Achtes Kapitel

[292] Von dem Auftrag, den der Marquis von Marialva Gil Blas gab, und wie der neue Sekretär sich dessen entledigte


Als ich nach Hause kam, war der Marquis noch nicht zurück, und ich fand in seinen Zimmern alle seine Kammerdiener beim Kartenspiel vor. Ich schloß Bekanntschaft mit ihnen, und wir vergnügten uns bis zwei Uhr morgens: da kam unser Herr. Er war ein wenig überrascht, als er mich sah, und er sagte sehr freundlich, woraus ich schloß, daß er mit seinem Abend zufrieden war: Wie, Gil Blas, Ihr seid noch nicht im Bett? Ich erwiderte, ich hätte erst wissen wollen, ob er mir nichts zu befehlen hätte. Vielleicht, sagte er, habe ich morgen früh einen Auftrag für Euch; aber es wird dann noch Zeit sein, Euch meine Wünsche zu sagen. Geht zur Ruhe, und merkt Euch, daß ich Euch davon entbinde, abends auf mich zu warten; ich brauche nur meine Kammerdiener.

Nach dieser Erklärung, die mir im Grunde Freude machte, weil sie mich von einer Beschwerlichkeit befreite, die ich zuweilen unangenehm empfunden hätte, verließ ich den Marquis, zog mich in meine Bodenkammer zurück und ging zu Bett. Aber da ich nicht einschlafen konnte, so befolgte ich den Rat des Pythagoras, am Abend all dessen zu gedenken, was man tagsüber getan hat, um sich wegen seiner guten Handlungen zu loben oder wegen der schlechten zu tadeln.

Mein Gewissen war nicht so rein, daß ich mit mir hätte zufrieden sein können; ich machte es mir zum Vorwurf, daß ich Lauras Betrug unterstützt hatte. Wenn ich mir auch zu[292] meiner Entschuldigung sagte, daß ich anständigerweise ein Mädchen, das mir nur gefällig sein wollte, nicht hätte Lügen strafen können und daß ich gewissermaßen gezwungen gewesen sei, bei dem Betrug mitzuwirken, so antwortete ich mir doch, wenig mit dieser Entschuldigung zufrieden, daß ich die Dinge nicht weiter treiben dürfte und daß es schamlos sei, bei einem Edelmann zu bleiben, dessen Vertrauen ich so übel lohnte. Schließlich wurde ich nach strenger Prüfung mit mir selber darüber einig, daß, wenn ich kein Halunke sei, doch wenig daran fehle.

Als ich dann die Folgen bedachte, machte ich mir klar, daß ich ein hohes Spiel wagte, wenn ich einen Mann von Stande betröge, der vielleicht den Streich bald entdecken würde. Eine so verständige Überlegung jagte mir einigen Schrecken ein; aber Gedanken an Vergnügen und Nutzen hatten ihn bald zerstreut. Ich gab mich also höchst angenehmen Bildern hin. Ich zählte schon im Geist die Summe, die mein Lohn nach zehn Dienstjahren ausmachen würde. Ich rechnete die Geschenke meines Herrn hinzu; und da ich sie nach seiner freigebigen Laune bemaß, oder vielmehr nach meinen Wünschen, arbeitete ich mit so unersättlicher Phantasie, daß mein Vermögen keine Grenzen mehr hatte. So viel Geld machte mich allmählich schläfrig, und ich entschlummerte, indem ich Luftschlösser baute.

