Der erste Auftritt


[707] Die Witwe. Lisette.


LISETTE. Nun, das ist wahr, unser Haus hat sich in kurzem recht sehr geändert. Noch vor acht Tagen war es ein belebter Sammelplatz von unzähligen jungen Herren und verliebten Narren. Alle Tage haben sich ihrer ein Paar verloren. Heute blieben die weg; morgen folgten ein Paar andre nach, und übermorgen desgleichen. Gott sei Dank! zwei sind noch übrig geblieben. Wenn die sich auch abfinden sollten: so wird unser Haus zur Einöde. Madame – – – Madame!

DIE WITWE. Nun, was ist es?

LISETTE. Alsdann bleibe ich gewiß auch nicht länger bei Ihnen; so gut ich es auch hier habe. Gesellschaft ist das halbe Leben!

DIE WITWE. Du hättest dich also besser in einen Gasthof, als in meine Dienste, geschickt?

LISETTE. Ja. In einem Gasthofe geht es doch noch munter zu. Wenn es nicht so viel Arbeit da gäbe, wer weiß, was ich getan hätte. Wenn man einmal, leider! dienen muß, so, dächte ich, ist es wohl am vernünftigsten, man dient da, wo man bei seinem Dienen das größte Vergnügen haben kann. Doch, Scherz bei Seite. Was stellt denn itzo Herr Damon und Herr Leander bei Ihnen vor?

DIE WITWE. Was sie vorstellen?

LISETTE. Die Frage scheint Ihnen wundersam? Das weiß ich wohl, was sie sonst vorgestellt haben. Ihre Freier.

DIE WITWE. Und das sind sie auch noch.

LISETTE. Das sind sie noch? So? Damon ist also des Leanders Nebenbuhler, und Leander des Damons. Und gleichwo sind Leander und Damon die besten Freunde? Das wäre eine neue Mode. Wider die streite ich mit Händen und Füßen. Was? Nebenbuhler, die sich nicht unter einander zanken, verleumden, schimpfen, betrügen, herausfordern,[707] schlagen, das wären mir artige Kreaturen. Nein. Es muß bei dem alten bleiben. Unter Nebenbuhlern muß Feindschaft sein, oder sie sind keine Nebenbuhler.

DIE WITWE. Es ist wahr, ich habe mich über ihr Bezeigen einigermaßen selbst gewundert. Ehe beide noch wußten, daß sie einerlei Zweck hätten, bezeigte sich niemand gegen mich verliebter, als eben sie. Niemand war zärtlicher, niemand bestrebte sich um meine Gegengunst mehr, als sie. So bald sie gewahr wurden, daß einer des andern Nebenbuhler wäre, so bald wurden beide, in ihrem Bestreben, mir zu gefallen, nachlässiger. Einer redete bei mir dem andern das Wort, Damon dem Leander, und Leander dem Damon. Beide schwiegen von ihren eigenen Angelegenheiten.

LISETTE. Und bei der Aufführung halten Sie beide noch für Ihre Freier?

DIE WITWE. Ja, ich bin es gewiß überzeugt, daß sie mich beide lieben. Beide lieben mich aufrichtig. Nur schien mir Damon etwas zu flüchtig, und Leander etwas zu ungestüm.

LISETTE. Beinahe möchte ich Sie itzt etwas fragen?

DIE WITWE. Nun, so laß doch hören.

LISETTE. Werden Sie mir aber aufrichtig antworten?

DIE WITWE. Ob ich dir aufrichtig antworten werde? Ich sehe nicht, was mich nötigen sollte, dir eine erdichtete Antwort zu geben. Wenn mir deine Frage nicht ansteht, so dürfte ich dir ja lieber gar nicht antworten.

LISETTE. Sie glauben, daß Sie von beiden geliebt werden. Und vielleicht mit Recht. Welchen von ihnen lieben Sie denn aber?

DIE WITWE. Welchen?

LISETTE. Ja.

DIE WITWE. Welchen? die Frage ist wunderlich. Ich liebe sie beide.

LISETTE. Nun, das ist gut. Sie werden sie also auch beide heiraten?

DIE WITWE. Du mengest alles unter einander. ltzo war die Rede vom Lieben und nicht vom Heiraten. Alle Freier, die ich gehabt habe, waren teils eitle verliebte Hasen, teils eigennützige niederträchtige Seelen. Was habe ich nicht[708] von beiden ausstehen müssen! Nur Damon und Leander unterschieden sich gleich anfangs von ihnen. Ich nahm diesen Unterschied mit dem größten Vergnügen wahr. Und ich glaube auch, daß ich es ihnen selbst habe deutlich genug zu verstehen gegeben, wie sehr ich sie zu unterscheiden wüßte. Ich habe allen den Abschied gegeben, die nicht selbst so klug waren, ihn zu nehmen; nur sie habe ich da behalten, und sehe sie noch mit Vergnügen bei mir.

