Drei und sechzigstes Stück

[521] Den 8ten Dezember, 1767


Die Königin ist von dem Landgute zurückgekommen; und Essex gleichfalls. Sobald er in London angelangt, eilte er nach Hofe, um sich keinen Augenblick vermissen zu lassen. Er eröffnet mit seinem Cosme den zweiten Akt, der in dem Königlichen Schlosse spielt. Cosme hat, auf Befehl des Grafen, sich mit Pistolen versehen müssen; der Graf hat heimliche Feinde; er besorgt, wenn er des Nachts spät vom Schlosse gehe, überfallen zu werden. Er heißt den Cosme, die Pistolen nur indes in das Zimmer der Blanca zu tragen, und sie von Floren aufheben zu lassen. Zugleich bindet er[521] die Schärpe los, weil er zur Blanca gehen will. Blanca ist eifersüchtig; die Schärpe könnte ihr Gedanken machen; sie könnte sie haben wollen; und er würde sie ihr abschlagen müssen. Indem er sie dem Cosme zur Verwahrung übergibt, kömmt Blanca dazu. Cosme will sie geschwind verstecken; aber es kann so geschwind nicht geschehen, daß es Blanca nicht merken sollte. Blanca nimmt den Grafen mit sich zur Königin; und Essex ermahnt im Abgehen den Cosme, wegen der Schärpe reinen Mund zu halten, und sie niemanden zu zeigen.

Cosme hat, unter seinen andern guten Eigenschaften, auch diese, daß er ein Erzplauderer ist. Er kann kein Geheimnis eine Stunde bewahren; er fürchtet ein Geschwär im Leibe davon zu bekommen; und das Verbot des Grafen hat ihn zu rechter Zeit erinnert, daß er sich dieser Gefahr bereits sechs und dreißig Stunden ausgesetzt habe.84 Er gibt Floren die Pistolen, und hat den Mund schon auf, ihr auch die ganze Geschichte, von der maskierten Dame und der Schärpe, zu erzählen. Doch eben besinnt er sich, daß es wohl eine würdigere Person sein müsse, der er sein Geheimnis zuerst mitteile. Es würde nicht lassen, wenn sich Flora rühmen könnte, ihn dessen defloriert zu haben.85 (Ich muß von allerlei Art des spanischen Witzes eine kleine Probe einzuflechten suchen.)

Cosme darf auf diese würdigere Person nicht lange warten. Blanca wird von ihrer Neugierde viel zu sehr gequält, daß sie sich nicht, sobald als möglich, von dem Grafen losmachen sollen, um zu erfahren, was Cosme vorhin so hastig von ihr[522] zu verbergen gesucht. Sie kömmt also sogleich zurück, und nachdem sie ihn zuerst gefragt, warum er nicht schon nach Schottland abgegangen, wohin ihn der Graf schicken wollen, und er ihr geantwortet, daß er mit anbrechendem Tage abreisen werde: verlangt sie zu wissen, was er da versteckt halte? Sie dringt in ihn: doch Cosme läßt nicht lange in sich dringen. Er sagt ihr alles, was er von der Schärpe weiß; und Blanca nimmt sie ihm ab. Die Art, mit der er sich seines Geheimnisses entlediget, ist äußerst ekel. Sein Magen will es nicht länger bei sich behalten; es stößt ihm auf; es kneipt ihn; er steckt den Finger in den Hals; er gibt es von sich; und um einen bessern Geschmack wieder in den Mund zu bekommen, läuft er geschwind ab, eine Quitte oder Olive darauf zu kauen.86 Blanca kann aus seinem verwirrten Geschwätze zwar nicht recht klug werden: sie versteht aber doch so viel daraus, daß die Schärpe das Geschenk einer Dame ist, in die Essex verliebt werden könnte, wenn er es nicht schon sei. »Denn er ist doch nur ein Mann; sagt sie. Und wehe der, die ihre Ehre einem Manne anvertrauet hat! Der beste, ist noch so schlimm!«87 – Um seiner Untreue also zuvorzukommen, will sie ihn je eher je lieber heiraten.

Die Königin tritt herein, und ist äußerst niedergeschlagen. Blanca fragt, ob sie die übrigen Hofdamen rufen soll; aber[523] die Königin will lieber allein sein; nur Irene soll kommen, und vor dem Zimmer singen. Blanca geht auf der einen Seite nach Irenen ab, und von der andern kömmt der Graf.