Ich stand am folgenden Morgen gegen acht Uhr auf, um die Befehle meines Herrn entgegenzunehmen; aber als ich meine Tür aufmachte, sah ich ihn zu meinem Staunen in Schlafrock und Nachtmütze vor mir auftauchen. Er war allein. Gil Blas, sagte er, ich habe gestern abend beim Abschied Eurer Schwester versprochen, heute morgen bei ihr vorzusprechen; aber eine wichtige Angelegenheit erlaubt mir nicht, mein Wort zu halten. Geht und sagt ihr, wie sehr mich diese Verhinderung verdrieße, und versichert ihr, ich würde heute wiederum mit ihr zu Abend speisen. Doch nicht genug, fügte er hinzu,[293] indem er mir eine Börse und ein kleines mit Edelsteinen verziertes Lederetui in die Hand gab, bringt ihr mein Porträt und behaltet diese Börse, in der fünfzig Pistolen sind; ich schenke sie Euch als Zeichen meiner Freundschaft. Ich nahm das Portät in die eine, das Geld, das ich so wenig verdiente, in die andre Hand und eilte sofort zu Laura.

Laura hatte, entgegen der Sitte des Theaters, die Gewohnheit, früh aufzustehn. Ich traf sie bei der Toilette. Da sie ihren Portugiesen erwartete, so fügte sie ihrer natürlichen Schönheit alle künstlichen Reize hinzu, mit denen eine erfahrene Kokette sich zu schmücken versteht. Reizende Estella, sagte ich, Magnet der Fremden, von nun an kann ich mit meinem Herrn speisen, denn er hat mich mit einem Auftrag beehrt, der mir dies Vorrecht verleiht. Er wird nicht das Vergnügen haben, Euch heute morgen zu unterhalten, wie er es sich vorgenommen hatte; aber um Euch zu trösten, wird er heute abend mit Euch speisen; und er schickt Euch sein Porträt, das mir noch trostreicher erscheint.

Ich überreichte ihr das Etui, das ihrem Auge durch den lebhaften Glanz der Diamanten, mit denen es verziert war, unendlich wohltat. Sie öffnete es, und nachdem sie das Bild pflichtschuldigst angesehen hatte, schloß sie es wieder und sagte lächelnd: Solche Bilder sind den Frauen vom Theater lieber als die Originale.

Dann sagte ich ihr, der freigebige Portugiese habe mir, als er mir das Porträt anvertraute, eine Börse mit fünfzig Pistolen geschenkt. Mein Kompliment, erwiderte sie; dieser Edelmann beginnt mit dem, womit die andern selten auch nur schließen. Euch, meine Angebetete, versetzte ich, danke ich dies Geschenk; der Marquis hat es mir nur der Geschwisterschaft halber gemacht. Ich wollte, sagte sie, er machte dir täglich ähnliche. Ich kann dir nicht sagen, wie teuer du mir bist. Seit dem ersten Augenblick, wo ich dich gesehen habe, fühlte ich mich durch ein so starkes Band an dich gefesselt,[294] daß die Zeit es nicht hat zerreißen können. Als ich dich in Madrid verlor, zweifelte ich nicht daran, dich wiederzufinden; und gestern habe ich dich empfangen, als gehörtest du notwendig zu mir. Mit einem Wort, mein Freund, wir sind für einander bestimmt. Du sollst mein Mann werden; aber erst müssen wir Reichtum erwerben. Die Klugheit verlangt, daß wir damit beginnen. Ich will noch drei oder vier Geliebte haben, um dich zu versorgen.

Ich dankte ihr höflich für die Mühe, die sie sich um meinetwillen machen wollte, und unvermerkt spannen wir uns in eine Unterhaltung ein, die bis Mittag dauerte. Dann zog ich mich zurück, um meinem Herrn Bericht darüber zu erstatten, wie sein Geschenk aufgenommen worden war. Obgleich Laura mir keine Anweisung gegeben hatte, verfaßte ich doch unterwegs ein schönes Kompliment, das ich in ihrem Namen überbringen wollte. Aber es war verlorene Mühe, denn als ich im Logierhaus ankam, sagte man mir, der Marquis sei eben ausgegangen; und es war so bestimmt, daß ich ihn nicht wiedersehen sollte, wie man im nächsten Kapitel erfahren wird.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 292-295.
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