Ein und sechzigstes Stück

[512] Den 1sten Dezember, 1767


Hierauf beginnt sie eine lange Erzählung von dem Schicksale der Maria von Schottland. Wir erfahren, (denn Essex selbst muß alles das, ohne Zweifel, längst wissen,) daß ihr Vater und Bruder dieser unglücklichen Königin sehr zugetan gewesen; daß sie sich geweigert, an der Unterdrückung der Unschuld Teil zu nehmen; daß Elisabeth sie daher gefangen setzen, und in dem Gefängnisse heimlich hinrichten lassen. Kein Wunder, daß Blanca die Elisabeth haßt; daß sie fest entschlossen ist, sich an ihr zu rächen. Zwar hat Elisabeth nachher sie unter ihre Hofdamen aufgenommen, und sie ihres ganzen Vertrauens gewürdiget. Aber Blanca ist unversöhnlich. Umsonst wählte die Königin, nur kürzlich, vor allen andern das Landgut der Blanca, um die Jahreszeit einige Tage daselbst ruhig zu genießen. – Diesen Vorzug selbst wollte Blanca ihr zum Verderben gereichen lassen. Sie hatte an ihren Oheim geschrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie seinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er sich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekommen; und kurz, dieser Oheim war es gewesen, welcher die Königin in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Essex, und wir mit ihm, wer die Person ist, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Essex ist, welcher ihren Anschlag vereiteln müssen. Sie rechnet vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren sie Essex versichert, und wagt es, ihn nicht bloß zum Mitschuldigen machen zu wollen, sondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er soll sogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen ist, schreiben, und gemeinschaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyrannin müsse sterben; ihr Name sei allgemein verhaßt; ihr Tod sei eine Wohltat für das Vaterland, und niemand verdiene es mehr als Essex, dem Vaterlande diese Wohltat zu verschaffen.

Essex ist über diesen Antrag äußerst betroffen. Blanca, seine teure Blanca, kann ihm eine solche Verräterei zumuten?[512] Wie sehr schämt er sich, in diesem Augenblicke, seiner Liebe! Aber was soll er tun? Soll er ihr, wie es billig wäre, seinen Unwillen zu erkennen geben? Wird sie darum weniger bei ihren schändlichen Gesinnungen bleiben? Soll er der Königin die Sache hinterbringen? Das ist unmöglich: Blanca, seine ihm noch immer teure Blanca, läuft Gefahr. Soll er sie, durch Bitten und Vorstellungen, von ihrem Entschlusse abzubringen suchen? Er müßte nicht wissen, was für ein rachsüchtiges Geschöpf eine beleidigte Frau ist; wie wenig es sich durch Flehen erweichen, und durch Gefahr abschrecken läßt. Wie leicht könnte sie seine Abratung, sein Zorn, zur Verzweiflung bringen, daß sie sich einem andern entdeckte, der so gewissenhaft nicht wäre, und ihr zu Liebe alles unternähme?72 – Dieses in der Geschwindigkeit überlegt, faßt er[513] den Vorsatz, sich zu verstellen, um den Roberto, so heißt der Oheim der Blanca, mit allen seinen Anhängern, in die Falle zu locken.

Blanca wird ungeduldig, daß ihr Essex nicht sogleich antwortet. »Graf, sagt sie, wenn Du erst lange mit Dir zu Rate gehst, so liebst Du mich nicht. Auch nur zweifeln, ist Verbrechen. Undankbarer! –73 Sei ruhig, Blanca! erwidert Essex: ich bin entschlossen. – Und wozu? – Gleich will ich Dir es schriftlich geben.«

Essex setzt sich nieder, an ihren Oheim zu schreiben, und indem tritt der Herzog aus der Galerie näher. Er ist neugierig zu sehen, wer sich mit der Blanca so lange unterhält; und erstaunt, den Grafen von Essex zu erblicken. Aber noch mehr erstaunt er über das, was er gleich darauf zu hören bekömmt. Essex hat an den Roberto geschrieben, und sagt der Blanca den Inhalt seines Schreibens, das er sofort durch den Cosme abschicken will. Roberto soll mit allen seinen Freunden einzeln nach London kommen; Essex will ihn mit seinen Leuten unterstützen; Essex hat die Gunst des Volks; nichts wird leichter sein, als sich der Königin zu bemächtigen; sie ist schon so gut, als tot. – Erst müßt ich sterben! ruft auf einmal der Herzog, und kömmt auf sie los. Blanca und der Graf erstaunen über diese plötzliche Erscheinung: und das Erstaunen des letztern ist nicht ohne Eifersucht. Er glaubt, daß Blanca den Herzog bei sich verborgen gehalten. Der Herzog rechtfertiget die Blanca, und versichert, daß sie von seiner Anwesenheit nichts gewußt; er habe die Galerie offen gefunden, und sei von selbst hereingegangen, die Gemälde darin zu betrachten.74[514]


