner von Lirias und aller reichen Bauern der Umgegend vor sich, die Basilio zu Antonias Hochzeit geladen hatte. Bei ihnen waren ihre Töchter, geschmückt mit Bändern und Blumen, die Schellentrommel in der Hand. Dann zogen wir ins Schloß zurück, wo unter Scipios, des Festordners, Aufsicht drei Tafeln gedeckt waren, eine für die Herren, eine für ihr Gefolge und eine dritte, die größte, für alle Geladenen. Antonia saß, da die Frau Statthalterin es so wollte, an der ersten; ich präsidierte der zweiten, und Basilio saß bei den Bauern. Scipio setzte sich nirgends: er kam und ging und achtete darauf, daß gut serviert wurde und daß alle zufrieden waren.

Das Festmahl war von den Köchen des Statthalters bereitet worden: also fehlte es an nichts. Die guten Weine, die Meister Joachim für mich aufgestapelt hatte, wurden nicht geschont; die Gäste begannen sich zu erhitzen; überall herrschte[419] Heiterkeit, bis sie plötzlich durch einen Zwischenfall getrübt wurde, der mich erschreckte. Mein Sekretär, der gerade im gleichen Saal war, in dem ich mit dem Gefolge Don Alphonsos und mit Seraphinens Frauen saß, fiel plötzlich in Ohnmacht. Ich sprang ihm zu Hilfe; aber während ich mich mit ihm beschäftigte, sank auch eine von den Frauen zu Boden. Die ganze Gesellschaft dachte sich gleich, daß dieser doppelte Ohnmachtsanfall ein Geheimnis verrate; und so war es auch; denn als Scipio wieder zu sich kam, sagte er ganz leise zu mir: Muß der schönste Eurer Tage für mich der unangenehmste sein! Man kann seinem Schicksal nicht entgehn, fügte er hinzu; ich habe eben in einer der Dienerinnen meine Frau erkannt.

Was höre ich? rief ich aus. Unmöglich! Wie! du wärest der Gatte der Dame, die mit dir zugleich ohnmächtig wurde? Ja, gnädiger Herr, erwiderte er, ich bin ihr Mann; und ich schwöre Euch, das Schicksal konnte mir keinen ärgeren Streich spielen, als sie mir vor Augen zu führen. Ich weiß nicht, mein Freund, sagte ich, aus welchem Grunde du dich über deine Gattin beklagst; aber welchen Anlaß sie dir auch gegeben habe, bitte, bezwinge dich; wenn ich dir teuer bin, so trübe dieses Fest nicht, indem du deinem Groll Luft machst. Ihr sollt mit mir zufrieden sein, versetzte Scipio; Ihr werdet sehn, wie ich heucheln kann.

Und damit trat er auf seine Frau zu, die ihre Gefährtinnen inzwischen auch zum Leben erweckt hatten, und umarmte sie so lebhaft, als sei er entzückt, sie wiederzusehn: Ach, meine teure Beatrix, rief er, führt uns der Himmel nach zehn Jahren der Trennung endlich wieder zusammen? O süßer Augenblick! Ich weiß nicht, erwiderte seine Frau, ob Ihr Euch wirklich freut, mir zu begegnen; aber wenigstens bin ich überzeugt, daß ich Euch keinen Grund gegeben habe, mich zu verlassen. Was! Ihr findet mich eines Nachts bei dem Herrn Don Fernando de Leyva, der meine Herrin Julia[420] liebt und dessen Leidenschaft ich begünstige; Ihr setzt es Euch in den Kopf, ich erhörte ihn auf Kosten Eurer Ehre und meiner: das verwirrt Euch den Verstand; Ihr verlaßt Toledo und flieht mich wie ein Ungeheuer, ohne eine Aufklärung von mir zu fordern. Wer von uns beiden, bitte, hat das meiste Recht, sich zu beklagen? Ihr, ohne Widerspruch, versetzte Scipio. Zweifellos ich, erwiderte sie. Don Fernando hat Julia kurz nach Eurem Aufbruch aus Toledo geheiratet; ich blieb so lange bei ihr, wie sie lebte; und seit ein vorzeitiger Tod sie uns geraubt hat, stehe ich im Dienste ihrer Frau Schwester, die Euch, ebenso wie alle ihre Frauen, für die Reinheit meiner Sitten bürgen kann.

Auf diese Worte hin, deren Unwahrheit er nicht beweisen konnte, ergab mein Sekretär sich willig. Nochmals, sagte er zu seiner Gattin, ich erkenne meine Schuld, und ich bitte Euch vor dieser ehrenwerten Versammlung um Verzeihung. Da trat ich für ihn ein und bat Beatrix, das Vergangene zu vergessen, indem ich ihr versicherte, ihr Mann werde hinfort nur noch daran denken, sie zu versöhnen. Sie fügte sich meiner Bitte, und die ganze Gesellschaft feierte die Wiedervereinigung der beiden Gatten.

Die dritte Tafel war die erste, die man aufhob. Den jungen Bauern war die Liebe lieber als das gute Essen, und so standen sie auf, um mit den jungen Bäuerinnen zu tanzen, die durch das Geräusch ihrer Schellentrommeln bald alle von den Tischen lockten und ihnen Lust einflößten, ihrem Beispiel zu folgen. Und so war alles in Bewegung: die Diener des Herrn Statthalters begannen mit den Zofen der Frau Statthalter zu tanzen; die Edelleute mischten sich auch darunter: Don Alphonso tanzte mit Seraphine eine Sarabande; Don Cesar eine zweite mit Antonia, die dann mich holte. Beatrix und Scipio begannen sich abseits zu unterhalten, um sich über alles, was während ihrer Trennung geschehen war, zu berichten. Aber Seraphine unterbrach sie; denn da sie von[421] ihrer Wiedererkennung gehört hatte, ließ sie sie rufen, um ihnen ihre Freude auszusprechen. Meine Kinder, sagte sie, an diesem Tage der Freude ist es mir eine ganz besondere Genugtuung, euch einander zurückgegeben zu sehn. Freund Scipio, fügte sie hinzu, ich übergebe Euch Eure Gattin und beteure, daß sie sich stets ohne Tadel geführt hat; lebt in gutem Einvernehmen miteinander. Und Ihr, Beatrix, haltet Euch an Antonia und seid ihr nicht minder ergeben, als Euer Mann es dem Herrn von Santillana ist. Und Scipio, der nach all dem nicht anders konnte, als in seiner Frau eine zweite Penelope zu sehn, versprach, sie so liebevoll wie nur irgend möglich zu behandeln.

Die Bauern und Bäuerinnen gingen, nachdem sie den ganzen Tag lang getanzt hatten in ihre Häuser davon. Aber im Schloß setzte man das Fest noch fort. Dort fand ein prunkvolles Nachtmahl statt; und als man davon sprach, zu Bett zu gehn, segnete der Großvikar das Hochzeitsbett, Seraphine entkleidete die Braut, und mir taten die Herren von Leyva die gleiche Ehre an. Das Lustigste war, daß die Diener Don Alphonsos und die Frauen der Frau Statthalter des Spaßes halber die gleiche feierliche Handlung vornahmen: sie zogen Beatrix und Scipio aus, die sich, um den Vorgang noch komischer zu machen, in strengem Ernst entkleiden und ins Bett legen ließen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 417-422.
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