Zweiter Auftritt


[627] Der Wirt. Die Vorigen.


DER WIRT den Kopf voransteckend. Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft?

FRANZISKA. Unser Herr Wirt? – Nur vollends herein.

DER WIRT mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und Schreibzeug in der Hand. Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu wünschen, – Zur Franziska. und auch Ihr, mein schönes Kind, –

FRANZISKA. Ein höflicher Mann!

DAS FRÄULEIN. Wir bedanken uns.

FRANZISKA. Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.

DER WIRT. Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden die erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet? –

FRANZISKA. Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt; aber die Betten hätten besser sein können.

DER WIRT. Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große Ermüdung von der Reise –

DAS FRÄULEIN. Es kann sein.

DER WIRT. Gewiß, gewiß! denn sonst – Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichkeit gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden, nur zu befehlen.

FRANZISKA. Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.

DER WIRT. Hiernächst komme ich zugleich – Indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht.

FRANZISKA. Nun? –

DER WIRT. Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei. –

DAS FRÄULEIN. Nicht im geringsten, Herr Wirt –

DER WIRT. Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vier und zwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des Aufenthalts,[627] und so weiter, gehörigen Orts schriftlich einzureichen.

DAS FRÄULEIN. Sehr wohl.

DER WIRT. Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen – Indem er an einen Tisch tritt, und sich fertig macht, zu schreiben.

DAS FRÄULEIN. Sehr gern. – Ich heiße –

DER WIRT. Einen kleinen Augenblick Geduld! – Er schreibt. »Dato, den 22. August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt« – Nun Dero Namen, gnädiges Fräulein?

DAS FRÄULEIN. Das Fräulein von Barnhelm.

DER WIRT schreibt. »Gütern aus Sachsen« – Aus Sachsen! gnädiges Fräulein?

DAS FRÄULEIN. Von meinen Gütern aus Sachsen.

DER WIRT schreibt. »von Barnhelm« – Kommend? woher, Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?

FRANZISKA. Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hier zu Lande keine Sünde, aus Sachsen zu sein?

DER WIRT. Eine Sünde? behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde! – Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! das liebe Sachsen! – Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein, und hat mehrere, – wie soll ich es nennen? – Distrikte, Provinzen. – Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges Fräulein. –

DAS FRÄULEIN. Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.

DER WIRT. Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer. – Schreibt und liest. »Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten« –

FRANZISKA. Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?

DER WIRT. Ja, mein schönes Kind. –

FRANZISKA. Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau, Kammerjungfer. – Ich höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer, und heiße Franziska; mit dem[628] Geschlechtsnamen, Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt klein Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof, und ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter; künftige Lichtmeß ein und zwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.

DER WIRT. Gut, mein schönes Kind; das will ich mir auf weitere Nachfrage merken – Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier? –

DAS FRÄULEIN. Meine Verrichtungen?

DER WIRT. Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?

DAS FRÄULEIN. O, nein!

DER WIRT. Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?

DAS FRÄULEIN. Auch nicht.

DER WIRT. Oder –

DAS FRÄULEIN. Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

DER WIRT. Ganz wohl, gnädiges Fräulein; aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?

DAS FRÄULEIN. Sie nennen sich – Franziska, ich glaube wir werden vernommen.

FRANZISKA. Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen verlangen?

DER WIRT. Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.

FRANZISKA. Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun? – So hören Sie nur, Herr Wirt; – aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt! –

DAS FRÄULEIN. Was wird ihm die Närrin sagen?

FRANZISKA. Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern –

DER WIRT. Wie? was? Mein Kind! mein Kind! –

FRANZISKA. Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.[629]

DAS FRÄULEIN. Franziska, bist du toll? – Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. –

DER WIRT. Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei –

DAS FRÄULEIN. Wissen Sie was, Herr Wirt? – Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte, zwei Meilen von hier, mit seinem Wagen; und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vier und zwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.

DER WIRT. Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.

DAS FRÄULEIN. Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem, und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß, und was er davon verschweigen darf.

DER WIRT. Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen Die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend. nicht verlangen, daß es eine ernsthafte Sache, mit ernsthaften Leuten, ernsthaft traktiere –

DAS FRÄULEIN. Und die Zimmer für ihn, sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?

DER WIRT. Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine –

FRANZISKA. Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?

DER WIRT. Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig. –

DAS FRÄULEIN. Doch, Herr Wirt; das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht einnehmen sollen.

DER WIRT. Wie so, gnädiges Fräulein, wie so?

DAS FRÄULEIN. Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden –

DER WIRT. Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein. –[630]

DAS FRÄULEIN. Wenn schon! –

DER WIRT. Mit dem es zu Ende geht. –

DAS FRÄULEIN. Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.

DER WIRT. Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.

DAS FRÄULEIN. Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.

DER WIRT. O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle. –

DAS FRÄULEIN. So kann er sie nicht alle belohnen.

DER WIRT. Sie wären alle belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so lebten die Herren, währendes Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll; und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in Acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert; und zwei, drei Monate hätte ich ihn freilich noch ruhig können sitzen lassen. Doch besser ist besser. – A propos, gnädiges Fräulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen? –

DAS FRÄULEIN. Nicht sonderlich.

DER WIRT. Was sollten Ihro Gnaden nicht? – Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr schönen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen so ähnlich ist. – O! sehen Sie doch, sehen Sie doch! Indem er ihn aus dem Futteral heraus nimmt, und der Fräulein zureicht. Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein, wiegt über fünf Karat.

DAS FRÄULEIN ihn betrachtend. Wo bin ich? was seh ich? Dieser Ring –

DER WIRT. Ist seine funfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.

DAS FRÄULEIN. Franziska! – Sieh doch! –

DER WIRT. Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.

DAS FRÄULEIN. Erkennst du ihn nicht, Franziska?

FRANZISKA. Der nämliche! – Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her? –[631]

DER WIRT. Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

FRANZISKA. Wir kein Recht an diesem Ringe? – Inwärts auf dem Kasten muß der Fräulein verzogener Name stehn. – Weisen Sie doch, Fräulein.

DAS FRÄULEIN. Er ists, er ists! – Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?

DER WIRT. Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt. – Gnädiges Fräulein, gnädiges Fräulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglück bringen wollen? Was weiß ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt? Währendes Krieges hat manches seinen Herrn, sehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen sein. – Geben Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn wieder!

FRANZISKA. Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?

DER WIRT. Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann; von einem sonst guten Manne –

DAS FRÄULEIN. Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentümer haben. – Geschwind bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst, oder wenigstens muß er ihn kennen.

DER WIRT. Wer denn? wen denn, gnädiges Fräulein?

FRANZISKA. Hören Sie denn nicht? unsern Major.

DER WIRT. Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.

DAS FRÄULEIN. Major von Tellheim?

DER WIRT. Von Tellheim; ja! Kennen Sie ihn?

DAS FRÄULEIN. Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er, er hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig? – – Franziska, die Schatulle her! Schließ auf! Indem sie Franziska auf den Tisch setzet, und öffnet. Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!

DER WIRT. Was höre ich?[632]

DAS FRÄULEIN. Wo ist er? wo ist er?

DER WIRT. Noch vor einer Stunde war er hier.

DAS FRÄULEIN. Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?

DER WIRT. Ihro Gnaden verzeihen –

DAS FRÄULEIN. Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.

DER WIRT. Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er ihn aufsuchen soll?

DAS FRÄULEIN. Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen Dienst allein, will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind. –

FRANZISKA. Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! Stößt ihn heraus.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 627-633.
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