Fünf und sechzigstes Stück

[531] Den 15ten Dezember, 1767


Du? mir eine Schwachheit? fragt die Königin.

BLANCA. Schmeicheleien, Seufzer, Liebkosungen, und besonders Tränen, sind vermögend, auch die reinste Tugend zu untergraben. Wie teuer kömmt mir diese Erfahrung zu stehen! Der Graf –

DIE KÖNIGIN. Der Graf? Was für ein Graf? –

BLANCA. Von Essex.

DIE KÖNIGIN. Was höre ich?

BLANCA. Seine verführerische Zärtlichkeit –

DIE KÖNIGIN. Der Graf von Essex?

BLANCA. Er selbst, Königin. –

DIE KÖNIGIN bei Seite. Ich bin des Todes! – Nun? weiter!

BLANCA. Ich zittere. – Nein, ich darf es nicht wagen –


Die Königin macht ihr Mut, und lockt ihr nach und nach mehr ab, als Blanca zu sagen brauchte; weit mehr, als sie selbst zu hören wünscht. Sie höret, wo und wie der Graf glücklich gewesen;94 und als sie endlich auch höret, daß er[531] ihr die Ehe versprochen, und daß Blanca auf die Erfüllung dieses Versprechens dringe: so bricht der so lange zurückgehaltene Sturm auf einmal aus. Sie verhöhnet das leichtgläubige Mädchen auf das empfindlichste, und verbietet ihr schlechterdings, an den Grafen weiter zu denken. Blanca errät ohne Mühe, daß dieser Eifer der Königin, Eifersucht sein müsse: und gibt es ihr zu verstehen.


DIE KÖNIGIN. Eifersucht? – Nein; bloß deine Aufführung entrüstet mich. – Und gesetzt, – ja gesetzt, ich liebte den Grafen. Wenn ich, – Ich ihn liebte, und eine andere wäre so vermessen, so töricht, ihn neben mir zu lieben, – was sage ich, zu lieben? – ihn nur anzusehen, – was sage ich, anzusehen? – sich nur einen Gedanken von ihm in den Sinn kommen zu lassen: das sollte dieser andern nicht das Leben kosten? – Du siehest, wie sehr mich eine bloß vorausgesetzte, erdichtete Eifersucht aufbringt: urteile daraus, was ich bei einer wahren tun würde. Itzt stelle ich mich nur eifersüchtig: hüte dich, mich es wirklich zu machen!95[532]


Mit dieser Drohung geht die Königin ab, und läßt Blanca in der äußersten Verzweiflung. Dieses fehlte noch zu den Beleidigungen, über die sich Blanca bereits zu beklagen hatte. Die Königin hat ihr Vater und Bruder und Vermögen genommen: und nun will sie ihr auch den Grafen nehmen. Die Rache war schon beschlossen; aber warum soll Blanca noch erst warten, bis sie ein anderer für sie vollzieht? Sie will sie selbst bewerkstelligen, und noch diesen Abend. Als Kammerfrau der Königin, muß sie sie auskleiden helfen; da ist sie mit ihr allein; und es kann ihr an Gelegenheit nicht fehlen. – Sie sieht die Königin mit dem Kanzler wiederkommen, und geht, sich zu ihrem Vorhaben gefaßt zu machen.

Der Kanzler hält verschiedne Briefschaften, die ihm die Königin nur auf einen Tisch zu legen befiehlt; sie will sie vor Schlafengehen noch durchsehen. Der Kanzler erhebt die außerordentliche Wachsamkeit, mit der sie ihren Reichsgeschäften obliege; die Königin erkennt es für ihre Pflicht, und beurlaubet den Kanzler. Nun ist sie allein, und setzt sich zu den Papieren. Sie will sich ihres verliebten Kummers entschlagen, und anständigern Sorgen überlassen. Aber das erste Papier, was sie in die Hände nimmt, ist die Bittschrift eines Grafen Felix. Eines Grafen! »Muß es denn eben, sagt sie, von einem Grafen sein, was mir zuerst vorkömmt!« Dieser Zug ist vortrefflich. Auf einmal ist sie wieder mit ihrer ganzen Seele bei demjenigen Grafen, an den sie itzt nicht denken wollte. Seine Liebe zur Blanca ist ein Stachel in ihrem Herzen, der ihr das Leben zur Last macht. Bis sie der Tod von dieser Marter befreie, will sie bei dem Bruder des Todes Linderung suchen: und so fällt sie in Schlaf.

Indem tritt Blanca herein, und hat eine von den Pistolen[533] des Grafen, die sie in ihrem Zimmer gefunden. (Der Dichter hatte sie, zu Anfange dieses Akts, nicht vergebens dahin tragen lassen.) Sie findet die Königin allein und entschlafen: was für einen bequemern Augenblick könnte sie sich wünschen? Aber eben hat der Graf die Blanca gesucht, und sie in ihrem Zimmer nicht getroffen. Ohne Zweifel errät man, was nun geschieht. Er kömmt also, sie hier zu suchen; und kömmt eben noch zurecht, der Blanca in den mörderischen Arm zu fallen, und ihr die Pistole, die sie auf die Königin schon gespannt hat, zu entreißen. Indem er aber mit ihr ringt, geht der Schuß los: die Königin erwacht, und alles kömmt aus dem Schlosse herzugelaufen.


DIE KÖNIGIN im Erwachen. Ha! Was ist das?

DER KANZLER. Herbei, herbei! Was war das für ein Knall, in dem Zimmer der Königin? Was geschieht hier?

ESSEX mit der Pistole in der Hand. Grausamer Zufall!

DIE KÖNIGIN. Was ist das, Graf?

ESSEX. Was soll ich tun?

DIE KÖNIGIN. Blanca, was ist das?

BLANCA. Mein Tod ist gewiß!

ESSEX. In welcher Verwirrung befinde ich mich!

DER KANZLER. Wie? der Graf ein Verräter?

ESSEX bei Seite. Wozu soll ich mich entschließen? Schweige ich: so fällt das Verbrechen auf mich. Sage ich die Wahrheit: so werde ich der nichtswürdige Verkläger meiner Geliebten, meiner Blanca, meiner teuersten Blanca.

DIE KÖNIGIN. Sind Sie der Verräter, Graf? Bist du es, Blanca? Wer von euch war mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich hörte im Schlafe euch beide rufen: Verräterin! Verräter! Und doch kann nur eines von euch diesen Namen verdienen. Wenn eines von euch mein Leben suchte, so bin ich es dem andern schuldig. Wem bin ich es schuldig, Graf? Wer suchte es, Blanca? Ihr schweigt? – Wohl, schweigt nur! Ich will in dieser Ungewißheit bleiben; ich will den Unschuldigen nicht wissen, um den Schuldigen nicht zu kennen. Vielleicht dürfte es mich eben so sehr schmerzen, meinen Beschützer zu erfahren, als meinen[534] Feind. Ich will der Blanca gern ihre Verräterei vergeben, ich will sie ihr verdanken: wenn dafür der Graf nur unschuldig war.96


Aber der Kanzler sagt: wenn es die Königin schon hierbei wolle bewenden lassen, so dürfe er es doch nicht; das Verbrechen sei zu groß; sein Amt erfodere, es zu ergründen; besonders da aller Anschein sich wider den Grafen erkläre.


DIE KÖNIGIN. Der Kanzler hat Recht; man muß es untersuchen. – Graf, –

ESSEX. Königin! –

DIE KÖNIGIN. Bekennen Sie die Wahrheit. – Bei Seite. Aber wie sehr fürchtet meine Liebe, sie zu hören! – War es Blanca?

ESSEX. Ich Unglücklicher![535]

DIE KÖNIGIN. War es Blanca, die meinen Tod wollte?

ESSEX. Nein, Königin; Blanca war es nicht.

DIE KÖNIGIN. Sie waren es also?

ESSEX. Schreckliches Schicksal! – Ich weiß nicht.

DIE KÖNIGIN. Sie wissen es nicht? – Und wie kömmt dieses mörderische Werkzeug in Ihre Hand? –


Der Graf schweigt, und die Königin befiehlt, ihn nach dem Tower zu bringen. Blanca, bis sich die Sache mehr aufhellet, soll in ihrem Zimmer bewacht werden. Sie werden abgeführt, und der zweite Aufzug schließt.

94

BL. Le llamè una noche obscura –

REIN. Y vino a verte?

BL. Pluguiera

A dios, que no fuera tanta

Mi desdicha, y su fineza.

Vino mas galan que nunca,

Y yo que dos veces ciega,

Por mi mal, estaba entonces

Del amor, y las tinieblas –

95

REIN. Este es zelo, Blanca.

BL.Zelos,

Añadiendose una letra.

REIN. Que decis?

BL.Señora, que

Si acaso possible fuera,

A no ser vos la que dice

Essas palabras, dixera,

Que eran zelos.

REIN.Que son zelos?

No son zelos, es ofensa

Que me estais haciendo vos.

Supougamos, que quisiera

A el Conde en esta ocasion:

Pues si yo a el Conde quisiera

Y alguna atrevida, loca

Presumida, descompuesta

Le quisiera, que es querer?

Que le mirara, o le viera;

Que es verle? No sè que diga,

No hai cosa que menos sea –

No la quitara la vida?

La sangre no la bebiera? –

Los zelos, aunque fingidos,

Me arrebataron la lengua,

Y dispararon mi enojo –

Mirad que no me deis zelos,

Que si fingidos se altera

Tanto mi enojo, ved vos,

Si fuera verdad, que hiciera –

Escarmentad en las burlas,

No me deis zelos de veras.

96

Conde, vos traidor? Vos, Blanca?

El juicio esta indiferente,

Qual me libra, qual me mata.

Conde, Blanca, respondedme!

Tu a la Reina? tu a la Reina?

Oi, aunque confusamente:

Ha, traidora, dixo el Conde;

Blanca dixo: Traidor eres.

Estas razones de entrambos

A entrambas cosas convienen:

Uno de los dos me libra,

Otro de los dos me ofende.

Conde, qual me daba vida?

Blanca, qual me daba muerte?

Decidme! – no lo digais,

Que neutral mi valor quiere,

Por no saber el traidor,

No saber el innocente.

Mejor es quedar confusa,

En duda mi juieio quede,

Porque quando mire a alguno,

Y de la traicion me acuerde,

A pensar, que es el traidor,

Que es el leal tambien piense.

Yo le agradeciera à Blanca,

Que ella la traidora fuesse,

Solo à trueque de que el Conde

Fuera el, que estaba innocente. –

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff., S. 531-536.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 24. Hamburgische Dramaturgie. Band I
Hamburgische Dramaturgie
Minna von Barnhelm / Hamburgische Dramaturgie (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)
Die hamburgische Dramaturgie in Auswahl. Mit Einleitung und Anmerkungen von Adolf Lichtenheld (German Edition)
Lessing's Hamburgische Dramaturgie: Für Die Oberste Klasse Höherer Lehranstalten Und Den Weiteren Kreis Der Gebildeten (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon