Ein und funfzigstes Stück

[466] Den 23sten Oktober, 1767


Den neun und dreißigsten Abend (Mittewochs, den 8ten Julius,) wurden der verheiratete Philosoph und die neue Agnese, wiederholt.48

Chevrier sagt,49 daß Destouches sein Stück aus einem Lustspiele des Campistron geschöpft habe, und daß, wenn dieser nicht seinen Jaloux desabusé geschrieben hätte, wir wohl schwerlich einen verheirateten Philosophen haben würden. Die Komödie des Campistron ist unter uns wenig bekannt; ich wüßte nicht, daß sie auf irgend einem deutschen Theater wäre gespielt worden; auch ist keine Übersetzung davon vorhanden. Man dürfte also vielleicht um so viel lieber wissen wollen, was eigentlich an dem Vorgeben des Chevrier sei.

Die Fabel des Campistronschen Stücks ist kurz diese: Ein Bruder hat das ansehnliche Vermögen seiner Schwester in Händen, und um dieses nicht herausgeben zu dürfen, möchte er sie lieber gar nicht verheiraten. Aber die Frau dieses Bruders denkt besser, oder wenigstens anders, und um ihren Mann zu vermögen, seine Schwester zu versorgen, sucht sie ihn auf alle Weise eifersüchtig zu machen, indem sie verschiedne junge Mannspersonen sehr gütig aufnimmt, die alle Tage unter dem Vorwande, sich um ihre Schwägerin zu bewerben, zu ihr ins Haus kommen. Die List gelingt; der Mann wird eifersüchtig; und williget endlich, um seiner Frau den vermeinten Vorwand, ihre Anbeter um sich zu haben, zu benehmen, in die Verbindung seiner Schwester mit Clitandern, einem Anverwandten seiner Frau, dem zu gefallen sie die Rolle der Coquette gespielt hatte. Der Mann[466] sieht sich berückt, ist aber sehr zufrieden, weil er zugleich von dem Ungrunde seiner Eifersucht überzeugt wird.

Was hat diese Fabel mit der Fabel des verheirateten Philosophen ähnliches? Die Fabel nicht das geringste. Aber hier ist eine Stelle aus dem zweiten Akte des Campistronschen Stücks, zwischen Dorante, so heißt der Eifersüchtige, und Dubois, seinem Sekretär. Diese wird gleich zeigen, was Chevrier gemeinet hat.


DUBOIS. Und was fehlt Ihnen denn?

DORANTE. Ich bin verdrüßlich, ärgerlich; alle meine ehemalige Heiterkeit ist weg; alle meine Freude hat ein Ende. Der Himmel hat mir einen Tyrannen, einen Henker gegeben, der nicht aufhören wird, mich zu martern, zu peinigen –

DUBOIS. Und wer ist denn dieser Tyrann, dieser Henker?

DORANTE. Meine Frau.

DUBOIS. Ihre Frau, mein Herr?

DORANTE. Ja, meine Frau, meine Frau. – Sie bringt mich zur Verzweiflung.

DUBOIS. Hassen Sie sie denn?

DORANTE. Wollte Gott! So wäre ich ruhig. – Aber ich liebe sie, und liebe sie so sehr – Verwünschte Qual!

DUBOIS. Sie sind doch wohl nicht eifersüchtig?

DORANTE. Bis zur Raserei.

DUBOIS. Wie? Sie, mein Herr? Sie eifersüchtig? Sie, der Sie von je her über alles, was Eifersucht heißt, –

DORANTE. Gelacht, und gespottet. Desto schlimmer bin ich nun daran! Ich Geck, mich von den elenden Sitten der großen Welt so hinreißen zu lassen! In das Geschrei der Narren einzustimmen, die sich über die Ordnung und Zucht unserer ehrlichen Vorfahren so lustig machen! Und ich stimmte nicht bloß ein; es währte nicht lange, so gab ich den Ton. Um Witz, um Lebensart zu zeigen, was für albernes Zeug habe ich nicht gesprochen! Eheliche Treue, beständige Liebe, pfui, wie schmeckt das nach dem kleinstädtischen Bürger! Der Mann, der seiner Frau nicht allen Willen läßt, ist ein Bär! Der es ihr übel nimmt, wenn sie[467] auch andern gefällt und zu gefallen sucht, gehört ins Tollhaus. So sprach ich, und mich hätte man da sollen ins Tollhaus schicken. –

DUBOIS. Aber warum sprachen Sie so?

DORANTE. Hörst du nicht? Weil ich ein Geck war, und glaubte, es ließe noch so galant und weise. – Inzwischen wollte mich meine Familie verheiratet wissen. Sie schlugen mir ein junges, unschuldiges Mädchen vor; und ich nahm es. Mit der, dachte ich, soll es gute Wege haben; die soll in meiner Denkungsart nicht viel ändern; ich liebe sie itzt nicht besonders, und der Besitz wird mich noch gleichgültiger gegen sie machen. Aber wie sehr habe ich mich betrogen! Sie ward täglich schöner, täglich reizender. Ich sah es und entbrannte, und entbrannte je mehr und mehr; und itzt bin ich so verliebt, so verliebt in sie –

DUBOIS. Nun, das nenne ich gefangen werden!

DORANTE. Denn ich bin so eifersüchtig! – Daß ich mich schäme, es auch nur dir zu bekennen. – Alle meine Freunde sind mir zuwider – und verdächtig; die ich sonst nicht ofte genug um mich haben konnte, sehe ich itzt lieber gehen als kommen. Was haben sie auch in meinem Hause zu suchen? Was wollen die Müßiggänger? Wozu alle die Schmeicheleien, die sie meiner Frau machen? Der eine lobt ihren Verstand; der andere erhebt ihr gefälliges Wesen bis in den Himmel. Den entzücken ihre himmlischen Augen, und den ihre schönen Zähne. Alle finden sie höchst reizend, höchst anbetenswürdig; und immer schließt sich ihr verdammtes Geschwätze mit der verwünschten Betrachtung, was für ein glücklicher, was für ein beneidenswürdiger Mann ich bin.

