Drittes Kapitel

[434] Was Gil Blas an der Ausführung seines Entschlusses hinderte, und welchen wichtigen Dienst Joseph Navarro ihm leistete


Als ich in mein Logierhaus zurückkehrte, begegnete ich Joseph Navarro, dem Küchenchef Don Baltasar de Zunigas, meinem einstigen Freund. Ich grüßte Navarro und sprach ihn höflich an: Erkennt Ihr mich wieder? fragte ich; und wollt Ihr so gut sein, mit einem Elenden zu reden, der Eure Freundschaft nur durch Undank lohnte? Ihr gebt also zu, erwiderte er, daß Ihr nicht recht an mir gehandelt habt? Ja, versetzte ich, und Ihr könnt mich mit Vorwürfen überhäufen; ich verdiene es, wenn ich meine Schuld nicht durch die Reue, die ihr folgte, gesühnt habe. Da Ihr Euren Fehler bereut habt, erwiderte Navarro, indem er mich umarmte, so darf ich mich dessen nicht mehr entsinnen. Ich drückte Joseph an die Brust, und wir erneuerten unsre alte Freundschaft.[434]

Er hatte von meiner Gefangenschaft und dem Zusammenbruch meines Glücks gehört; alles andre wußte er nicht. Ich klärte ihn auf; ich erzählte ihm sogar von meinem Gespräch mit dem König, und ich verbarg ihm nicht, wie schlecht der Minister mich aufgenommen hatte, noch auch, daß ich mich wieder in meine Einsamkeit zurückziehn wollte. Hütet Euch, fortzugehn, sagte er; da der König Euch Freundschaft bezeigt hat, muß Euch das zu irgend etwas nützen. Unter uns, der Graf von Olivares ist ein wenig grillenhaft und sonderbar; er ist ein Herr voller Launen; bisweilen, wie bei dieser Gelegenheit, handelt er empörend; und er allein hat den Schlüssel zu seinen zusammenhanglosen Handlungen. Im übrigen, aus welchem Grunde er Euch auch schlecht empfangen haben mag, haltet aus; er wird nicht hindern, daß Ihr von der Güte des Königs Vorteil habt, dessen kann ich Euch versichern. Ich werde heute abend meinem Herrn, Don Baltasar de Zuniga, ein Wort darüber sagen; er ist ein Onkel des Grafen von Olivares, der die Regierungsgeschäfte mit ihm teilt. Damit fragte Navarro, wo ich wohnte, und wir trennten uns.

Ich sah ihn bald wieder; er suchte mich schon am folgenden Tage auf. Herr von Santillana, sagte er, Ihr habt einen Gönner: mein Herr will Euch helfen; da ich ihm von Euer Gnaden so viel Gutes sagte, hat er mir versprochen, mit dem Grafen von Olivares, seinem Neffen, über Euch zu reden; ich zweifle nicht, daß er ihn für Euch einnimmt, und ich wage sogar zu behaupten, daß Ihr darauf rechnen könnt. Da mein Freund Navarro mir keinen halben Dienst leisten wollte, so stellte er mich zwei Tage darauf Don Baltasar vor, der liebenswürdig zu mir sagte: Herr von Santillana, Euer Freund Joseph hat Euch mir in Worten gelobt, die mich für Euch gewinnen. Ich machte dem Herrn von Zuniga eine tiefe Verbeugung und antwortete ihm, ich würde mein Leben lang Navarro verpflichtet bleiben, da er mir die Gunst eines Ministers[435] verschafft habe, den man mit Recht die Leuchte des Rates nenne. Don Baltasar schlug mich bei dieser schmeichelhaften Antwort lachend auf die Schulter und erwiderte: Ihr könnt schon morgen zum Grafen von Olivares zurückkehren; Ihr sollt mit ihm zufrieden sein.

Ich erschien also zum dritten Mal vor dem ersten Minister, der mir, als er mich in der Menge erkannte, einen lächelnden Blick zuwarf, aus dem ich neue Hoffnung schöpfte. Es geht gut, sagte ich bei mir selber; der Onkel hat den Neffen zur Vernunft gebracht. Ich erwartete einen günstigen Empfang, und meine Erwartung wurde erfüllt. Nachdem der Graf allen Audienz gegeben hatte, ließ er mich in sein Kabinett eintreten und sagte vertraulich: Freund Santillana, verzeih mir, daß ich dir, um mich zu belustigen, Verlegenheit bereitet habe; ich wollte dich aus Scherz besorgt machen, um deine Klugheit zu erproben und zu sehn, was du in deiner schlechten Laune beginnen würdest. Ich zweifle nicht, daß du dir eingebildet hast, du mißfielest mir; aber im Gegenteil, mein Lieber, ich will dir gestehn, daß du mir nicht besser gefallen könntest. Ja, Santillana, hätte mir der König, mein Herr, auch nicht befohlen, für dein Glück zu sorgen, ich täte es schon aus eigner Neigung. Übrigens hat mich mein Onkel, Don Baltasar de Zuniga, dem ich nichts abschlagen kann, gebeten, dich als einen Menschen anzusehn, für den er sich interessiere; mehr ist nicht nötig, damit ich dich an mich ziehe.

Dieser Anfang machte auf meine Sinne einen so starken Eindruck, daß sie sich verwirrten. Ich warf mich dem Minister zu Füßen, der mir befahl, mich zu erheben, und fortfuhr: Kehre heute nachmittag hierher zurück und frage nach meinem Verwalter; er wird dir sagen, welche Befehle ich für dich habe. Damit verließ Seine Exzellenz sein Kabinett, um in die Messe zu gehn, was sie täglich nach den Audienzen tat.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 434-436.
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