Zehnter Auftritt


[658] Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. von Tellheim. Paul Werner.


FRANZISKA. Herr Major –

VON TELLHEIM. Liebe Franziska, ich habe dich noch nicht willkommen heißen können.[658]

FRANZISKA. In Gedanken werden Sie es doch schon getan haben. Ich weiß, Sie sind mir gut. Ich Ihnen auch. Aber das ist gar nicht artig, daß Sie Leute, die Ihnen gut sind, so ängstigen.

WERNER vor sich. Ha, nun merk ich. Es ist richtig!

VON TELLHEIM. Mein Schicksal, Franziska! – Hast du ihr den Brief übergeben?

FRANZISKA. Ja, und hier übergebe ich Ihnen – Reicht ihm den Brief.

VON TELLHEIM. Eine Antwort? –

FRANZISKA. Nein, Ihren eignen Brief wieder.

VON TELLHEIM. Was? Sie will ihn nicht lesen?

FRANZISKA. Sie wollte wohl; aber – wir können Geschriebenes nicht gut lesen.

VON TELLHEIM. Schäkerin!

FRANZISKA. Und wir denken, daß das Briefschreiben für die nicht erfunden ist, die sich mündlich mit einander unterhalten können, sobald sie wollen.

VON TELLHEIM. Welcher Vorwand! Sie muß ihn lesen. Er enthält meine Rechtfertigung, – alle die Gründe und Ursachen –

FRANZISKA. Die will das Fräulein von Ihnen selbst hören, nicht lesen.

VON TELLHEIM. Von mir selbst hören? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Größe meines Verlusts empfinde? –

FRANZISKA. Ohne Barmherzigkeit! – Nehmen Sie! Sie gibt ihm den Brief. Sie erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren, und die Stadt besehen. Sie sollen mit ihr fahren.

VON TELLHEIM. Mit ihr fahren?

FRANZISKA. Und was geben Sie mir, so laß ich Sie beide ganz allein fahren? Ich will zu Hause bleiben.

VON TELLHEIM. Ganz allein?

FRANZISKA. In einem schönen verschloßnen Wagen.

VON TELLHEIM. Unmöglich!

FRANZISKA. Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen. Darum geschicht es eben. – Kurz, Sie kommen, Herr Major; und Punkte[659] drei. – Nun? Sie wollten mich ja auch allein sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen? – Ja so, wir sind nicht allein. Indem sie Wernern ansieht.

VON TELLHEIM. Doch Franziska; wir wären allein. Aber da das Fräulein den Brief nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.

FRANZISKA. So? wären wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister keine Geheimnisse?

VON TELLHEIM. Nein, keine.

FRANZISKA. Gleichwohl, dünkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.

VON TELLHEIM. Wie das?

WERNER. Warum das, Frauenzimmerchen?

FRANZISKA. Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art. – Alle zwanzig, Herr Wachtmeister? Indem sie beide Hände mit gespreizten Fingern in die Höhe hält.

WERNER. St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!

VON TELLHEIM. Was heißt das?

FRANZISKA. Husch ists am Finger, Herr Wachtmeister? Als ob sie einen Ring geschwind ansteckte.

VON TELLHEIM. Was habt ihr?

WERNER. Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spaß verstehn?

VON TELLHEIM. Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt habe; daß man über einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen muß?

WERNER. Bei meiner armen Seele, ich kanns vergessen haben! – Frauenzimmerchen, ich bitte –

FRANZISKA. Nun wenn es Spaß gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.

VON TELLHEIM. Wenn ich denn durchaus kommen muß, Franziska: so mache doch nur, daß das Fräulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen, die ich so gern vergessen möchte. Da, gib ihr ihn! Indem er den Brief umkehrt, und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, daß er erbrochen ist. Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.[660]

FRANZISKA. Das kann wohl sein. Besieht ihn. Wahrhaftig er ist erbrochen. Wer muß ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen, denn der Schreiber kömmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was, Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind; in Stiefeln, kaum frisiert. Sie sind zu entschuldigen; Sie haben uns nicht vermutet. Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisch frisieren. – So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preußisch aus!

VON TELLHEIM. Ich danke dir, Franziska.

FRANZISKA. Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampiert hätten.

VON TELLHEIM. Du kannst es erraten haben.

FRANZISKA. Wir wollen uns gleich auch putzen, und sodann essen. Wir behielten Sie gern zum Essen, aber Ihre Gegenwart möchte uns an dem Essen hindern; und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, daß uns nicht hungerte.

VON TELLHEIM. Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein wenig vor; damit ich weder in ihren, noch in meinen Augen verächtlich werden darf. – Komm, Werner, du sollst mit mir essen.

WERNER. An der Wirtstafel, hier im Hause? Da wird mir kein Bissen schmecken.

VON TELLHEIM. Bei mir auf der Stube.

WERNER. So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem Frauenzimmerchen.

VON TELLHEIM. Das gefällt mir nicht übel! Geht ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 658-661.
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