Der zweite Auftritt


[711] Lisette. Damon.


LISETTE. Ihre Dienerin, Herr Damon. Sie scheinen mir jemanden zu suchen. Wer ist es?

DAMON. Leander hat mich hier erwarten wollen. Habt Ihr ihn nicht gesehen?

LISETTE. Nein. Nun – – Aber müssen Sie denn deswegen gleich wieder fort gehen? Verziehen Sie doch einen Augenblick. Wird Ihnen die Zeit schon zu lang, daß er Ihnen nicht gleich seine süßen Träume von der Freundschaft vorplaudern soll? Wenn Sie nur deswegen etwa hergekommen sind angenehme Lügen und entzückende Gedanken von Ihrem Freunde zu hören; verziehen Sie, verziehen Sie, ich will es so gut machen, als er. Seit Sie und Herr Leander einander hier angetroffen, schallen ja alle Wände von dem Lobe der Freundschaft wider; ich werde doch wohl was behalten haben.

DAMON. Diese Spöttereien geschehen auf Unkosten meines Freundes. Sie müssen mir notwendig zuwider sein. Wenn ich bitten darf, schweigt!

LISETTE. Ei! sonst jemand möchte bei solchen Umständen schweigen. Überlegen Sie es doch nur selbst. Sie sind in dem Hause einer jungen liebenswürdigen Witwe. Sie lieben sie. Sie suchen ihre Gegenliebe. Aber, mein Gott! auf was für eine besondre Art! Ein Freund macht Sie in Ihrem Antrage schüchtern. Sie wollen ihn nicht beleidigen. Ihre Liebe ist viel zu schwach, seine ungegründeten Vorwürfe zu erdulden. Sie wollen es lieber mit Ihrer Liebsten, als mit Ihrem Freunde verderben. Je nun, möchte es doch noch[711] endlich sein, wenn der andre nur nicht eben so ein Grillenfänger wäre.

DAMON. Unsre Aufführung darf Eurer Frau gar nicht seltsam vorkommen. Sie weiß unsrer beider Neigung. Wir haben uns ihr beide erklärt, ehe wir wußten, daß wir ihr einerlei erkläret hätten. Wir bestreben uns, aufrichtige Freunde zu sein. Wäre es also nicht unbillig, wenn ich dem Leander, oder Leander mir, durch ungestümes Anhalten, ein Herz entreißen wollte, das sich vielleicht mit der Zeit aus Neigung an einen von uns ergeben wird?

LISETTE. Aus Neigung? Als wenn ein Frauenzimmer nicht für alle wohlgemachte Mannspersonen einerlei Neigung hätte. Zum Exempel, was würde mir daran gelegen sein, ob ich Sie, oder Herr Leandern bekommen sollte. Nehmen Sie mir es nicht übel, daß ich meinem Stolze einmal solche süße Träume vorhalte. Sie und Herr Leander sind von einer gesunden Leibesbeschaffenheit. Stark und munter. Zwischen zwei gleich guten Sachen kann man sich in der Wahl nicht irren. Der erste der beste. Nur blindlings zugegriffen!

DAMON. Lisette, Ihr beurteilt Eure Frau nach Euch; und gewiß Ihr macht ihr dadurch nicht viel Ehre. Ich kenne sie zu wohl. Sie hat edlere Gedanken von der Liebe.

LISETTE. Ach, nehmen Sie mir es nicht übel. Liebe bleibt Liebe. Eine Königin liebt nicht edler, als eine Bettlerin, und eine Philosophin nicht edler, als eine dumme Bauersfrau. Es ist Maus, wie Mutter. Und ich und meine Frau würden in dem Wesentlichen der Liebe gewiß nicht um ein Haar unterschieden sein.

DAMON. Lebt wohl! Ich habe itzo just weder Lust, noch Zeit, Eure ungegründeten Reden zu widerlegen. Sollte Herr Leander kommen, so bittet ihn, einen Augenblick zu verziehen. Ich habe was Nötiges vorher zu verrichten. Ich werde gleich wieder da sein.