LISETTE. Was soll aber daraus werden?

DIE WITWE. Ich will es mit abwarten. Kann ich nicht beider Liebste werden, so kann ich doch wohl beider Freundin sein. Ja, gewiß, die Freundschaft kömmt mir itzt viel reizender vor, als die Liebe. Ich muß dieses dem Exempel meiner zärtlichen Liebhaber zuschreiben.

LISETTE. Was, die Freundschaft? die Freundschaft reizender, als die Liebe? die trockne Freundschaft! Reden Sie mir nur nicht so philosophisch. Ich glaube doch davon so viel, als ich will. Ihr Herz denkt ganz anders. Und es würde ihm auch gewiß nicht viel Ehre machen, wenn es mit dem Munde übereinstimmte. Lassen Sie mich einmal versuchen, ob ich seine stumme Sprache verstehe. Ich höre es; ja, ja, es spricht: Wie? sind das die aufrichtigen Liebhaber? was ist das für eine neue Art der Liebe, die der Anblick eines Freundes unterdrückt? keiner wagt es, mir seinen Freund aufzuopfern? O die Unwürdigen! Ich will sie hassen, ja ich will – – aber werde ich auch können? werde ich auch – – –

DIE WITWE. Schweig! schweig! Lisette. Du verstehst seine stumme Sprache sehr schlecht.

LISETTE. O! verzeihen Sie mir. Dieses Einfallen in die Rede, versichert mich, daß ich sie sehr wohl verstehe. Je nun, wie kann es anders sein? Ich würde selbst verdrießlich sein, wenn mir die Freundschaft so einen Streich spielte. Überlegen Sie es nur, wer ist sonst daran schuld, als die Freundschaft, daß Sie itzo, da Sie zwei Anbeter haben könnten, gar keinen haben? Ach! es wäre eine Schande, wenn die Liebe nicht stärker sein sollte, als die Freundschaft.[709]

DIE WITWE. Ach!

LISETTE. Ha! ha! den Ton verstehe ich auch. Hören Sie einmal, ob ich ihn geschickt umschreiben kann. Nicht wahr? er will so viel sagen: Lisette, nötige mich nicht weiter, dir etwas zu gestehen, was du schon weißt. Wollte der Himmel! daß die Liebe nur bei einem mächtiger wäre, als die Freundschaft! Kannst du was beitragen, meine Liebhaber empfindlicher und weniger gewissenhaft zu machen – –

DIE WITWE. Sage mir, was du schwärmst?

LISETTE. O! um Verzeihung. Es sind Ihre eigenen Schwärmereien.

DIE WITWE. Gesetzt nun, ich gestünde dir, daß ich es lieber sehen würde, wenn mir beide ihre Liebe noch ferner entdeckten, wenn sich beide die zärtlichste Mühe um mein Herz gäben, wenn einer dem andern einen Rang abzulaufen suchte, wenn sie meine Gunstbezeigungen selbst, die ich dem einem mehr oder weniger zukommen ließe, ein wenig uneinig machte[n], wenn ich alsdenn selbst das Vergnügen haben könnte, sie wieder zu vereinigen, um sie aufs neue zu trennen, gesetzt, sage ich, ich gestünde dir dieses, was wäre es nun mehr?

LISETTE. Es wäre allerdings etwas mehr, als Sie mir vorhin zugestehen wollten.

DIE WITWE. Ich weiß aber auch gar nicht, was ich für Ursache habe, dir von meinem Herzen Rechenschaft zu geben?

LISETTE. Ich bin mit Ihnen einig, Sie haben keine, Sie tun es aus bloßer Gütigkeit. Aber Sie sollten nicht umsonst so gütig gewesen sein, ich versichre Sie. Ich will mein möglichstes tun, daß es bald dahin kömmt, wohin Sie es gern haben wollen. Aber sagen Sie mir nur erst, für wen wollten Sie sich wohl am liebsten erklären; für Damon oder Leandern? Sie besinnen sich? Hören Sie, es fällt mir ein guter Rat ein. Sie wissen, daß sie beide vor einem Jahre, beinahe ihr ganzes Vermögen, jeder auf ein besonderes Schiff, welche nach Ostindien handeln, gegeben haben. Sie warten alle Tage auf ihre Rückkunft. Wie wäre es, wenn wir auch darauf warteten, und uns alsdenn für denjenigen[710] erklärten, der der glücklichste bei diesem Handel gewesen ist?

DIE WITWE. Ich lasse mir es gefallen. Nur – – –

LISETTE. Hier kömmt Herr Damon. Lassen Sie mich einmal mit ihm alleine, ich will ihn ausholen.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 707-711.
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