Siebentes Kapitel

[446] Gil Blas wird seinem Herrn von Tag zu Tag teurer. Scipios Rückkehr nach Madrid und der Bericht über seine Reise


Der Graf von Olivares, den ich hinfort den Grafen-Herzog nennen werde, denn es gefiel dem König um diese Zeit, ihn durch solchen Titel zu ehren, hatte eine Schwäche, die ich nicht vergeblich entdeckte: er wollte beliebt werden. Sowie er merkte, daß sich jemand aus Neigung an ihn hing, wurde er ihm gewogen. Ich hütete mich, diese Beobachtung unbenutzt zu lassen. Ich begnügte mich nicht damit, seine Anordnungen gut auszuführen: ich erfüllte seine Befehle unter Zeichen des Eifers, die ihn entzückten. Ich studierte in allem seinen Geschmack, um mich ihm anzupassen, und kam seinen Wünschen so viel wie möglich entgegen.

Durch dies Verhalten, das fast immer zum Ziel führt, wurde ich unvermerkt zum Günstling meines Herrn, der seinerseits – denn ich hatte dieselbe Schwäche wie er – durch die[446] Beweise der Liebe, die er mir gab, mein Herz gewann. Ich schlich mich so gut in seine Gunst ein, daß ich sein Vertrauen schließlich mit dem Herrn Carnero, seinem ersten Sekretär, teilte.

Carnero hatte dasselbe Mittel angewandt wie ich, um Seiner Exzellenz zu gefallen; und es war ihm so gut gelungen, daß er alle Kabinettsgeheimnisse kannte. Wir waren also seine beiden Vertrauten, doch mit dem Unterschied, daß er mit Carnero nur von Staatsgeschäften sprach, während er sich mit mir nur über seine Privatinteressen unterhielt; das ergab gleichsam zwei getrennte Gebiete, so daß wir beide zufrieden waren. Wir lebten so ohne Eifersucht wie ohne Freundschaft nebeneinander hin. Ich konnte mit meiner Stellung zufrieden sein, da sie mir Gelegenheit gab, beständig um den Grafen-Herzog zu sein, so daß ich allmählich sein innerstes Wesen erkannte, das er mir, sosehr er auch von Natur zur Verstellung geneigt war, schließlich, als er nicht mehr an meiner aufrichtigen Ergebenheit zweifelte, auch nicht mehr verbarg.

Santillana, sagte er eines Tages, du hast den Herzog von Lerma im Genuß einer Macht gesehn, die weniger der eines Ministergünstlings glich als der eines absoluten Monarchen: aber ich bin noch glücklicher, als er es auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn war. Er hatte im Herzog von Used, seinem eignen Sohn, und in Philipps III. Beichtvater zwei furchtbare Feinde; wogegen ich niemanden in der Umgebung des Königs sehe, der Einfluß genug hätte, mir zu schaden, oder den ich auch nur im Verdacht bösen Willens gegen mich haben könnte.

Freilich, fuhr er fort, habe ich bei der Übernahme des Ministeriums dafür gesorgt, daß nur noch Leute um den Fürsten blieben, die Blut oder Freundschaft mit mir verbindet. Ich habe durch Vizekönigtümer oder Gesandtschaften all die Edelleute abgeschüttelt, die mir durch ihr persönliches Verdienst[447] einen Teil der Gunst des Souveräns hätten rauben können; denn ich will sie allein besitzen; so kann ich gegenwärtig sagen, daß kein Großer auf meinen Einfluß einen Schatten wirft. Du siehst, Gil Blas, fuhr er fort, ich enthülle dir mein Herz. Da ich glaube, daß du mir ganz ergeben bist, so habe ich dich zum Vertrauten erwählt. Du hast Verstand, ich halte dich für klug, vorsichtig und verschwiegen; mit einem Wort, du scheinst mir für allerlei Aufträge geeignet, die einen intelligenten Menschen verlangen.

Ich war nicht gefeit gegen die verlockenden Bilder, die diese Worte vor meine Seele zauberten. Habgier und Ehrgeiz begannen sich plötzlich wieder in mir zu regen, Empfindungen, die ich besiegt zu haben glaubte. Ich beteuerte dem Minister, ich würde mit all meinen Kräften auf seine Absichten eingehn und ich hielt mich bereit, allen Befehlen, die er mir geben würde, unbedenklich zu gehorchen.

Während ich so geneigt war, dem Glück neue Altäre zu errichten, kehrte Scipio von seiner Reise zurück. Ich habe Euch, sagte er, keinen langen Bericht zu erstatten. Ich habe die Herren von Leyva erfreut, indem ich ihnen sagte, wie der König Euch erkannt und aufgenommen habe, und wie sich der Graf von Olivares gegen Euch verhalte.

Mein Freund, unterbrach ich Scipio, du hättest ihnen noch mehr Vergnügen bereitet, wenn du ihnen hättest sagen können, wie ich jetzt bei Seinen Gnaden stehe. Es ist wunderbar, welche Fortschritte ich seit deinem Aufbruch im Herzen Seiner Exzellenz gemacht habe. Gott sei gelobt, mein teurer Herr! sagte Scipio: ich ahne, daß wir ein schönes Schicksal zu erfüllen haben werden.

Wechseln wir das Thema, sagte ich; reden wir von Oviedo. Du bist in Asturien gewesen: in welchem Zustand hast du meine Mutter getroffen? Ach! gnädiger Herr, versetzte er mit plötzlich trauriger Miene, da habe ich Euch nur betrübliche Nachricht zu bringen. O Himmel! rief ich aus, gewiß[448] ist meine Mutter tot! Vor sechs Monaten schon, sagte mein Sekretär, hat die gute Frau, ebenso wie der Herr Gil Perez, Euer Onkel, der Natur ihren Tribut gezahlt.

Der Tod meiner Mutter machte mir großen Kummer, obgleich ich als Kind von ihr nicht die Liebkosungen erhalten hatte, die man braucht, wenn man später dankbar sein soll. Auch dem guten Domherrn widmete ich die Tränen, die ich ihm schuldete, weil er für meine Erziehung gesorgt hatte. Mein Schmerz war freilich nicht von langer Dauer und bald verblaßte er zu einer zärtlichen Erinnerung, die ich meinen Eltern stets bewahrt habe.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 446-449.
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