Vierter Auftritt


[648] Paul Werner. Der Wirt. Franziska.


WERNER. Da ist er ja!

FRANZISKA. Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.

DER WIRT. Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich tun, mein schönes Kind, das will ich tun.

FRANZISKA. Alles das wird sich finden, Herr Wirt.

WERNER der ihnen hinterwärts näher kömmt, und auf einmal der Franziska auf die Schulter klopft. Frauenzimmerchen! Frauenzimmerchen!

FRANZISKA erschrickt. He!

WERNER. Erschrecke Sie nicht! – Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, ich sehe, Sie ist hübsch, und ist wohl gar fremd – Und hübsche fremde Leute müssen gewarnet werden – Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie sich vor dem Manne in Acht! Auf den Wirt zeigend.

DER WIRT. Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bei uns, willkommen! – Ah, es ist doch immer noch der lustige, spaßhafte, ehrliche Werner! – Sie soll sich vor mir in Acht nehmen, mein schönes Kind! Ha, ha, ha!

WERNER. Geh Sie ihm überall aus dem Wege!

DER WIRT. Mir! mir! – Bin ich denn so gefährlich? – Ha, ha, ha! – Hör Sie doch, mein schönes Kind! Wie gefällt Ihr der Spaß?

WERNER. Daß es doch immer Seines gleichen für Spaß erklären, wenn man ihnen die Wahrheit sagt.

DER WIRT. Die Wahrheit! ha, ha, ha! – Nicht wahr, mein schönes Kind, immer besser! Der Mann kann spaßen! Ich gefährlich? – ich? – So vor zwanzig Jahren war was dran. Ja, ja, mein schönes Kind, da war ich gefährlich; da wußte manche davon zu sagen; aber jetzt –

WERNER. O über den alten Narrn!

DER WIRT. Da steckts eben! Wenn wir alt werden, ist es mit unserer Gefährlichkeit aus. Es wird Ihm auch nicht besser gehn, Herr Werner!

WERNER. Potz Geck, und kein Ende! – Frauenzimmerchen,[648] so viel Verstand wird Sie mir wohl zutrauen, daß ich von der Gefährlichkeit nicht rede. Der eine Teufel hat ihn verlassen, aber es sind dafür sieben andre in ihn gefahren –

DER WIRT. O hör Sie doch, hör Sie doch! Wie er das nun wieder so herum zu bringen weiß! – Spaß über Spaß, und immer was Neues! O, es ist ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner! – Zur Franziska, als ins Ohr. Ein wohlhabender Mann, und noch ledig. Er hat drei Meilen von hier ein schönes Freischulzengerichte. Der hat Beute ge macht im Kriege! – Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen. O, das ist ein Freund von unserm Herrn Major! das ist ein Freund! der sich für ihn tot schlagen ließe! –

WERNER. Ja! und das ist ein Freund von meinem Major! das ist ein Freund! – den der Major sollte tot schlagen lassen.

DER WIRT. Wie? was? – Nein, Herr Werner, das ist nicht guter Spaß. – Ich kein Freund vom Herrn Major? – Nein, den Spaß versteh ich nicht.

WERNER. Just hat mir schöne Dinge erzählt.

DER WIRT. Just? Ich dachts wohl, daß Just durch Sie spräche. Just ist ein böser, garstiger Mensch. Aber hier ist ein schönes Kind zur Stelle; das kann reden; das mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major bin? ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und warum sollte ich nicht sein Freund sein? Ist er nicht ein verdienter Mann? Es ist wahr; er hat das Unglück gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut das? Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen; und wenn er sie auch alle kennte, so kann er sie nicht alle belohnen.

WERNER. Das heißt Ihn Gott sprechen! – Aber Just – freilich ist an Justen auch nicht viel Besonders; doch ein Lügner ist Just nicht; und wenn das wahr wäre, was er mir gesagt hat –

DER WIRT. Ich will von Justen nichts hören! Wie gesagt: das schöne Kind hier mag sprechen! Zu ihr ins Ohr. Sie weiß, mein Kind; den Ring! – Erzähl Sie es doch Herr Wernern. Da wird er mich besser kennen lernen. Und damit es nicht[649] heraus kömmt, als ob Sie mir nur zu gefallen rede: so will ich nicht einmal dabei sein. Ich will nicht dabei sein; ich will gehn; aber Sie sollen mir es wiedersagen, Herr Werner, Sie sollen mir es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger Verleumder ist.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 648-650.
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