LISETTE. Je, zum Henker! so warten Sie noch einen Augenblick. Sie nennen meine Reden ungegründet? Nun, horchen Sie einmal. Itzo will ich Ihnen was sagen. Vielleicht werden sie Ihnen alsdenn gegründeter vorkommen.

DAMON. Nun, so werde ich was hören.[712]

LISETTE. Wissen Sie, was meine Frau beschlossen hat? Sie will warten, bis die beiden Schiffe wieder da sind, auf welche Sie Ihre Gelder gegeben haben. Und wer bei dem Handel der Glücklichste wird gewesen sein, den will sie heiraten, Knall und Fall. Glauben Sie nun, daß es meiner Frau gleichviel sein wird, ob sie den Herrn Leander oder Sie bekömmt? He?

DAMON. Was? Lisette! Das hätte sich deine Frau entschlossen? Geh! erzähle dein Mährgen einem andern.

LISETTE. Nun, warum kömmt Ihnen das so unwahrscheinlich vor? Ist es ein Schelmstück, daß man lieber einen Reichen, als einen Armen, heiraten will? Ihr närrischen Mannspersonen zählt wohl eher die Rockknöpfe, wenn ihr euch zu nichts entschließen könnt. Und ich dächte doch, sie hätte noch zehnmal gescheiter getan, da sie es dem Glücke überlassen, den Ausschlag zu tun, und ihre Neigung gewiß zu bestimmen.

DAMON. Himmel! wie unglücklich bin ich, wenn Ihr die Wahrheit redet! Hätte ich mir auch jemals einbilden können, daß der Reichtum so viel Reizungen für sie haben sollte? Soll der nun unsere Person erst beliebt machen? Findet sie an mir und an Leandern nichts, welches dieser verblendenden Kleinigkeit die Waage halten könnte? Bald sollte es mich gereuen, eine Person zu lieben, die so niederträchtig – – –

LISETTE. Nun, nun! Fein sachte, fein sachte! Nur nicht gleich geschimpft. Zum Geier, haben Sie es denn besser haben wollen? Der Reichtum an und für sich selber ist eben dasjenige nicht, was sie an Ihnen sucht. Die Neigungen meiner Frau gegen Sie und gegen den Herrn Leander liegen itzo im Gleichgewichte, und dieser soll also nur ein kleiner Zuwurf sein, welcher der oder jener Schale den Ausschlag gibt. O! geizig sind wir eben nicht. Das sagen Sie uns nur nicht nach. Ob es uns auch gleich keine Schande sein würde, wenn wir es wären. Sie zeigen ja dadurch, daß Sie ihr eine Zeit lang nichts mehr von Ihrer Liebe vorgesagt haben, ganz deutlich, daß es Ihnen gleichviel sein würde, ob sie sich für Sie selbst oder für Ihren Freund erklärte;[713] und Leander desgleichen. Wie hätte sie es also wohl klüger können anfangen?

DAMON. Ach daß ich so verliebt, ach, daß ich so gewissenhaft in der Freundschaft bin!

LISETTE. Würde es Ihnen vielleicht lieber gewesen sein, wenn meine Frau Sie beide hätte würfeln lassen, damit die meisten oder die wenigsten Augen sie dem einen oder dem andern zur Frau gegeben hätten? Es ist dieses sonst eine ganz löbliche Soldatenmode, wenn von zwei Galgenschwengeln einem das Leben soll geschenkt werden, und es einer doch eben so wenig verdient, als der andre. Ja, ja. Nicht wahr, sie hätte der Mode wohl auch hier folgen können?

DAMON. Eure Spöttereien sind sehr übel angebracht. Mein Herz ist – – – doch ich will nur gehen, Lisette, Lisette, in was für Unruhe habt Ihr mich gesetzt! Himmel!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 711-714.
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Damon, oder die wahre Freundschaft
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Sämmtliche Schriften: Miss Sara Sampson.-Philotas.-Emilia Galotti.-Nathan Der Weise.-Damon; Oder, Die Wahre Freundschaft.-Die Alte Jungfer.-Theatralischer Nachlass (German Edition)