DUBOIS. Ja, ja, es ist wahr, so geht es zu.

DORANTE. O, sie treiben ihre unverschämte Kühnheit wohl noch weiter! Kaum ist sie aus dem Bette, so sind sie um ihre Toilette. Da solltest du erst sehen und hören! Jeder will da seine Aufmerksamkeit und seinen Witz mit dem andern um die Wette zeigen. Ein abgeschmackter Einfall jagt den andern, eine boshafte Spötterei die andere, ein kützelndes Histörchen das andere. Und das alles mit Zeichen,[468] mit Mienen, mit Liebäugeleien, die meine Frau so leutselig annimmt, so verbindlich erwidert, daß – daß mich der Schlag oft rühren möchte! Kannst du glauben, Dubois? ich muß es wohl mit ansehen, daß sie ihr die Hand küssen.

DUBOIS. Das ist arg!

DORANTE. Gleichwohl darf ich nicht muchsen. Denn was würde die Welt dazu sagen? Wie lächerlich würde ich mich machen, wenn ich meinen Verdruß auslassen wollte? Die Kinder auf der Straße würden mit Fingern auf mich weisen. Alle Tage würde ein Epigramm, ein Gassenhauer auf mich zum Vorscheine kommen u.s.w.


Diese Situation muß es sein, in welcher Chevrier das Ähnliche mit dem verheirateten Philosophen gefunden hat. So wie der Eifersüchtige des Campistron sich schämet, seine Eifersucht auszulassen, weil er sich ehedem über diese Schwachheit allzulustig gemacht hat: so schämt sich auch der Philosoph des Destouches, seine Heirat bekannt zu machen, weil er ehedem über alle ernsthafte Liebe gespottet, und den ehelosen Stand für den einzigen erklärt hatte, der einem freien und weisen Manne anständig sei. Es kann auch nicht fehlen, daß diese ähnliche Scham sie nicht beide in mancherlei ähnliche Verlegenheiten bringen sollte. So ist, z. E., die, in welcher sich Dorante beim Campistron siehet, wenn er von seiner Frau verlangt, ihm die überlästigen Besucher von Halse zu schaffen, diese aber ihn bedeutet, daß das eine Sache sei, die er selbst bewerkstelligen müsse, fast die nämliche mit der bei dem Destouches, in welcher sich Arist befindet, wenn er es selbst dem Marquis sagen soll, daß er sich auf Meliten keine Rechnung machen könne. Auch leidet dort der Eifersüchtige, wenn seine Freunde in seiner Gegenwart über die Eifersüchtigen spotten, und er selbst sein Wort dazu geben muß, ungefähr auf gleiche Weise, als hier der Philosoph, wenn er sich muß sagen lassen, daß er ohne Zweifel viel zu klug und vorsichtig sei, als daß er sich zu so einer Torheit, wie das Heiraten, sollte haben verleiten lassen.[469]

Dem ohngeachtet aber sehe ich nicht, warum Destouches bei seinem Stücke notwendig das Stück des Campistron vor Augen gehabt haben müßte; und mir ist es ganz begreiflich, daß wir jenes haben könnten, wenn dieses auch nicht vorhanden wäre. Die verschiedensten Charaktere können in ähnliche Situationen geraten; und da in der Komödie die Charaktere das Hauptwerk, die Situationen aber nur die Mittel sind, jene sich äußern zu lassen, und ins Spiel zu setzen: so muß man nicht die Situationen, sondern die Charaktere in Betrachtung ziehen, wenn man bestimmen will, ob ein Stück Original oder Kopie genennt zu werden verdiene. Umgekehrt ist es in der Tragödie, wo die Charaktere weniger wesentlich sind, und Schrecken und Mitleid vornehmlich aus den Situationen entspringt. Ähnliche Situationen geben also ähnliche Tragödien, aber nicht ähnliche Komödien. Hingegen geben ähnliche Charaktere ähnliche Komödien, anstatt daß sie in den Tragödien fast gar nicht in Erwägung kommen.

Der Sohn unsers Dichters, welcher die prächtige Ausgabe der Werke seines Vaters besorgt hat, die vor einigen Jahren in vier Quartbänden aus der Königlichen Druckerei zu Paris erschien, meldet uns, in der Vorrede zu dieser Ausgabe, eine besondere dieses Stück betreffende Anekdote. Der Dichter nämlich habe sich in England verheiratet, und aus gewissen Ursachen seine Verbindung geheim halten müssen. Eine Person aus der Familie seiner Frau aber habe das Geheimnis früher ausgeplaudert, als ihm lieb gewesen; und dieses habe Gelegenheit zu dem verheirateten Philosophen gegeben. Wenn dieses wahr ist, – und warum sollten wir es seinem Sohne nicht glauben? – so dürfte die vermeinte Nachahmung des Campistron um so eher wegfallen.[470]

48

S. den 5ten und 7ten Abend, Seite 277 und 286.

49

L'Observateur des Spectacles T. II. p. 135.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff., S. 466-471.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 24. Hamburgische Dramaturgie. Band I
Hamburgische Dramaturgie
Minna von Barnhelm / Hamburgische Dramaturgie (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)
Die hamburgische Dramaturgie in Auswahl. Mit Einleitung und Anmerkungen von Adolf Lichtenheld (German Edition)
Lessing's Hamburgische Dramaturgie: Für Die Oberste Klasse Höherer Lehranstalten Und Den Weiteren Kreis Der Gebildeten (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon