Zweiter Auftritt


[642] Franziska. Just.


FRANZISKA zur Türe herein, aus der sie kömmt. Sorgen Sie nicht; ich will schon aufpassen. – Sieh! Indem sie Justen gewahr wird. da stieße mir ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.

JUST. Ihr Diener –

FRANZISKA. Ich wollte so einen Diener nicht –

JUST. Nu, nu; verzeih Sie mir die Redensart! – Da bring ich ein Briefchen von meinem Herrn an Ihre Herrschaft, das gnädige Fräulein – Schwester. – Wars nicht so? Schwester.

FRANZISKA. Geb Er her! Reißt ihm den Brief aus der Hand.

JUST. Sie soll so gut sein, läßt mein Herr bitten, und es übergeben. Hernach soll Sie so gut sein, läßt mein Herr bitten – daß Sie nicht etwa denkt, ich bitte was! –

FRANZISKA. Nun denn?[642]

JUST. Mein Herr versteht den Rummel. Er weiß, daß der Weg zu den Fräuleins durch die Kammermädchens geht: – bild ich mir ein! – Die Jungfer soll also so gut sein, – läßt mein Herr bitten, – und ihm sagen lassen, ob er nicht das Vergnügen haben könnte, die Jungfer auf ein Viertelstündchen zu sprechen.

FRANZISKA. Mich?

JUST. Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe. – Ja, Sie! – Nur auf ein Viertelstündchen; aber allein, ganz allein, insgeheim, unter vier Augen. Er hätte Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.

FRANZISKA. Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen. – Er kann nur kommen, ich werde zu seinem Befehle sein.

JUST. Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer? So in der Dämmerung? –

FRANZISKA. Wie meint Er das? – Sein Herr kann kommen, wenn er will; – und damit packe Er sich nur!

JUST. Herzlich gern! Will fortgehen.

FRANZISKA. Hör Er doch; noch auf ein Wort. – Wo sind denn die andern Bedienten des Majors?

JUST. Die andern? Dahin, dorthin, überallhin.

FRANZISKA. Wo ist Wilhelm?

JUST. Der Kammerdiener? den läßt der Major reisen.

FRANZISKA. So? Und Philipp, wo ist der?

JUST. Der Jäger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.

FRANZISKA. Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel. – Aber Martin?

JUST. Der Kutscher? der ist weggeritten.

FRANZISKA. Und Fritz?

JUST. Der Läufer? der ist avanciert.

FRANZISKA. Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thüringen im Winterquartiere stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?

JUST. O ja; ich war Reitknecht bei ihm; aber ich lag im Lazarett.

FRANZISKA. Reitknecht? und jetzt ist Er?

JUST. Alles in allem; Kammerdiener und Jäger, Läufer und Reitknecht.[643]

FRANZISKA. Das muß ich gestehen! So viele gute, tüchtige Leute von sich zu lassen, und gerade den allerschlechtesten zu behalten! Ich möchte doch wissen, was Sein Herr an Ihm fände!

JUST. Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher Kerl bin.

FRANZISKA. O, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist, als ehrlich. – Wilhelm war ein andrer Mensch! – Reisen läßt ihn der Herr?

JUST. Ja, er läßt ihn; – da ers nicht hindern kann.

FRANZISKA. Wie?

JUST. O, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat des Herrn ganze Garderobe mit.

FRANZISKA. Was? er ist doch nicht damit durchgegangen?

JUST. Das kann man nun eben nicht sagen; sondern, als wir von Nürnberg weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.

FRANZISKA. O der Spitzbube!

JUST. Es war ein ganzer Mensch! er konnte frisieren, und rasieren, und parlieren, – und scharmieren. – Nicht wahr?

FRANZISKA. So nach hätte ich den Jäger nicht von mir getan, wenn ich wie der Major gewesen wäre. Konnte er ihn schon nicht als Jäger nützen, so war es doch sonst ein tüchtiger Bursche. – Wem hat er ihn denn aufzuheben gegeben?

JUST. Dem Kommendanten von Spandau.

FRANZISKA. Der Festung? Die Jagd auf den Wällen kann doch da auch nicht groß sein.

JUST. O, Philipp jagt auch da nicht.

FRANZISKA. Was tut er denn?

JUST. Er karrt.

FRANZISKA. Er karrt?

JUST. Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des Herrn Kompagnie, und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen. –

FRANZISKA. Ich erstaune; der Bösewicht!

JUST. O, es ist ein tüchtiger Kerl! Ein Jäger, der funfzig Meilen in der Runde, durch Wälder und Moräste, alle Fußsteige, alle Schleifwege kennt. Und schießen kann er![644]

FRANZISKA. Gut, daß der Major nur noch den braven Kutscher hat!

JUST. Hat er ihn noch?

FRANZISKA. Ich denke, Er sagte, Martin wäre weggeritten? So wird er doch wohl wieder kommen?

JUST. Meint Sie?

FRANZISKA. Wo ist er denn hingeritten?

JUST. Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und letztem Reitpferde – nach der Schwemme.

FRANZISKA. Und ist noch nicht wieder da? O, der Galgenstrick!

JUST. Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt haben! – Es war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen Rennen waren, so durfte er nur machen: burr! und auf einmal standen sie, wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Roßarzt!

FRANZISKA. Nun ist mir für das Avancement des Läufers bange.

JUST. Nein, nein; damit hats seine Richtigkeit. Er ist Trommelschläger bei einem Garnisonregimente geworden.

FRANZISKA. Dacht ichs doch!

JUST. Fritz hing sich an ein lüderliches Mensch, kam des Nachts niemals nach Hause, machte auf des Herrn Namen überall Schulden, und tausend infame Streiche. Kurz, der Major sahe, daß er mit aller Gewalt höher wollte: Das Hängen pantomimisch anzeigend. er brachte ihn also auf guten Weg.

FRANZISKA. O der Bube!

JUST. Aber ein perfekter Läufer ist er, das ist gewiß. Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben, und ich wette mein Leben, er holt ihn ein. – Es waren wohl alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der Martin und der Fritz? – Nun, Just empfiehlt sich! Geht ab.[645]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 642-646.
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