Fünftes Kapitel

[439] Von Gil Blas' heimlicher Unterredung mit Navarro und der ersten Beschäftigung, die ihm der Graf von Olivares gab


Sowie ich Joseph sah, sagte ich ihm erregt, ich hätte ihm viel zu erzählen. Er führte mich in ein Zimmer, und als ich ihn aufgeklärt hatte, fragte ich ihn, was er davon hielte. Ich glaube, erwiderte er, Ihr steht im Begriff, Euer Glück zu machen. Alles steht günstig für Euch: Ihr gefallt dem ersten Minister; und, was nicht zu vergessen ist, ich kann Euch denselben Dienst leisten, den Euch beim Erzbischof von Granada mein Onkel Melchior de la Ronda leistete. Er ersparte Euch die Mühe, den Prälaten und seine Leute zu studieren, indem er Euch ihre verschiedenen Charaktere entdeckte; ich will Euch nach seinem Beispiel mit dem Grafen, der Gräfin[439] und Doña Maria de Guzman, ihrer einzigen Tochter, bekanntmachen.

Beginnen wir mit dem Minister: Er ist geistig sehr regsam, hat einen durchdringenden Verstand und ist fähig, große Pläne zu entwerfen. Er tut so, als ob er eine alles umfassende Bildung hätte, weil er einen leichten Firnis von allen Wissenschaften hat; er glaubt zu jeder Entscheidung befähigt zu sein. Er hält sich für einen bedeutenden Rechtsgelehrten, einen großen Feldherrn und den raffiniertesten Politiker. Dabei ist er so auf seine Ansichten versessen, daß er stets lieber nach ihnen als nach denen anderer handelt, aus Furcht, es könne aussehn, als folgte er fremder Erleuchtung. Ferner glänzt er im Rat durch eine natürliche Beredsamkeit; und er schriebe so gut, wie er spricht, wenn er seinen Stil nicht, um ihm mehr Würde zu geben, dunkel und gesucht zu machen strebte. Er hat sonderbare Ansichten; und wie ich Euch schon sagte, ist er launisch und voller Grillen. Das ist das Bild seines Geistes; jetzt das seines Herzens. Er ist großmütig und ein treuer Freund. Man nennt ihn rachsüchtig; aber welcher Spanier ist das nicht? Ferner beschuldigt man ihn des Undanks, weil er den Herzog von Used und den Bruder Luis Alliaga hat verbannen lassen, denen er, wie man sagt, vieles verdankte; auch das muß man ihm verzeihn: wer erster Minister werden möchte, ist der Dankbarkeit entbunden.

Doña Agnes de Zuniga y Velasco, Gräfin von Olivares, fuhr Joseph fort, ist eine Dame, an der ich nur einen Fehler kenne, den, daß sie sich Vergünstigungen, die sie verschafft, mit Gold aufwiegen läßt. Doña Maria de Guzman, ohne Frage heute die erste Partie in Spanien, ist eine vollendete Dame und der Abgott ihres Vaters. Danach richtet Euch.

Ich rate Euch noch, fuhr er fort, Don Baltasar, meinen Herrn, von Zeit zu Zeit aufzusuchen; obgleich Ihr ihn nicht mehr braucht, macht ihm den Hof. Er will Euch wohl, bewahrt[440] Euch seine Achtung und Freundschaft; er kann Euch gelegentlich dienen. Wenn Onkel und Neffe, sagte ich zu Navarro, den Staat gemeinsam regieren, entsteht da nicht zuweilen ein wenig Eifersucht? Nein, erwiderte er, ihr Bund ist vielmehr ein vollkommener. Ohne Don Baltasar wäre der Graf von Olivares vielleicht nicht erster Minister; und als er es geworden war, ließ er ihm die auswärtigen Angelegenheiten, während er sich die inneren vorbehielt; so leben diese beiden Edelleute voneinander unabhängig, und doch in einem Einverständnis, das mir unzerstörbar scheint.

Das war meine Unterhaltung mit Joseph, und ich nahm mir vor, Nutzen aus ihr zu ziehn; dann ging ich zu dem Herrn von Zuniga und dankte ihm für das, was er die Güte gehabt hatte, für mich zu tun. Er sagte mir höflich, es freue ihn, daß ich mit seinem Neffen zufrieden sei, und er werde noch öfter mit ihm für mich reden, denn er wünsche, daß ich statt eines Gönners deren zwei besäße.

