Siebender Auftritt


[652] Von Tellheim. Paul Werner.


VON TELLHEIM. So in Gedanken, Werner?

WERNER. Da sind Sie ja; ich wollte eben gehn, und Sie in Ihrem neuen Quartiere besuchen, Herr Major.

VON TELLHEIM. Um mir auf den Wirt des alten die Ohren voll zu fluchen. Gedenke mir nicht daran.

WERNER. Das hätte ich beiher getan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich nur bei Ihnen bedanken, daß Sie so gut gewesen, und mir die hundert Louisdor aufgehoben. Just hat mir sie wiedergegeben. Es wäre mir wohl freilich lieb,[652] wenn Sie mir sie noch länger aufheben könnten. Aber Sie sind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie, noch ich kennen. Wer weiß, wies da ist. Sie könnten Ihnen da gestohlen werden; und Sie müßten mir sie ersetzen; da hülfe nichts davor. Also kann ichs Ihnen freilich nicht zumuten.

VON TELLHEIM lächelnd. Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?

WERNER. Es lernt sich wohl. Man kann, heute zu Tage, mit seinem Gelde nicht vorsichtig genug sein. – Darnach hatte ich noch was an Sie zu bestellen, Herr Major; von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr her. Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig geblieben; hier schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert Dukaten. Das übrige will sie künftige Woche schicken. Ich mochte wohl selber Ursache sein, daß sie die Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein Taler achtzig schuldig; und weil sie dachte, ich wäre gekommen, sie zu mahnen, – wies denn auch wohl wahr war; – so gab sie mir sie, und gab sie mir aus dem Röllchen, das sie für Sie schon zu rechte gelegt hatte. – Sie können auch schon eher Ihre hundert Taler ein Acht Tage noch missen, als ich meine Paar Groschen. – Da nehmen Sie doch! Reicht ihm die Rolle Dukaten.

VON TELLHEIM. Werner!

WERNER. Nun? warum sehen Sie mich so starr an? – So nehmen Sie doch, Herr Major! –

VON TELLHEIM. Werner!

WERNER. Was fehlt Ihnen? Was ärgert Sie?

VON TELLHEIM bitter, indem er sich vor die Stirne schlägt, und mit dem Fuße auftritt. Daß es – die vierhundert Taler nicht ganz sind!

WERNER. Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?

VON TELLHEIM. Eben weil ich dich verstanden habe! – Daß mich doch die besten Menschen heut am meisten quälen müssen!

WERNER. Was sagen Sie?

VON TELLHEIM. Es geht dich nur zur Hälfte an! – Geh, Werner! [653] Indem er die Hand, mit der ihm Werner die Dukaten reicht, zurück stößt.

WERNER. Sobald ich das los bin!

VON TELLHEIM. Werner, wenn du nun von mir hörst: daß die Marloffin, heute ganz früh, selbst bei mir gewesen ist?

WERNER. So?

VON TELLHEIM. Daß sie mir nichts mehr schuldig ist?

WERNER. Wahrhaftig?

VON TELLHEIM. Daß sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn sagen?

WERNER der sich einen Augenblick besinnt. Ich werde sagen, daß ich gelogen habe, und daß es eine hundsföttsche Sache ums Lügen ist, weil man darüber ertappt werden kann.

VON TELLHEIM. Und wirst dich schämen?

WERNER. Aber der, der mich so zu lügen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen? Sehen Sie, Herr Major; wenn ich sagte, daß mich Ihr Verfahren nicht verdrösse, so hätte ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr lügen. –

VON TELLHEIM. Sei nicht verdrüßlich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.

WERNER. Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber, und versetzen lieber, und bringen sich lieber in der Leute Mäuler?

VON TELLHEIM. Die Leute mögen es immer wissen, daß ich nichts mehr habe. Man muß nicht reicher scheinen wollen, als man ist.

WERNER. Aber warum ärmer? – Wir haben, so lange unser Freund hat.

VON TELLHEIM. Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin.

WERNER. Ziemt sich nicht? – Wenn an einem heißen Tage, den uns die Sonne und der Feind heiß machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte; und Sie zu mir kamen, und sagten: Werner hast du nichts zu trinken? und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht wahr, Sie[654] nahmen und tranken? – Ziemte sich das? – Bei meiner armen Seele, wenn ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war, als alle der Quark! Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren heraus zieht, und ihm beides hinreicht. Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein, es ist Wasser. Auch das hat Gott für alle geschaffen.

VON TELLHEIM. Du marterst mich; du hörst es ja, ich will dein Schuldner nicht sein.

WERNER. Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was anders. Etwas ärgerlich. Sie wollen mein Schuldner nicht sein? Wenn Sie es denn aber schon wären, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben losdrücken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte? – Was können Sie diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit meinem Halse weniger zu sagen, als mit meinem Beutel? – Wenn das vornehm gedacht ist, bei meiner armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt gedacht!

VON TELLHEIM. Mit wem sprichst du so, Werner? Wir sind allein; jetzt darf ich es sagen; wenn uns ein Dritter hörte, so wäre es Windbeutelei. Ich bekenne es mit Vergnügen, daß ich dir zweimal mein Leben zu danken habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, daß ich bei Gelegenheit nicht eben so viel für dich würde getan haben? He!

WERNER. Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe ich Sie nicht hundertmal für den gemeinsten Soldaten, wenn er ins Gedränge gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?

VON TELLHEIM. Also!

WERNER. Aber –

VON TELLHEIM. Warum verstehst du mich nicht recht? Ich sage: es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht sein. Nämlich in den Umständen nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.

WERNER. So, so! Sie wollen es versparen, bis auf beßre Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen, wenn[655] Sie keines brauchen, wenn Sie selbst welches haben, und ich vielleicht keines.

VON TELLHEIM. Man muß nicht borgen, wenn man nicht wieder zu geben weiß.

WERNER. Einem Manne, wie Sie, kann es nicht immer fehlen.

VON TELLHEIM. Du kennst die Welt! – Am wenigsten muß man sodann von einem borgen, der sein Geld selbst braucht.

WERNER. O ja, so einer bin ich! Wozu braucht ichs denn? – Wo man einen Wachtmeister nötig hat, gibt man ihm auch zu leben.

VON TELLHEIM. Du brauchst es, mehr als Wachtmeister zu werden; dich auf einer Bahn weiter zu bringen, auf der, ohne Geld, auch der Würdigste zurück bleiben kann.

WERNER. Mehr als Wachtmeister zu werden? daran denke ich nicht. Ich bin ein guter Wachtmeister; und dürfte leicht ein schlechter Rittmeister, und sicherlich noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.

VON TELLHEIM. Mache nicht, daß ich etwas Unrechtes von dir denken muß, Werner! Ich habe es nicht gern gehört, was mir Just gesagt hat. Du hast dein Gut verkauft, und willst wieder herum schwärmen. Laß mich nicht von dir glauben, daß du nicht so wohl das Metier, als die wilde, lüderliche Lebensart liebest, die unglücklicher Weise damit verbunden ist. Man muß Soldat sein, für sein Land; oder aus Liebe zu der Sache, für die gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen: heißt wie ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts.

WERNER. Nun ja doch, Herr Major; ich will Ihnen folgen. Sie wissen besser, was sich gehört. Ich will bei Ihnen bleiben. – Aber, lieber Major, nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muß Ihre Sache aus sein. Sie müssen Geld die Menge bekommen. Sie sollen mir es sodann mit Interessen wieder geben. Ich tu es ja nur der Interessen wegen.

VON TELLHEIM. Schweig davon!

WERNER. Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der Interessen wegen! – Wenn ich manchmal dachte: wie wird es[656] mit dir aufs Alter werden? wenn du zu Schanden gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn du wirst betteln gehen müssen? So dachte ich wieder: Nein, du wirst nicht betteln gehn; du wirst zum Major Tellheim gehn; der wird seinen letzten Pfennig mit dir teilen; der wird dich zu Tode füttern; bei dem wirst du als ein ehrlicher Kerl sterben können.

VON TELLHEIM indem er Werners Hand ergreift. Und, Kamerad, das denkst du nicht noch?

WERNER. Nein, das denk ich nicht mehr. – Wer von mir nichts annehmen will, wenn ers bedarf, und ichs habe; der will mir auch nichts geben, wenn ers hat, und ichs bedarf. – Schon gut! Will gehen.

VON TELLHEIM. Mensch, mache mich nicht rasend! Wo willst du hin? Hält ihn zurück. Wenn ich dich nun auf meine Ehre versichere, daß ich noch Geld habe; wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, daß ich dir es sagen will, wenn ich keines mehr habe; daß du der erste und einzige sein sollst, bei dem ich mir etwas borgen will: – Bist du dann zufrieden?

WERNER. Muß ich nicht? – Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.

VON TELLHEIM. Da, Paul! – Und nun genug davon. Ich kam hieher, um ein gewisses Mädchen zu sprechen –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 652-657.
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