Dritter Auftritt


[646] Franziska und hernach der Wirt.


FRANZISKA die ihm ernsthaft nachsieht. Ich verdiene den Biß! – Ich bedanke mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die Lehre nicht vergessen. – Ah! der unglückliche Mann! Kehrt sich um, und will nach dem Zimmer des Fräuleins gehen, indem der Wirt kömmt.

DER WIRT. Warte Sie doch, mein schönes Kind.

FRANZISKA. Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt –

DER WIRT. Nur ein kleines Augenblickchen! – Noch keine Nachricht weiter von dem Herrn Major? Das konnte doch unmöglich sein Abschied sein! –

FRANZISKA. Was denn?

DER WIRT. Hat es Ihr das gnädige Fräulein nicht erzählt? – Als ich Sie, mein schönes Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von ungefähr wieder hier in den Saal –

FRANZISKA. Von ungefähr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.

DER WIRT. Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte läßt nichts übler, als Neugierde. – Ich war nicht lange hier, so prellte auf einmal die Türe bei dem gnädigen Fräulein auf. Der Major stürzte heraus; das Fräulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung – so was läßt sich nur sehen. Sie ergriff ihn; er riß sich los; sie ergriff ihn wieder. Tellheim! – Fräulein! lassen Sie mich! – Wohin? – So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon bange, er würde sie mit herabreißen. Aber er wand sich noch los. Das Fräulein blieb an der obersten Schwelle stehn; sah ihm nach; rief ihm nach; rang die Hände. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wider. Hier stand ich; hier ging sie dreimal bei mir vorbei, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie mich sähe; aber, Gott sei bei uns! ich glaube, das Fräulein sahe mich für Sie an, mein Kind. »Franziska«, rief sie, die Augen auf mich gerichtet, »bin[646] ich nun glücklich?« Darauf sahe sie steif an die Decke, und wiederum: »Bin ich nun glücklich?« Darauf wischte sie sich Tränen aus dem Auge, und lächelte, und fragte mich wiederum: »Franziska, bin ich nun glücklich?« – Wahrhaftig, ich wußte nicht, wie mir war. Bis sie nach ihrer Türe lief; da kehrte sie sich nochmals nach mir um: »So komm doch, Franziska; wer jammert dich nun?« – Und damit hinein.

FRANZISKA. O, Herr Wirt, das hat Ihnen geträumt.

DER WIRT. Geträumt? Nein, mein schönes Kind; so umständlich träumt man nicht. – Ja, ich wollte wie viel drum geben, – ich bin nicht neugierig, – aber ich wollte wie viel drum geben, wenn ich den Schlüssel dazu hätte.

FRANZISKA. Den Schlüssel? zu unsrer Türe? Herr Wirt, der steckt innerhalb; wir haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir sind furchtsam.

DER WIRT. Nicht so einen Schlüssel; ich will sagen, mein schönes Kind, den Schlüssel; die Auslegung gleichsam; so den eigentlichen Zusammenhang von dem, was ich gesehen. –

FRANZISKA. Ja so! – Nun, Adjeu, Herr Wirt. Werden wir bald essen, Herr Wirt?

DER WIRT. Mein schönes Kind, nicht zu vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.

FRANZISKA. Nun? aber nur kurz –

DER WIRT. Das gnädige Fräulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen –

FRANZISKA. Er soll Ihnen unverloren sein.

DER WIRT. Ich trage darum auch keine Sorge; ich wills nur erinnern. Sieht Sie; ich will ihn gar nicht einmal wieder haben. Ich kann mir doch wohl an den Fingern abzählen, woher sie den Ring kannte, und woher er dem ihrigen so ähnlich sah. Er ist in ihren Händen am besten aufgehoben. Ich mag Ihn gar nicht mehr, und will indes die hundert Pistolen, die ich darauf gegeben habe, auf des gnädigen Fräuleins Rechnung setzen. Nicht so recht, mein schönes Kind?[647]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 646-648.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück
Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen
Klassische Schullektüre: Klassische Schullektüre, Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Text und Materialien
Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück