Schreiben eines Juden an einen Philosophen

[167] Schreiben eines Juden an einen Philosophen, nebst der Antwort. Berlin bei Chr. Fr. Voß. 1753. in 8vo. 2 Bogen. Diese Blätter sind zum Behuf eines unterdrückten Teils des menschlichen Geschlechts aufgesetzt, und machen sowohl der scharfsinnigen Einsicht des Verfassers, als der guten Sache Ehre. In dem Schreiben des Juden wird mit Gründen dargetan, daß es der Gerechtigkeit und dem Vorteile eines Regenten gemäß sei, das Elend der jüdischen Nation aufzuheben. In der Antwort des Philosophen, in dessen Augen die, welche an den gekommenen Messias und die, welche an den noch zukommenden glauben, wenig oder nichts unterschieden sind, wird außer verschiednen den Inhalt des Schreibens betreffenden Anmerkungen, angeführt, daß bereits seit geraumer Zeit in Holland und England den Juden gleich den Christen, ohne Einschränkung erlaubt sei, Häuser und Äcker zu kaufen, und alle Arten von Künsten und Professionen zu treiben; daß diese[175] ihnen erteilte Freiheiten beiden Staaten nicht nur keinen Schaden verursachen, sondern vielmehr dem Anwachse ihres Reichtums und ihrer Macht ausnehmend beförderlich sind. Statt eines weitläuftigern Auszuges wollen wir zur Probe der Denkungsart und des Ausdrucks, den Schluß des Schreibens von dem Juden einrücken: »Vertreten Sie nur die Stelle eines le Fort; vielleicht findet sich auch ein Peter der Große. Vielleicht schenkt ein Zusammenhang von eben so glücklichen Umständen einen Fürsten, der die größte Stärke des Geistes mit der höchsten Gewalt vereiniget, der eine Nation, die eben so edel als alle andern, jetzo aber durch Armut, Unwissenheit, Verachtung und eine Art von Sklaverei unterdrückt ist, davon befreiet. Sollte solches geschehen, so bin ich versichert, daß ihre Ehrfurcht gegen diesen Fürsten die gehoffte Ankunft eines Messias in seiner Person erfüllt zu sein glauben, daß ihre Emsigkeit reiche und unaufhörliche Opfer zu seinen Füßen legen, und daß ihre Dankbarkeit ihm in dem Andenken der Nachkommen und in der jüdischen Historie ein ewiges Denkmal stiften werde.« – – Die Wahrheit und Vernunft befreien den Verfasser von der Anklage der allerheftigsten Vorurteile. Nunmehr aber rechtfertiget ihn noch überdem die Englische Nation, indem eben dasselbe zum größten Erstaunen von Europa den 1ten Junius des jetztlaufenden Jahres in England verordnet worden, was der Verfasser in seinem Schreiben vom 24sten März statt eines Entwurfs angeführet hat. Die Akte davon ist in einem Anhange beigefügt. Kostet in den Vossischen Buchläden 2 Gr.[176]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 167-168,175-177.
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