Achtes Kapitel

[449] Wie und mit wem der Graf-Herzog seine einzige Tochter verheiratete, und welche bittere Frucht diese Ehe trug


Bald nach Scipios Rückkehr blieb der Graf-Herzog etwa acht Tage lang in Gedanken versunken. Ich bildete mir ein, er sinne über einen großen Staatsstreich; aber das, worüber er nachdachte, ging nur seine Familie an. Gil Blas, sagte er eines Nachmittags zu mir, du wirst bemerkt haben, daß mein Gemüt belastet ist. Ja, mein Freund, mich beschäftigt eine Angelegenheit, von der die Ruhe meines Lebens abhängt. Ich will sie dir anvertrauen.

Doña Maria, meine Tochter, fuhr er fort, ist mannbar, und eine große Zahl von Edelleuten bewirbt sich im Wettstreit um sie. Aber ohne auf die Gründe einzugehn, aus denen ich sie alle ablehne, will ich dir sagen, daß ich das Auge auf Don Ramiro Nunez de Guzman, Marquis von Tored, geworfen habe, das Haupt der Guzmans d'Abrados. Diesem jungen Edelmann und den Kindern, die er von meiner Tochter haben wird, gedenke ich all meinen Besitz zu hinterlassen und ihn mit dem Titel des Grafen von Olivares zu verbinden, dem ich die Grandenwürde verschaffen will; so daß meine[449] Enkel und ihre Nachkommen aus dem Zweige von Abrados und dem von Olivares als die älteste Linie des Hauses Guzman gelten sollen.

Nun, Santillana, fuhr er fort, billigst du meinen Plan nicht? Verzeiht mir, Euer Gnaden, erwiderte ich, dieser Plan ist des Geistes, der ihn gefaßt hat, würdig; aber es sei mir erlaubt, Eurer Exzellenz über diese Anordnung eine Bemerkung zu unterbreiten. Ich fürchte, der Herzog von Medina Sidonia wird darüber murren. Mag er darüber murren, soviel er will, erwiderte der Minister, danach frage ich nicht. Ich liebe seine Linie nicht, denn sie hat sich der von Abrados gegenüber das Majoratsrecht und die mit ihm verbundenen Titel angemaßt. Ich werde für seine Klagen weniger empfänglich sein als für den Schmerz der Marquise von Carpio, meiner Schwester, die meine Tochter für ihren Sohn erhofft. Aber schließlich will ich meine Wünsche befriedigen, und Don Ramiro soll über seine Rivalen siegen; das ist beschlossene Sache.

Der Graf-Herzog führte seinen Entschluß nicht aus, ohne einen neuen Beweis seiner sonderbaren Politik zu geben. Er reichte dem König eine Bittschrift ein, er und die Königin möchten gütigst selber seiner Tochter den Gatten bestimmen; zugleich legte er die Eigenschaften der Bewerber dar, indem er die Wahl vollständig Ihren Majestäten überließ: aber als er vom Marquis von Tored sprach, ließ er doch durchblicken, daß ihm der der angenehmste wäre. Und da der König seinem Minister blind gefällig war, so schrieb er ihm diese Antwort:

›Ich glaube, Don Ramiro Nunez ist Doña Marias würdig; aber wählet selbst. Die Verbindung, die Euch am meisten zusagt, wird auch mir gefallen.

Der König.‹

Der Minister zeigte diese Antwort überall; er tat, als sähe er sie als einen Befehl an, und verheiratete seine Tochter in aller Eile mit dem Marquis von Tored. Diese überstürzte Heirat verletzte die Marquise von Carpio sehr, und ebenso alle[450] Guzmans, die sich Hoffnung auf Doña Maria gemacht hatten. Aber da niemand die Verbindung hindern konnte, so feierte man sie ostentativ unter ganz besonderen Freudenbezeigungen. Man hätte meinen können, die ganze Familie sei entzückt; aber die Unzufriedenen wurden bald auf eine für den Grafen-Herzog sehr grausame Weise gerächt. Zehn Monate später wurde Doña Maria von einem Mädchen entbunden. Das Kind starb gleich bei der Geburt, und ein paar Tage darauf auch die Mutter.

Welch ein Verlust für einen Vater, der sozusagen nur für seine Tochter Augen hatte und nun all seine Pläne scheitern sah! Er war so erschüttert, daß er sich mehrere Tage lang einschloß und niemanden sehen wollte als mich, der ich mich seinem Schmerz anpaßte und ebenso davon betroffen schien wie er. Um die Wahrheit zu sagen, so benutzte ich diese Gelegenheit, um der Erinnerung an Antonia neue Tränen zu widmen. Die Ähnlichkeit ihres Todes mit dem der Marquise von Tored öffnete eine schlecht vernarbte Wunde, und ich wurde so betrübt, daß dem Minister trotz seines eignen Schmerzes der meine auffiel.

Gil Blas, sagte er eines Tages zu mir, als ich in tödliche Trauer versunken schien, es ist ein süßer Trost für mich, einen Vertrauten zu haben, der so empfänglich ist für meine Schmerzen. Ach! gnädiger Herr, erwiderte ich, indem ich ihm alle Ehre meines Kummers gab, ich müßte recht undankbar und harten Herzens sein, wenn ich sie nicht lebhaft empfände. Kann ich daran denken, daß Ihr eine Tochter von vollendetem Wesen betrauert, die Ihr so zärtlich liebtet, ohne meine Tränen unter Eure zu mischen? Nein, Euer Gnaden, ich bin von Eurer Güte zu sehr erfüllt, als daß ich nicht mein Leben lang Eure Freuden und Euren Kummer teilen möchte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 449-451.
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