Zweiter Auftritt


[607] Der Wirt. Just.


DER WIRT. Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so früh auf? Oder soll ich sagen: noch so spät auf?

JUST. Sage Er, was Er will.

DER WIRT. Ich sage nichts, als guten Morgen; und das verdient doch wohl, daß Herr Just, großen Dank, darauf sagt?

JUST. Großen Dank!

DER WIRT. Man ist verdrüßlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann. Was gilts, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?

JUST. Was der Mann nicht alles erraten kann!

DER WIRT. Ich vermute, ich vermute.

JUST kehrt sich um, und will gehen. Sein Diener!

DER WIRT hält ihn. Nicht doch, Herr Just![607]

JUST. Nun gut; nicht Sein Diener!

DER WIRT. Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, daß Er noch von gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?

JUST. Ich; und über alle folgende Nächte.

DER WIRT. Ist das christlich?

JUST. Eben so christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.

DER WIRT. Pfui, wer könnte so gottlos sein?

JUST. Ein christlicher Gastwirt. – Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Offizier!

DER WIRT. Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier, und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer einräumen müssen. – Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. Er ruft in die Szene. Holla! – Ich wills auf andere Weise wieder gut machen. Ein Junge kömmt. Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben; und was Gutes!

JUST. Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den – Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern!

DER WIRT zu dem Jungen, der eine Flasche Liqueur und ein Glas bringt. Gib her; geh! – Nun, Herr Just; was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. Er füllt, und reicht ihm zu. Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen!

JUST. Bald dürfte ich nicht! – – Doch warum soll ich meiner Gesundheit Seine Grobheit entgelten lassen? – Er nimmt und trinkt.

DER WIRT. Wohl bekomms, Herr Just!

JUST indem er das Gläschen wieder zurück gibt. Nicht übel! – Aber Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

DER WIRT. Nicht doch, nicht doch! – Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.

JUST nachdem er getrunken. Das muß ich sagen: gut, sehr gut! – Selbst gemacht, Herr Wirt? –[608]

DER WIRT. Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!

JUST. Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus: – Er ist doch ein Grobian, Herr Wirt!

DER WIRT. In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt. – Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei!

JUST. Meinetwegen! Er trinkt. Gut Ding, wahrlich gut Ding! – Aber auch die Wahrheit ist gut Ding. – Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

DER WIRT. Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?

JUST. O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.

DER WIRT. Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.

JUST. Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilfts Ihm, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt; so guten Danziger zu haben, und so schlechte Mores! – Einem Manne, wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schönen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein Paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt, – in der Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!

DER WIRT. Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraus sahe, daß der Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Türe wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonst wo unterkommen wäre. Die Wirtshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schöne, liebenswürdige Dame, auf der Straße bleiben? Dazu ist Sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?[609]

JUST. Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauren –

DER WIRT. Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant, und tapeziert –

JUST. Gewesen!

DER WIRT. Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben, Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin; der zwar im Winter ein wenig raucht – –

JUST. Aber doch im Sommer recht hübsch läßt. – Herr, ich glaube gar, Er vexiert uns noch oben drein? –

DER WIRT. Nu, nu, Herr Just, Herr Just –

JUST. Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder –

DER WIRT. Ich macht ihn warm? der Danziger tuts! –

JUST. Einen Offizier, wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr denn im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein würdiger Mann, und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das Bißchen Friede schon so übermütig?

DER WIRT. Was ereifert Er sich nun, Herr Just? –

JUST. Ich will mich ereifern. – –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 607-610.
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