DER HERZOG. Bei dem Leben meines Bruders, bei dem mir noch kostbarern Leben der Königin, bei – Aber genug, daß ich es sage: Blanca ist unschuldig. Und nur ihr, Mylord, haben Sie diese Erklärung zu danken. Auf Sie, ist im geringsten nicht dabei gesehen. Denn mit Leuten, wie Sie, machen Leute, wie ich –[515]

DER GRAF. Prinz, Sie kennen mich ohne Zweifel nicht recht? –

DER HERZOG. Freilich habe ich Sie nicht recht gekannt. Aber ich kenne Sie nun. Ich hielt Sie für einen ganz andern Mann: und ich finde, Sie sind ein Verräter.

DER GRAF, Wer darf das sagen?

DER HERZOG. Ich! – Nicht ein Wort mehr! Ich will kein Wort mehr hören, Graf!

DER GRAF. Meine Absicht mag auch gewesen sein –

DER HERZOG. Denn kurz: ich bin überzeugt, daß ein Verräter kein Herz hat. Ich treffe Sie als einen Verräter: ich muß Sie für einen Mann ohne Herz halten. Aber um so weniger darf ich mich dieses Vorteils über Sie bedienen. Meine Ehre verzeiht Ihnen, weil Sie der Ihrigen verlustig sind. Wären Sie so unbescholten, als ich Sie sonst geglaubt, so würde ich Sie zu züchtigen wissen.

DER GRAF. Ich bin der Graf von Essex. So hat mir noch niemand begegnen dürfen, als der Bruder des Königs von Frankreich.

DER HERZOG. Wenn ich auch der nicht wäre, der ich bin; wenn nur Sie der wären, der Sie nicht sind, ein Mann von Ehre: so sollten Sie wohl empfinden, mit wem Sie zu tun hätten. – Sie, der Graf von Essex? Wenn Sie dieser berufene Krieger sind: wie können Sie so viele große Taten durch eine so unwürdige Tat vernichten wollen? –

72

Ay tal traicion! vive el Cielo,

Que de amarla estoi corrido.

Blanca, que es mi dulce dueño,

Blanca, à quien quiero, y estimo,

Me propone tal traicion!

Que harè, porque si ofendido,

Respondiendo, como es justo,

Contra su traicion me irrito,

No por esso ha de evitar

Su resuelto desatino.

Pues darle cuenta a la Reina

Es impossible, pues quiso

Mi suerte, que tenga parte

Blanca en aqueste delito.

Pues si procuro con ruegos

Disuadirla, es desvario,

Que es una muger resuelta

Animal tan vengativo,

Que no se dobla à los riesgos:

Antes con afecto impio,

En el mismo rendimiento

Suelen agusar los filos;

Y quizà desesperada

De mi enojo, o mi desvio,

Se declarara con otro

Menos leal, menos fino,

Que quizà por ella intente,

Lo que yo hacer no he querido.

73

Si estàs consultando, Conde,

Alla dentro de ti mismo

Lo que ha de hacer, no me quieres,

Ya el dudarlo fue delito.

Vive Dios, que eres ingrato!

74

Por vida del Rey mi hermano,

Y por la que mas estimo,

De la Reina mi señora,

Y por – pero yo lo digo

Que en mi es el mayor empeño

De la verdad del decirlo,

Que no tiene Blanca parte

De estar yo aqui – –

– – – –

Y estad mui agradecido

A Blanca, de que yo os dè,

No satisfacion, aviso

De esta verdad, porque a vos,

Hombres como yo –

COND. Imagino

Que no me conoceis bien.

DUQ. No os havia conocido

Hasta aqui; mas ya os conozco,

Pues ya tan otro os he visto

Que os reconozco traidor.

COND. Quien dixere-

DUQ. Yo lo digo,

No pronuncieis algo, Conde,

Que ya no puedo sufriros.

COND. Qualquier cosa que yo intente –

DUQ. Mirad que estoi persuadido

Que hace la traicion cobardes;

Y assi quando os he cogido

En un lance que me dà

De que sois cobarde indicios,

No he de aprovecharme de esto,

Y assi os perdona mi brio

Este rato que teneis

El valor desminuido;

Que a estar tado vos entero,

Supiera daros castigo.

COND. Yo soi el Conde de Sex

Y nadie se me ha atrevido

Sino el hermano del Rey

De Franeia.

DUQ. Yo tengo brio

Para que sin ser quien soi,

Pueda mi valor invicto

Castigar, non digo yo

Solo a vos, mas a vos mismo,

Siendo leal, que es lo mas

Con que queda encarecido.

Y pues sois tan gran Soldado,

No echeis a perder, os pido,

Tantas heroicas hazañas

Con un hecho tan indigno –

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff., S. 512-516.
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