Neuntes Kapitel

[451] Scipio erhält ein Amt und bricht nach Neu-Spanien auf


Mein Sekretär sah nicht ohne Neid auf mein Glück. Ich wollte, sagte er eines Tages, das Schicksal ließe es sich einfallen, auch mich über Nacht zu beglücken. Das kann schon geschehn, erwiderte ich, und früher, als du denkst. Du bist hier in einem Tempel; denn mir scheint, man kann das Haus eines ersten Ministers, in dem man oft eine Gunst verleiht, die plötzlich reich macht, den Tempel Fortunas nennen. Das ist wahr, gnädiger Herr, erwiderte er, aber man muß Geduld haben und warten können. Nochmals, Scipio, sagte ich, sei ruhig; vielleicht stehst du schon im Begriff, ein gutes Amt zu erhalten. Wirklich bot sich wenige Tage darauf eine Gelegenheit, ihn nützlich im Dienst des Grafen-Herzogs zu verwenden, und ich ließ sie mir nicht entgehn.

Ich unterhielt mich eines Morgens mit Don Raimondo Caporis, dem Verwalter des ersten Ministers, und unser Gespräch drehte sich um die Einkünfte Seiner Exzellenz. Seine Exzellenz, sagte er, hat den Nießbrauch der Ordensgüter aller Militärorden, die ihm im Jahr vierzigtausend Taler einbringen; und er ist nur verpflichtet, das Kreuz von Alcantara zu tragen. Ferner bringen ihm seine drei hohen Ämter als Großkämmerer, Oberstallmeister und Großkanzler von Indien zweihunderttausend Taler; und all das ist noch nichts im Vergleich zu den ungeheuren Summen, die er aus Indien bezieht. Wißt Ihr, wie? Wenn die Schiffe des Königs von Sevilla oder Lissabon auslaufen, läßt er Wein, Öl und Getreide laden, die er der Grafschaft von Olivares entnimmt; Fracht zahlt er nicht. Diese Waren verkauft er in Indien viermal so teuer, wie man sie in Spanien bezahlt; und das Geld verwendet er dazu, Gewürze, Farben und andres einzukaufen, was man in der Neuen Welt fast umsonst erhält, aber in Europa sehr teuer bezahlt. Durch diesen Handel hat er schon[452] mehrere Millionen verdient, ohne den König irgendwie zu schädigen.

Es wird Euch nicht wunderbar erscheinen, fuhr er fort, daß die Leute, die mit diesem Handel betraut werden, alle mit Reichtümern beladen heimkehren, denn Seine Exzellenz findet es ganz richtig, daß sie zugleich für ihre eignen Geschäfte sorgen.

Scipio, der unsrer Unterhaltung beiwohnte, konnte Don Raimondo nicht so reden hören, ohne ihn zu unterbrechen. Bei Gott, Herr Caporis, rief er, ich wäre froh, wenn ich zu diesen Leuten gehörte; ich möchte Mexiko schon längst gern einmal sehn. Eure Neugier soll bald befriedigt sein, sagte der Verwalter, wenn sich der Herr von Santillana Eurem Verlangen nicht widersetzt. So sorgfältig ich auch in der Wahl der Leute bin, die ich für diesen Handel nach Indien schicke – denn ich wähle sie aus –, so werde ich Euch doch blind auf die Liste setzen, wenn Euer Herr es will. Ihr werdet mir einen Gefallen tun, sagte ich zu Don Raimondo; tut mir den Freundschaftsdienst. Scipio ist ein Bursche, den ich liebe; er ist sehr intelligent, und er wird sich so führen, daß man ihm nicht den geringsten Vorwurf zu machen haben wird.

Das genügt, erwiderte Caporis, er braucht sich nur unverzüglich nach Sevilla zu begeben; die Schiffe sollen in einem Monat nach Indien auslaufen. Ich werde ihm einen Brief an jemanden mitgeben, der ihm alle nötigen Anweisungen erteilen kann, wie man reich wird, ohne den Interessen Seiner Exzellenz zu schaden, denn die müssen ihm heilig sein.

Scipio beeilte sich, von seinem Amt entzückt, nach Sevilla aufzubrechen. Ich gab ihm tausend Taler zum Einkauf von Öl und Wein in Andalusien, damit er in Indien auf eigne Rechnung Handel treiben könne. Freilich schied er trotz seiner Freude nicht ohne Tränen von mir, und auch ich sah ihn nicht kalten Blutes davonziehn.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 451-453.
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