Essex liebt die Blanca; aber er ist ehrgeizig genug, auch der Liebhaber der Königin sein zu wollen. Er wirft sich diesen Ehrgeiz selbst vor; er bestraft sich deswegen; sein Herz gehört der Blanca; eigennützige Absichten müssen es ihr nicht entziehen wollen; un echte Convenienz muß keinen echten Affekt besiegen.88 Er will sich also lieber wieder entfernen, als er die Königin gewahr wird: und die Königin, als sie ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen. Aber sie bleiben beide. Indem fängt Irene vor dem Zimmer an zu singen. Sie singt eine Redondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, dessen Sinn dieser ist: »Sollten meine verliebten Klagen zu deiner Kenntnis gelangen: o so laß das Mitleid, welches sie verdienen, den Unwillen überwältigen, den du darüber empfindest, daß ich es bin, der sie führet.« Der Königin gefällt das Lied; und Essex findet es bequem, ihr durch dasselbe, auf eine versteckte Weise, seine Liebe zu erklären. Er sagt, er habe es glossieret,89 und bittet um Erlaubnis, ihr seine Glosse vorsagen zu dürfen. In dieser Glosse beschreibt er sich als den zärtlichsten Liebhaber, dem es aber die Ehrfurcht verbiete, sich dem geliebten Gegenstande zu entdecken. Die Königin[524] lobt seine Poesie; aber sie mißbilliget seine Art zu lieben. »Eine Liebe, sagt sie unter andern, die man verschweigt, kann nicht groß sein; denn Liebe wächst nur durch Gegenliebe, und der Gegenliebe macht man sich durch das Schweigen mutwillig verlustig.«[525]

84

– Yo no me acordaba

De decirlo, y lo callaba,

Y como me lo entregò,

Ya por decirlo rebiento,

Que tengo tal propriedad,

Que en un hora, ô la mitad,

Se me hace postema un cuenro.

85

Alla va Flora; mas no,

Sera persona mas grave –

No es bien que Flora se alabe

Que el cuento me desflorò.

86

Ya se me viene a la boca

La purga. – – –

O que regueldos tan secos

Me vienen! terrible aprieto. –

Mi estomago no lo Ileva;

Protesto que es gran trabajo,

Meto los dedos – –

Y pues la purga he trocado,

Y el secreto he vomitado

Desde el principio hasta el fin,

Y sin dexar cosa alguna,

Tal asco me diò al decillo,

Voi à probar de un membrillo,

O a morder de una azeituna. – –

87

Es hombre al fin, y ay de aquella

Que a un hombre fiò su honor,

Siendo tan malo el mejor.

88

Abate, abate las alas,

No subas tanto, busquemos

Mas proporcionada esfera

A tan limitado vuelo.

Blanca me quiere, y a Blanca

Adoro yo ya en mi dueño;

Pues como de amor tan noble

Por una ambicion me alexo?

No conveniencia bastarda

Venza un legitimo afecto.

89

Die Spanier haben eine Art von Gedichten welche sie Glossas nennen. Sie nehmen eine oder mehrere Zeilen gleichsam zum Texte, und erklären oder umschreiben diesen Text so, daß sie die Zeilen selbst in diese Erklärung oder Umschreibung wiederum einflechten. Den Text heißen sie Mote oder Letra, und die Auslegung insbesondere Glossa, welches denn aber auch der Name des Gedichts überhaupt ist. Hier läßt der Dichter den Essex das Lied der Irene zum Mote machen, das aus vier Zeilen besteht, deren jede er in einer besondern Stanze umschreibt, die sich mit der umschriebenen Zeile schließt. Das Ganze sieht so aus:

MOTE

Si acaso mis desvarios

Llegaren a tus umbrales,

La lastima de ser males

Quite el horror de ser mios.

GLOSSA

Aunque el dolor me provoca

De mis quexas, y no puedo,

Que es mi osadia tan poca,

Que entre el respeto, y el miedo

Se me mueren en la boca;

Y assi non Ilegan tan mios

Mis males a tus orejas.

Porque no han de ser oidos

Si acaso digo mis quexas,

Si acaso mis desvarios.

El ser tan mal explicados

Sea su mayor indicio,

Que trocando en mis cuidados

El silencio, y vos su oficio,

Quedaran mas ponderados:

Desde oy por estas señales

Sean de ti conocidos,

Que sin duda son mis males

Si algunos mal repetidos

Llegaren a tus umbrales.

Mas ay Dios! que mis cuidados

De tu crueldad conocidos,

Aunque mas acreditados,

Seran menos adquiridos,

Que con los otros mezclados:

Porque no sabiendo a quales

Mas tu ingratitud se deba

Viendolos todos iguales

Fuerza es que en commun te mueva

La lastima de ser males.

En mi este afecto violento

Tu hermoso desden le causa;

Tuyo, y mio es mi tormento;

Tuyo, porque eres la causa;

Y mio, porque yo le siento:

Sepan, Laura, tus desvios

Que mis males son tan tuyos,

Y en mis cuerdos desvarios

Esto que tienen de tuyos

Quite el horror de ser mios.

Es müssen aber eben nicht alle Glossen so symmetrisch sein, als diese. Man hat alle Freiheit, die Stanzen, die man mit den Zeilen des Mote schließt, so ungleich zu machen, als man will. Man braucht auch nicht alle Zeilen einzuflechten; man kann sich auf eine einzige einschränken und diese mehr als einmal wiederholen. Übrigens gehören diese Glossen unter die ältern Gattungen der spanischen Poesie, die nach dem Boscan und Garcilasso ziemlich aus der Mode gekommen.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff., S. 521-526.
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