Noch abends verließ ich mein Logierhaus, um zu dem ersten Minister zu ziehn, und aß mit Scipio in meiner Wohnung. Man hätte unsre Haltung sehen müssen! Wir wurden von den Dienern des Hauses bedient, die vielleicht heimlich über ihre gespielte Ehrfurcht lachten. Als sie abgedeckt und sich zurückgezogen hatten, sagte mir mein Sekretär, da er sich keinen Zwang mehr anzutun brauchte, tausend Narrheiten, die ihm seine lustige Laune und seine Hoffnungen eingaben. Ich aber, wenn mich die glänzende Lage, in der ich mich sah, auch entzückte, fühlte doch noch keinerlei Neigung, mich blenden zu lassen. Ich schlief daher auch ruhig ein, während der ehrgeizige Scipio wenig Schlummer fand. Er häufte die halbe Nacht hindurch Schätze für die Heirat seiner Tochter Seraphine zusammen.

Am andern Morgen war ich kaum angekleidet, als Seine Gnaden mich rufen ließ. Also, Santillana, sagte Seine Exzellenz, als ich eintrat, laß sehn, was du verstehst. Du sagst, der Herzog[441] von Lerma habe dich Denkschriften abfassen lassen; ich habe eine, die ich dir zum Probestück bestimme. Ich will dir den Inhalt sagen; höre mich aufmerksam an: es gilt, ein Werk zu schreiben, das das Publikum zugunsten meines Ministeriums einnimmt. Ich habe schon heimlich ein Gerücht in Umlauf gesetzt, daß die Geschäfte in großer Verwirrung vorgefunden worden seien; jetzt handelt es sich darum, den Augen von Hof und Stadt die traurige Lage zu enthüllen, in die man die Monarchie gebracht hat. Man muß ein Bild entwerfen, wie es das Volk packt, damit es sich nicht nach meinem Vorgänger zurücksehnt. Dann wirst du die Maßregeln rühmen, die ich ergriffen habe, um die Regierung des Königs zu einer glorreichen zu machen, seine Staaten blühend und seine Untertanen glücklich.

Damit reichte mir Seine Gnaden ein Papier, das die gerechten Klagepunkte gegen die frühere Verwaltung enthielt; ich entsinne mich, es waren zehn Artikel, deren geringster schon die guten Spanier in Schrecken zu versetzen vermochte. Er ließ mich in einem kleinen Kabinett neben dem seinen Platz nehmen, wo ich in Ruhe arbeiten konnte. Ich begann also, so gut ich konnte, meine Denkschrift zu schreiben. Zunächst legte ich die schlimme Verfassung des Königreichs dar: die zerrütteten Finanzen, die Verpfändung königlicher Einkünfte an Parteigänger, den Ruin der Flotte. Ich berichtete von den begangenen Fehlern und den argen Folgen, die sie haben konnten. Schließlich zeigte ich die Monarchie in Gefahr und tadelte das letzte Ministerium so lebhaft, daß der Verlust des Herzogs von Lerma nach meiner Denkschrift für Spanien ein großes Glück war. Die Wahrheit zu sagen, obgleich ich keinen Groll mehr gegen diesen Edelmann hegte, tat es mir doch nicht leid, daß ich ihm diesen guten Dienst leisten konnte. So ist der Mensch!

Schließlich, nach einer beängstigenden Schilderung der Leiden, die Spanien drohten, beruhigte ich die Geister, indem[442] ich den Völkern kunstvoll für die Zukunft die schönsten Hoffnungen eingab: ich versprach goldene Berge. Mit einem Wort, ich fand mich so gut in die Absicht des neuen Ministers, daß er erstaunt war, als er das Ganze gelesen hatte. Santillana, sagte er, ich hätte dir nicht zugetraut, daß du eine solche Denkschrift würdest schreiben können. Weißt du, daß dieses dein Werk eines Staatssekretärs wohl würdig wäre? Es wundert mich nicht mehr, daß der Herzog von Lerma deine Feder benutzte. Dein Stil ist gedrängt und sogar elegant, nur ein wenig zu natürlich. Zugleich machte er mich auf die Stellen aufmerksam, die nicht ganz nach seinem Geschmack waren, und er änderte sie. Seine Verbesserungen zeigten mir, was Navarro mir schon gesagt hatte, daß er gesuchte Worte und dunkle Wendungen liebte. Aber trotz seiner Vorliebe für eine allzu gewählte Ausdrucksweise ließ er zwei Drittel meiner Denkschrift bestehn, und um mir seine Zufriedenheit zu zeigen, schickte er mir nach dem Mittagessen durch Don Raimondo dreihundert Pistolen.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 439-443.
Lizenz:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon