Achtes Kapitel

[329] Wie Gil Blas sich in kurzer Zeit ein beträchtliches Vermögen erwarb und wie großartig er sich gebärdete


Dieses Geschäft weckte in mir das Verlangen nach weiteren ähnlichen, und zehn Pistolen, die ich Scipio als Maklerlohn gab, ermunterten ihn zu neuem Suchen. Ich habe seine Talente[329] schon gerühmt; man hätte ihn mit Recht den großen Scipio nennen können. Als zweiten Kunden führte er mir einen Drucker von Ritterromanen zu, der sich auf Kosten des gesunden Menschenverstandes bereichert hatte. Dieser Drucker hatte das Werk seiner Kollegen nachgedruckt und seine Ausgabe war beschlagnahmt worden. Für dreihundert Dukaten verschaffte ich ihm die Freigabe seiner Bände und schützte ihn vor einer hohen Geldbuße. Obgleich das den ersten Minister nichts anging, war Seine Exzellenz auf meine Bitte doch so freundlich, seinen Einfluß zu verwenden. Nach dem Drucker ging mir ein Kaufmann durch die Hand. Ein portugiesisches Schiff war von einem Berberkorsaren gekapert und nachher von einem Freibeuter in Cadiz weggefangen worden. Zwei Drittel der Waren gehörten einem Händler in Lissabon, der sie vergeblich zurückverlangt hatte und nun an den Hof von Spanien kam, um einen Gönner zu suchen, der einflußreich genug war, die Rückgabe durchzusetzen. Er fand ihn zum Glück in mir. Ich verwendete mich für ihn, und gegen die Summe von vierhundert Pistolen, die er dem Protektor zum Geschenk machte, erhielt er seine Waren wieder.

Ich glaube, hier höre ich einen Leser rufen: Mut, Herr Santillana! macht Euren Schnitt! Ihr seid auf dem besten Wege. Schwingt Euch empor! Nun, das werde ich schon tun. Wenn ich mich nicht täusche, kommt da mein Diener mit einem neuen Jemand, den er gekapert hat. Hören wir ihn an. Gnädiger Herr, sagt er, erlaubt, daß ich Euch diesen berühmten Quacksalber vorstelle. Er bittet um das Privileg, zehn Jahre lang unter Ausschluß aller andern in allen Städten der spanischen Monarchie seine Arzneien zu verkaufen; das heißt, es soll allen Leuten seines Berufs verboten sein, sich niederzulassen, wo er sich befindet. Als Dank wird er dem, der ihm das Privileg ausgefertigt zustellt, zweihundert Pistolen zahlen. Ich sage zu dem Marktschreier, indem ich den Gönner[330] spiele: Geht, mein Freund, ich werde für Euch sorgen. Und wirklich schickte ich ihn ein paar Tage darauf mit Patenten davon, die ausschließlich ihm erlaubten, in allen Königreichen Spaniens das Volk zu betrügen.

Ich erlebte die Wahrheit des Sprichworts, daß der Appetit beim Essen kommt; aber abgesehn davon, daß ich um so habgieriger wurde, je reicher ich mich werden sah, hatte ich die vier Vergünstigungen, von denen ich eben sprach, bei Seiner Exzellenz so leicht erlangt, daß ich nicht zögerte, sie um eine fünfte zu bitten. Es handelte sich um die Statthalterschaft der Stadt Vera, an der Küste von Granada, für die mir ein Ritter von Calatrava tausend Pistolen bot. Der Minister brach in Lachen aus, als er mich so erpicht sah. Holla! Freund Gil Blas, sagte er, Ihr geht scharf vor! Ihr verpflichtet Euren Nächsten gar zu gern! Hört mich an: wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt, so drücke ich ein Auge zu; aber wenn Ihr Statthalterschaften und andre ebenso erhebliche Dinge wollt, so werdet Ihr Euch gefälligst mit der Hälfte des Gewinns begnügen; die andre werdet Ihr mir überlassen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, fuhr er fort, welchen Aufwand ich machen und mit wieviel Mitteln ich die Würde meiner Stellung wahren muß; denn wenn ich mich auch in den Augen der Welt mit der Zierde der Selbstlosigkeit behänge, so will ich Euch doch gestehn, daß ich nicht so unvorsichtig bin, meine privaten Verhältnisse zu erschüttern. Danach richtet Euch ein.

Da mir mein Herr durch diese Worte die Sorge nahm, ich könnte ihm lästig fallen, mich vielmehr ermunterte, den Angriff oft zu erneuern, so machte er mich nach Reichtum nur noch hungriger, als ich schon war. Ich hätte gern öffentlich anschlagen lassen, daß alle, die eine Gunst vom Hof zu erlangen wünschten, sich nur an mich zu wenden brauchten. Ich suchte hier und Scipio dort. Mein Ritter von Calatrava erhielt die Statthalterschaft von Vera für seine tausend Pistolen;[331] und bald darauf ließ ich für den gleichen Preis einem Ritter von Santiago eine zweite verleihen. Ich ernannte nicht nur Statthalter; ich verlieh Ordensgüter und verwandelte durch ausgezeichnete Adelsbriefe gute Bürger in schlechte Edelleute; ich wollte auch die Geistlichkeit meiner Wohltaten teilhaftig werden lassen und verlieh Pfründen, Stiftsstellen und geistliche Würden. Freilich Bistümer und Erzbistümer waren Don Rodrigo de Calderones Gebiet. Er verfügte auch noch über die Richterwürden, Kommandantenstellen und Vizekönigtümer; woraus sich schließen läßt, daß die großen Stellungen nicht besser besetzt waren als die kleinen; denn die Leute, die wir für die Posten ausersahen, mit denen wir einen so ehrenwerten Handel trieben, waren nicht immer die geschicktesten noch auch die ordentlichsten. Wir wußten wohl, daß die Spötter in Madrid sich über uns lustig machten; aber wir glichen den Geizigen, die der Anblick ihres Goldes über den Hohn des Volkes hinwegtäuscht.

Isokrates hat recht, wenn er Maßlosigkeit und Narrheit die unzertrennlichen Gefährten der Reichen nennt. Als ich mich im Besitz von dreißigtausend Dukaten sah und imstande war, vielleicht das Zehnfache noch zu verdienen, glaubte ich, eine des Vertrauten eines ersten Ministers würdige Figur spielen zu müssen. Ich mietete mir ein ganzes Haus und ließ es anständig möblieren. Ich kaufte mir einen Wagen. Ich nahm einen Kutscher und drei Lakaien; und da es nur gerecht ist, daß man alte Diener befördert, so erhob ich Scipio zur dreifachen Ehre der Ämter meines Kammerdieners, Sekretärs und Verwalters. Aber den Höhepunkt erreichte mein Hochmut, als der Minister es für gut befand, daß meine Leute seine Livree erhielten. Ich verlor den Rest meiner Besinnung. Es fehlte wenig, so hätte ich mich für einen Verwandten des Herzogs von Lerma gehalten. Ich setzte mir in den Kopf, ich könnte als solcher gelten oder vielleicht als ein Bastard von ihm, was mir unendlich schmeichelte.[332]

Dazu kam, daß ich nach dem Beispiel meines Herrn, der offene Tafel hielt, Gastmähler zu geben beschloß. Zu diesem Zweck beauftragte ich Scipio, mir einen geschickten Koch aufzuspüren. Ich füllte meinen Keller mit köstlichem Wein, und als ich mich mit allem Vorrat versehen hatte, begann ich, Gesellschaften zu geben. Jeden Tag kamen einige der ersten Ministerialsekretäre zum Abendessen zu mir, die sich stolz den Titel von Staatssekretären beilegten. Ich gab ihnen gut zu essen und schickte sie stets gut befeuchtet nach Hause. Scipio seinerseits – denn wie der Herr, so der Knecht – hielt unten gleichfalls Tafel und bewirtete dort auf meine Kosten seine Bekannten. Ich liebte den Burschen, und da er mir obendrein Geld verdienen half, so schien mir, er hätte das Recht, mir auch beim Ausgeben mitzuhelfen. Im übrigen sah ich diese Zerstreuungen mit dem Auge eines jungen Toren an; ich erkannte nicht, wie sie mir schadeten. Und noch ein Grund hinderte mich, auf der Hut zu sein: Pfründen und Ämter hörten nicht auf, das Wasser auf meine Mühle zu leiten. Ich sah meine Kasse von Tag zu Tag schwellen und bildete mir ein, diesmal endlich einen Nagel ins Glücksrad geschlagen zu haben.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 329-333.
Lizenz: